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2. Länderübersicht
ОглавлениеEntlang der Nordseeküste – von Sinkfal bei Brügge bis zum Land Wursten östlich der Wesermündung – erstreckt sich das Siedlungsgebiet des friesischen Stammes, hinzu kommt mit der friesischen Besiedlung im frühen Mittelalter noch das im Norden des heutigen Schleswig-Holstein gelegene Nordfriesland mit den Inseln Sylt, Föhr, Amrum, den Halligen und Helgoland. Die Friesen, zunächst wie die anderen Stämme von Herzögen regiert, haben nach dem Zerfall des Fränkischen Reiches kein neues Stammesherzogtum entwickelt. Die Randbezirke ihres Siedlungsgebietes fallen vielmehr an andere Territorien, vor allem an die Grafschaften Seeland, Holland und Geldern, das Bistum Utrecht und das Erzbistum Hamburg-Bremen. Nordfriesland steht – bei lokaler Selbstverwaltung – unter der Oberhoheit der schleswigschen Herzöge und der dänischen Könige.
Im Kernbereich des Stammesgebietes, in Ostfriesland und im später niederländischen Westfriesland, entsteht ein System von „Ländern“, von denen das Jeverland, Harlingen, Ammerland, Butjadingen, Wursten, Stedingen und Rüstringen die bekanntesten sind. Es handelt sich dabei um kleine Bauernrepubliken, deren freiheitlich-genossenschaftliche Verfassung insbesondere durch das große Deichbauwerk um die Jahrtausendwende kräftige Impulse erhält. Sie schließen sich später zu einer lokkeren Konföderation zusammen, dem „Upstalsboomverband“. Einmal im Jahr versammeln sich die Vertreter der „Länder“ am Upstalsbaum bei Aurich, um über gemeinsame Angelegenheiten zu beraten.
Südlich und östlich des friesischen Gebiets erstreckt sich bis 1180 das Stammesherzogtum Sachsen. Es umfasst den gesamten niederdeutschen Raum, von der Eider bis zur hochdeutschen Sprachgrenze, die über das Rothaargebirge, den Kaufunger Wald und den Harz verläuft. Der Stamm umfasst zunächst etwa hundert Gaue, von denen drei, der Holsten-, Stormarn- und Dithmarschengau, nördlich der Elbe gelegen sind („Nordelbingen“). Der Machtschwerpunkt der Stammesherzöge liegt im Osten, wo die verschiedenen Dynastien jeweils beträchtliche Eigengüter besitzen, so die Ottonen vor allem im Harz-Elbe-Raum, die Welfen innerhalb eines von Göttingen bis Hamburg reichenden Gebietsstreifens. Der Welfe Heinrich der Löwe, der als Herzog von Sachsen und Bayern zeitweilig eine königsgleiche Stellung erlangt, bringt überall in rigoroser Weise seine Herrschaft zur Geltung, auch in Teilen des vormals slawischen Neusiedellandes östlich der Elbe. Mit seinem norddeutschen „Einheitsstaat“ nimmt er gleichsam das spätere Preußen vorweg.
Auch in diesem scheinbar noch im 12. Jahrhundert so fest gefügten Stammesstaat hat allerdings bereits seit Otto dem Großen die Territorialisierung eingesetzt. In Westfalen und an der Ems gewinnt das Bistum Münster erheblichen politischen Einfluß, am Teutoburger Wald das Bistum Osnabrück, zwischen unterer Weser und unterer Elbe das Erzbistum Hamburg-Bremen, das hier die frühere Grafschaft Stade beerbt, im südlichen Westfalen das Erzbistum Köln. Geringere Bedeutung haben die Bistümer Paderborn, Minden, Verden, Hildesheim und Halberstadt, in politischer Hinsicht auch das Erzbistum Magdeburg, erst recht die Reichsabteien Corvey, Gandersheim und Quedlinburg.
Die weltlichen Territorien spielen bei weitem noch nicht die Rolle wie nach dem Sturz Heinrichs des Löwen. Wichtig sind zeitweilig die Grafschaften Stade, Arnsberg und Northeim, weniger die Grafschaften Dassel, Wernigerode, Blankenburg, Dannenberg und Schwerin. Überregionale Bedeutung gewinnt die Grafschaft Holstein, in der 1111 die von der mittleren Weser stammenden Schauenburger zur Herrschaft gelangen (bis 1459). Diese Dynastie bricht die Macht der bis dahin nördlich der Elbe tonangebenden alten Gauverbände, gibt den Anstoß zur Ostsiedlung und erobert nicht nur das ehemals slawische Ostholstein, sondern auch das Herzogtum Schleswig, ein dänisches Grenzterritorium, das von der Eider bis zur Königsau reicht und damit auch den südjütischen Teil des heutigen Dänemark umfaßt.
