Читать книгу Wie ich in China ein Kind bekam - Ulrich Wessinger - Страница 13
Um-Land
ОглавлениеMitte August war es heiß, sehr heiß, so dass schon das Treppensteigen eine Qual war. Völlig erschöpft kam ich oben im vierten Stock vor meiner Haustür an, wenn ich nach Hause ging. Schon morgens um acht war es heiß. Der Schweiß schoss aus allen Poren. Die Leute schwitzten und stanken. Ende August. Die Hitze wäre ja noch erträglich gewesen, es war die Schwüle, die hohe Luftfeuchtigkeit und der hohe Luftdruck, was kaum zu ertragen war, ständig hatte man das Gefühl, ein Gewitter läge in der Luft, das sich aber nicht entlud. Shanghai liegt auf dem Breitengrad von Kairo, Tunis, Tripolis und Tanger. Nordafrika in Shanghai….
Und dazu noch der Dreck überall, die verdreckte Luft, der Gestank von Fabrikschloten und Abgasen aus immer zahlreicher werdenden Autos. Die Stadt versuchte der ansteigenden Flut Herr zu werden, indem sie neue Zulassungen d.h. Autoschilder versteigerte an Meistbietende. Der Preis für eine Zulassung lag bei 30000 Yuan, d.h, ungefähr 3000 Euro, als ich vor vier Jahren nach Shanghai kann, heute im Jahre 2014 ist er bei 120 000 Yuan abgekommen, so viel wie ein neues Auto. Das scheint aber nur wenige abzuschrecken, Shanghai ertrinkt im Autoverkehr. Obwohl fieberhaft überall neue Straßen gebaut werden und die Straßen sich an manchen Stellen dreifach übereinander türmen. Als Ausgleich für die Hitze im Sommer ist es dann extrem kalt im Winter.
Wie auch immer, heute wollte ich raus, die Umgebung Richtung Stadtrand erkunden, wenn möglich aus der Stadt rauskommen, irgendwo gar nicht weit weg musste das Land anfangen, die Uni lag am Stadtrand. Ich packte meine kleine Kamera in den Rucksack, dazu eine Flasche Wasser, ein Deutsch-chinesisches Lexikon für alle Fälle, ein paar Bananen, Reserve –Batterien, ein Schreibheft nebst ein paar Kulis und trabte hinunter zu meinem Fahrrad. Ich dachte, mich am Huangpu zu halten, am Fluss entlang immer weiter raus zu fahren, der Stadtrand konnte hier nicht weit entfernt sein.
Ich nahm den Südwest-Ausgang und fuhr anschließend ungefähr eine halbe Stunde an einer ziemlich dicht befahrenen Straße entlang, der Fluss musste ganz in der Nähe sein, aber man konnte ihn leider nicht sehen, denn der Zugang zu ihm war Kilometer lang von Industrieanlagen besetzt. Eine Fabrik reihte sich an die nächste. Die Shanghai Dianji Company hatte hier ein riesiges Werk stehen, das sich ein paar km die Straße entlang zog. Eines der gigantischen Eingangstore war mit den bronzenen Statuen eines muskulösen Arbeitsmannes und einer großbrüstigenArbeismaid im Stil des sozialistischen Realismus geschmückt. Davor stand ein Schild mit dem Namen der Firma Siemens, die ein Gemeinschaftsunternehmen mit der Shanghai Dianji Company betrieb. Ich dachte an Berlin, wie wenig dort Industrie zu sehen war, nur die alten Fabriken aus der Gründerzeit mit ihrem roten Backstein sah man häufig, aber die wurden meistens bewohnt oder als Künstlerateliers genutzt. Hier aber war die Werkbank der Welt. Ununterbrochen schepperten und krachten Lastwagen an mir vorbei, eingehüllt in Staubwolken. Mein Mund und Rachen wurde dreckig trocken. Viele Radfahrer hatten einen Mund-und Nasenschutz über ihr Gesicht gespannt, sie sahen aus wie Chirurgen. Ich schwitzte und mein Körper fühlte sich kochend an wie in einer Sauna, aber es war mir egal, ich war aufgeregt und gespannt, wie ein Entdecker unterwegs in ein unbekanntes Land.
Endlich öffnete sich der Blick zu mehr Grün und Ackerflächen und verwilderten Grundstücken und kleinen Kanälen und dann fand ich einen Weg zum Fluss. Ich bog links ab, durchquerte ein Wohnviertel, das halb bewohnt, halb noch im Entstehen war und hatte plötzlich ein kleines Wäldchen um mich, eine Plantage kleiner Bäume, eine Baumschule vielleicht und dann endlich der Fluss. Breit und gemächlich zog er dahin und glitzerte in der Sonne.
Lastkähne zogen vorbei, in der Ferne sah ich auf breiten Stelzen stehende Kräne, die Schlepper mit Kies und Kohle beluden. Natürlich war der Strom dreckig aber es war dennoch ein erhebender Anblick, für einen Augenblick konnte man ganz vergessen, dass er so dreckig war. Man hatte eine Ahnung davon, wie schön er war, als sein Wasser noch frisch und klar war. Ein Strom von Glück kam einem entgegen, ein frischer Wind von Abenteuer. Nach einiger Zeit entdeckte ich, dass hier eine Fähre sein musste, denn immer mehr Leute sammelten sich in einem windschiefen Gebäude am Fluss, das eine Art Laderampe ins Wasser hinausstreckte.