Den Anstoß zu einer planmäßigen Ostmarkenpolitik gibt Lothar von Supplinburg, Herzog von Sachsen, deutscher König (1125–1138) und römischer Kaiser. Er setzt die Schauenburger in Holstein, die Askanier in Brandenburg und die Wettiner in der Mark Meißen ein, wo sie – später als Herzöge und Könige von Sachsen, zeitweilig auch von Polen – bis 1918 regiert haben. Heinrich der Löwe gründet im Slawenland die Grafschaften Ratzeburg und Schwerin und bringt auch die östlich davon gelegenen Küstenregionen unter seine Herrschaft; noch unter Barbarossa werden die slawischen Fürsten von Mecklenburg und Pommern in den deutschen Reichsfürstenstand aufgenommen. Um die gleiche Zeit entstehen auch die Bistümer Lübeck, Ratzeburg, Schwerin, Brandenburg, Havelberg und Kammin, die jedoch allesamt in territorialpolitischer Hinsicht bedeutungslos bleiben.
Den Westen des Reiches nimmt zu Beginn der deutschen Geschichte das Herzogtum Lothringen ein, das sich über die gesamten Rheinlande und das angrenzende französischsprachige Gebiet erstreckt. Es zerfällt allerdings bereits im 10. Jahrhundert, und der Name haftet seither lediglich an dem Territorium, das sich beiderseits der Sprachgrenze an der oberen Mosel bildet. Die Erben der Lothringer Herzöge sind in erster Linie die Erzbischöfe von Köln und Trier, die am Niederrhein und entlang der Mosel geschlossene Herrschaftsgebiete aufbauen, ferner eine große Zahl weltlicher Fürsten, von denen die Grafen von Saarbrücken und die späteren Herzöge von Geldern, Brabant, Luxemburg, Jülich, Kleve und Berg die größte Bedeutung erlangen. Insbesondere in der Eifel und im Hunsrück entstehen viele Klein- und Kleinstterritorien, die jedoch nur eine begrenzte regionale, häufig nur eine lokale Rolle spielen. Größer sind einige geistliche Herrschaften, die sich im Schatten der beiden Erzbistümer entwickeln, vor allem die Bistümer Utrecht und Lüttich sowie die Reichsabtei Prüm.
Das Herzogtum Franken umfaßt nur den östlichen Teil des fränkischen Siedlungsgebietes, nämlich Hessen, Mainfranken und die nördliche Oberrheinregion. Herzog Konrad, der erste deutsche König, kann sich gegenüber den übrigen Stammesherzögen nicht durchsetzen. Auch im weiteren Verlauf des 10. Jahrhunderts erweist sich das Herzogtum Franken als wenig stabil, so daß die politische Prärogative in diesem Raum an andere Gewalten übergeht, in erster Linie an die Erzbischöfe von Mainz, die Bischöfe von Würzburg und in zunehmendem Maße an die Pfalzgrafen bei Rhein, die im Süden des heutigen Bundeslandes Rheinland-Pfalz und am unteren Neckar ihr Territorium ausbilden.
Die Erzbischöfe von Mainz, die als Erzkanzler des Reiches eine herausragende politische Stellung einnehmen, setzen sich nicht nur im Rheingau und am unteren Main fest, sondern greifen auch nach Thüringen aus, wo sie das Gebiet um Erfurt und das Eichsfeld erwerben. Die Bischöfe von Würzburg, deren Herrschaftsgebiet den Kern Mainfrankens einnimmt, erhalten Mitte des 12. Jahrhunderts von König Barbarossa die fränkische Herzogswürde zugesprochen – ein Titel, der freilich angesichts der fortdauernden politischen Zersplitterung Frankens nicht mehr viel besagt. Das Bistum Bamberg, 1008 von König Heinrich II. gegründet, wird zum großen Teil mit Königs- und Reichsgut ausgestattet, das sich gerade in Franken ansammelt, besonders um Frankfurt, Bamberg und Nürnberg. Im Aufstieg begriffen sind außerdem die Grafschaften Hessen und Nassau, während, verglichen mit Mainz, Würzburg und Bamberg, die übrigen geistlichen Herrschaften – die Bistümer Eichstätt, Speyer und Worms und die Reichsabteien Fulda, Hersfeld und Lorch – nur eine begrenzte politische Rolle spielen.
Auch in Thüringen wird in der Zeit des slawischen und ungarischen Drucks das alte, auf die germanische Zeit zurückgehende Stammesherzogtum, das bereits die Merowinger beseitigt hatten, erneuert. Es ist jedoch wesentlich kleiner als das benachbarte Sachsen, unter dessen Einfluß es sich bald auflöst. Zwar haben die Landgrafen von Thüringen wiederholt versucht, die politische Einheit des Landes wiederherzustellen. Sie scheitern jedoch aus drei Gründen: Nordthüringen ist inzwischen wie andere Teile des Harzraums weitgehend Königs- und Reichslandschaft geworden, im Eichsfeld und um Erfurt, also gerade in der Mitte des Landes, behauptet sich das Mainzer Erzstift, und auch die kleineren einheimischen Herrschaften stellen sich dem Anspruch der Landgrafen entgegen, allen voran die Grafschaften Schwarzburg und Weimar-Orlamünde.
Östlich der Saale entstehen im Zuge der politisch-kirchlichen Expansion des ottonischen Reiches auf slawischem Boden die Bistümer und Markgrafschaften Merseburg, Meißen und Zeitz-Naumburg, die – anders als die Marken im Norden des Elb-Oder-Gebiets – ununterbrochen in deutscher Hand bleiben und die auch hier im 12. Jahrhundert einsetzende Ostsiedlung politisch absichern können. Dies gilt auch für die Mark Lausitz (Niederlausitz um Cottbus, Oberlausitz um Bautzen), wo sich jedoch die slawische Bevölkerung länger behauptet, teilweise bis heute.
In Süddeutschland, wo die Ungarngefahr besonders groß ist, kommt es in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts ebenfalls zur Neubildung der von den Franken beseitigten Stammesherzogtümer, deren Grenzen sich – wie in Sachsen und Thüringen – genau mit denen des jeweiligen Siedlungsgebietes decken. Im Südwesten entsteht zwischen Alpenhauptkamm, Vogesen, Lech und alemannisch-fränkischer Sprachgrenze (Hagenauer Forst – Lauter- und Murgtal – Hornisgrinde – Asperg – Hohenberg) das Herzogtum Schwaben, wobei das Elsaß zeitweilig ein eigenes Teilherzogtum bildet.
Schwaben wird zunächst von verschiedenen Dynastien regiert (Burchardinger, Konradiner, Liudolfinger), bevor Kaiser Heinrich IV. 1079 die Herzogwürde an die Staufer überträgt, die sie bis zur Auflösung des Herzogtums im Jahre 1268 behalten. Das Land gewinnt in dieser Zeit große Bedeutung für die Reichspolitik, doch stellen die Staufer keineswegs die einzige politische Macht im Stammesgebiet dar. Den – durchweg sehr alten – Bistümern Straßburg, Basel, Chur, Konstanz und Augsburg werden auch hier seit der Zeit Ottos des Großen weltliche Hoheitsrechte übertragen, in geringerem Umfang auch den in Schwaben besonders zahlreichen Reichsabteien (St. Gallen, Reichenau, Kempten, Beuron, Ottobeuren, Altdorf/Weingarten, Marchtal, Ellwangen, Zwiefalten, Neresheim). Als politische Konkurrenten der Staufer treten jedoch vor allem die Zähringer in Erscheinung, die im Breisgau, im Südschwarzwald, in Burgund und in der Nordschweiz erheblichen Besitz erwerben und die ebenfalls den Herzogstitel führen. 1078 spaltet sich von ihnen die Linie der Markgrafen von Baden ab, neben denen noch die Grafen von Habsburg (Stammsitz: Habichtsburg an der Aare) Bedeutung haben.
Einen beträchtlichen Teil Schwabens nimmt das Reichs- und Königsgut ein, das sich vor allem zwischen Kolmar und Hagenau, um Zürich, im Allgäu-Bodensee-Gebiet und im Lech-Donau-Raum konzentriert und sich nach dem Aussterben der Staufer noch beträchtlich vergrößert. In diesen Gebieten sind die zahlreichen Klein- und Kleinstterritorien entstanden, wie sie für die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte Schwabens typisch sind.