Ich fuhr zum Eingang und der Mann hinter dem Schalter deutete hinüber zu einem kleinen Häuschen. Dort gab es die Tickets. Es waren zwei Yuan für die Überfahrt. Ich warf den gelben Chip, den ich als Ticket bekommen hatte in eine Box vor dem Schalter. Und reihte mich ein in die Schar der Wartenden, die mich neugierig betrachteten.
Da tauchte auch schon die Fähre auf. Ein breiter, ramponierter alter Kahn, dessen weiße Farbe schon längst abgeblättert war, legte an. Die Vordertür wurde geöffnet und heraus strömten um die fünfzig Menschen, die meisten auf Rollern oder Fahrrädern. Landmenschen mit kleinen Dreirad-Gefährten, motorisiert oder mit Fuß-Kraft betrieben, brachten Gemüse in die Stadt, hochbeladen türmte sich das Grünzeug auf ihren Karren. Während neben mir andere mit leeren Pritschen auf dem Weg nach Hause waren. Jugendliche mit poppigen T-Shirts und rotblond gefärbten und hochtoupierten Haaren, der neueste Schrei, saßen frech und lässig rauchend auf ihren Mopeds, Mütter mit Kindern suchten einen Platz am Geländer und alte Männer setzten sich schwermütig in irgendeine schattige Ecke und begannen schweigend zu rauchen.
Der Kahn legte ab und ans Geländer gelehnt spürte ich frischen Wind über den Fluss hin streichen, der etwas erlöste von der drückenden Hitze. Der breite Strom leuchtete auf, ganz in die Sonne getaucht.
Jenseits des Huangpu- Flusses radelte ich durch grüne Felder, Bäume und Häuser weit verstreut und fühlte mich glücklich…..aufatmend, so ländlich war alles um mich herum, ab und zu Kanäle, die vom Fluss nach Südosten zum Meer hin führten, das nicht weit entfernt war. Ich entdeckte, dass viele Menschen hier am Rande der Stadt in improvisierten Behausungen wohnten, in Hütten, Verschlägen, die kindlich zusammengebastelt aussahen, öfters sah man Gewächshäuser, die zu Wohnhäusern umgebaut worden waren. Die meisten dieser Hütten sahen anheimelnd gemütlich aus und erinnerten mich an die Hütten aus Ästen und Gezweig, die ich als Kind mit meinen Spielkameraden im Wald gebaut hatte, nur wenige sahen verwahrlost aus mit herumliegenden Autoreifen, Plastiktüten, Flaschen und anderem Gerümpel vor ihrer Tür.
Ein kleiner weißer Hund fiel mir auf, der am Rande der Straße im Dickicht herumschnüffelte. Ich hielt an, fotografierte ihn und dann trippelte der kleine Kerl davon und ein paar Kinder sprangen ihm lachend entgegen und später sah ich, wie sie alle in einem Gewächshaus verschwanden, das von Bohnensträuchern überwuchert war und dann tauchte ein Vater auf, der ein Fahrrad auf dem Rücken geschultert mit dem Roller wegfuhr und ein kleiner Junge, ein Mädchen und ein etwas älteres Mädchen schauten ihm nach. Die mannshohe wilde Wiese, leuchtend von gelben Blumen um sie herum. rahmte sie friedlich ein. Ich dachte, für Erwachsene, die in mehr bürgerlichen Verhältnissen lebten, waren sie Außenseiter und vielleicht wurden die Kinder in der Schule verachtet als arme Schlucker, die in einer Bude im Garten lebten. Aber für Kinder, die noch nichts von diesen Urteilen wussten, musste das schön sein, so in einem Garten zu leben.
Aber auch diese eher ländliche Gegend war zersiedelt, ab und zu tauchten Fabriken auf, kleine Siedlungen, die alle aus kleinen schmutziggrauen zweistöckigen Betonhäusern bestanden, verfallene Industrieanlagen, aber immerhin, es gab Platz zwischen dem Gemäuer, streckenweise konnte man sich so fühlen, als sei man endlich draußen.
Am nächsten Tag fuhr ich noch weiter raus.
Bis zum Meer. Es war weiter, als ich gedacht hatte. Ich war über drei Stunden unterwegs, nur um schwer enttäuscht zu werden. Das Meerwasser war eine dreckig braune Brühe. Wenn man seinen nackten Fuß ins Wasser stellte, war er nicht mehr zu sehen. Die braune Farbe kam nicht nur von der Verschmutzung her, sondern auch vom Sand, denn der riesige Yang Tse, einer der größten Flüsse Chinas, mündete in unmittelbarer Nachbarschaft Shanghais, im Norden der Stadt ins Meer und schleppte rieisge Mengen von Sand mit sich.
In der Nähe des Strandes gab es einen ganzen Straßenzug voller neu gebauter Hotels, die alle leer standen und halb schon verfallen waren. Niemand machte hier Urlaub. Wahrscheinlich waren die Hotels vor 20 Jahren gebaut worden, als das Wasser noch nicht so verschmutzt war. Trotzdem waren viele Menschen am Meer, Ausflügler die mit Rollern, Autos und Bussen gekommen waren. Der Strand zog sich bei Ebbe um die zwei Kilometer lang als dunkelbraune Ebene dem Wasser entgegen. Tausende von Menschen gingen barfuß lachend und in Ferienstimmung auf dem schlammigen Grund herum, suchten nach Muscheln, unter Steinen nach Krabben und Krebsen. Auch ich schritt barfuß über den Schlick und fühlte den Schlamm zwischen meinen Zehen emporquellen. Ach Shanghai, dachte ich traurig. Du Stadt am Meer, du könntest so schön sein,…