Zum größten und geschlossensten deutschen Stammesstaat entwikkelt sich das Herzogtum Bayern. Die gegen Ende des 9. Jahrhunderts auftretende Dynastie der Luitpoldinger knüpft an die Tradition der Agilolfinger an, die bereits im 8. Jahrhundert das gesamte Stammesgebiet vom Lech bis zum Wienerwald, also auch das heutige Österreich mit Ausnahme des alemannischen Vorarlbergs, beherrscht haben. Otto der Große setzt 947 seinen mit einer Luitpoldingerin verheirateten Bruder Heinrich als Herzog ein, der die bayrische Linie der Ottonen begründet. Der Höhepunkt der bayrischen Machtstellung ist erreicht, als sein gleichnamiger Enkel 1002 zum deutschen König gewählt wird und von Regensburg und Bamberg aus das Reich regiert (Heinrich II., 1002–1024).
Von 1070 bis 1180 herrschen in Bayern die Welfen, die aber während des staufisch-welfischen Bürgerkriegs zeitweilig den Babenbergern weichen müssen. 1156 erhält der Welfe Heinrich der Löwe von seinem Vetter Friedrich Barbarossa das Herzogtum zurückerstattet, vermindert lediglich um die „Mark Ostarrichi“ (heutige Bundesländer Wien und Niederösterreich), mit der die Babenberger abgefunden werden.
Anders als in anderen Stammesherzogtümern können in Bayern regionale Gewalten neben der Herzogsmacht nur schwer aufkommen. Die ausgedehnteste Herrschaftsbildung gelingt den Erzbischöfen von Salzburg, die im gesamten Salzachgebiet, also noch über das heutige Bundesland hinaus, politische Befugnisse ausüben. Demgegenüber ist der Besitz der Bistümer Freising, Brixen, Regensburg und Passau mehr als bescheiden, obgleich letzteres in kirchlicher Hinsicht zeitweilig bis zum Wienerwald reicht. Unter den Abteien des Herzogtums ragen neben den Donauklöstern Weltenburg und Melk vor allem Berchtesgaden und St. Emmeram in Regensburg heraus.
Auch die weltlichen Herren des Landes bleiben den Herzögen gegenüber ziemlich ohnmächtig. Sieht man einmal von der Markgrafschaft Krain, dem zeitweilig von Bayern gelösten Herzogtum Kärnten und der Grafschaft Tirol ab, so entwickeln sich nur kurzzeitig einige kleinere Territorien wie die Grafschaften Andechs, Scheyern-Wittelsbach, Ortenburg, Wasserburg und Burghausen.
Den ersten entscheidenden Schritt zur Loslösung Österreichs aus dem bayerischen Stammesverband stellt die erwähnte Vereinbarung zwischen Heinrich dem Löwen und Barbarossa von 1156 dar. Die damals von Bayern abgetrennte Ostmark, die in ein „Herzogtum Österreich“ umgewandelt wird, ist zwar nur klein, doch gesteht der Kaiser, um den Babenbergern den Verzicht auf das Gesamtherzogtum schmackhaft zu machen, dem neuen Land so weitgehende Hoheitsrechte zu, daß es als „territorium clausum“, als erster Flächenstaat im modernen Sinne, bezeichnet werden kann. Insofern stellt es in der Folgezeit das Vorbild für alle nach „Landesherrschaft“ strebenden Fürsten dar.
Beim Sturz Heinrichs des Löwen im Jahre 1180 werden seine beiden Herzogtümer Sachsen und Bayern zerschlagen; damit geht das Zeitalter der Stammesstaaten endgültig zu Ende. An die Stelle des Stammesherzogtums Bayern treten die neuen „Gebietsherzogtümer“ Bayern, Österreich, Kärnten und Steiermark; damit bahnt sich im Südosten des Reiches die Entwicklung vom „Personenverbandsstaat“ zum „institutionellen Flächenstaat“ an. 1180 stellt auch insofern ein Epochenjahr dar, als damals der größte Teil der heutigen Republik Österreich aus dem bayrischen Stammesverband herausgelöst wird, Bayern und Österreich haben seither jeweils eine eigene politische Entwicklung genommen.