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Die Grundschule

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Ich unterrichtete in einer kleinen deutschen internationalen Grund-Schule, die einmal eine große werden und dann bis zum Abitur führen sollte. Als ich den Leiter der Schule, Professor S., noch in Deutschland bei einem Vorstellungsgespräch kennenlernte, stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass erstens der Mann kein richtiger Professor war sondern nur ein „chinesischer“ , d.h. er hatte den Titel sich zukommen lassen bei Geschäften mit einer chinesischen Hochschule und zweitens die Schule nur 12 Kinder hatte. Die Schule war erst vor einem Jahr gegründet worden und außerdem gab es nicht so viele Deutsche in Wuxi mit Kindern, und die meisten, so stelle ich später fest, hielten nicht so viel von der kleinen Schule und schickten ihre Kinder lieber in eine große etablierte internationale Schule in Wuxi. Weil jeder Zögling in der deutschen Schule um die 1000 Euro im Monat zu bezahlen hatte und die wenigen Lehrer mit bescheidenen chinesischen Gehältern abgespeist wurden, war das gar kein schlechtes Geschäft. Neben der kleinen Schule hatte Herr S.auch Ausbildungsprogramme an mehreren chinesischen, technisch ausgerichteten Hochschulen eingerichtet, die Abschlüsse in Fächern wie Betriebswirtschaft und Marketing anboten und von deutschen Lehrern betreut wurden. Er verkaufte das deutsche duale Ausbildungssystem, eigentlich eine gute Idee weil es so etwas in China noch gar nicht gab, also die systematische Verbindung von Schule und Ausbildungspraxis in Betrieben. Das Problem bei seinem Geschäft war allerdings die chinesische Bürokratie und die damit verbundene Korruption...

Meine Bezahlung war mager und betrug umgerechnet ungefähr 500 E, aber ich hatte einen Rückflugticket bekommen und ein kleines Apartment frei und meine Begierde, nach China zu kommen, war einfach zu groß, weshalb ich klaglos akzeptierte und außerdem waren diese 5000 Yuan eine ganze Menge Geld. Zum Lebensunterhalt brauchte ich nur um die 2000, meine Miete war ja schon bezahlt. Mein Vertrag erstreckte sich über ein halbes Jahr. Es sollte ein kurzer Besuch werden. Mein Job war nicht nur das Unterrichten, sondern als Journalist auch Öffentlichkeitsarbeit. Deshalb nahm mich der Professor schon am dritten Tag meines Aufenthaltes mit zu einem wichtigen Essen mit Vertretern der hiesigen Erziehungsbehörde. Es ging um die Lizenz und die Mietkosten für die Räume der Schule. Sie war in einer neugebauten chinesischen Grundschule untergebracht und lag am Rande der Stadt, jedenfalls weit entfernt vom Zentrum. Ein Stadtrand war allerdings wie bei allen Städten in China nicht so klar festzustellen, die Stadt wucherte in alle Richtungen hin ins Land hinaus aus.

Das Essen fand Sonntagabend in einem etwas schmuddelig wirkenden koreanischen Restaurant jenseits der großen neugebauten Brücke statt. Eine ganze Reihe von Chinesen saßen mir gegenüber, darunter auch ein paar Frauen mittleren Alters. Wir hatten einen eigenen Raum für uns und saßen am Boden, was in vielen koreanischen Restaurants üblich ist. In dem fensterlosen Raum war es dunkel und roch leicht modrig. Professor S. saß dem ranghöchsten der chinesischen Delegation gegenüber, neben ihm seine chinesische Assistentin, eine junge hübsche Frau, die für ihn übersetzte. Der ganze Tisch war voll mit kleinen Schüsseln, großen Platten und Töpfen mit allerlei Fleisch-sorten, Gemüse, Suppen, Nudeln, Reis und deren Gemisch und immer wieder wurden neue Gerichte hereingetragen. Wichtig schien das sich Zu-Prosten zu sein, denn immer wieder wurde angestoßen, man erhob sich dazu manchmal freudig, manchmal wurden kurze Reden gehalten von Prof. S. und dem Leiter der Behörde, von Freundschaft und deutsch-chinesischer Zusammenarbeit war die Rede, man rief „Gambei!“ aus, stieß an und trank. In kleinen Gläschen füllte man sich immer wieder Reisschnaps ein, aber auch Wein war im Angebot und Bier. Das Essen war vom Professor bezahlt und natürlich war es üppig. Geradezu böse wurden die Chinesen, als sie feststellten, dass ich nach dem Anstoßen mein Gläschen nicht auf einen Zug austrank. Sie machten mir ernsthaft deutlich, dass das aber gar nicht erlaubt sei und kontrollierten daraufhin bei jedem weiteren Anstoßen meinen Getränkepegel im Gläschen.

Der Reisschnaps, den ich nie zuvor getrunken hatte, schmeckte faulig bitter, leicht süßlich und da ich normalerweise überhaupt keinen Alkohol trinke, war er mir gerade zu zuwider, aber um meinen Mitessern eine Freude zu machen, trank ich ein paar der Gläser leer, bevor ich wieder dazu überging, nur am Gläschen zu nippen. Das wurde aber sofort als übles Vergehen moniert und reihum heftig laut beanstandet. Ich ließ mich davon aber nicht beirren und blieb dabei, was man schließlich wiederwillig und mit ständigem Meckern durchgehen ließ. Der Reisschnaps ist in der Regel ziemlich hochprozentig im Alkoholgehalt, um die 30 bis 40 Prozent. Nach ein bis zwei Stunden waren alle mehr oder weniger betrunken. Besonders der Professor trompetete immer lauter herum und schien ganz überschwänglich in der lautstark gefeierten und mit Bier und Wein begossenen Freundschaft mit dem Leiter der Behörde. Etwas später wankte der Professor zur Toilette und kam kreidebleich wieder zurück, vermutlich hatte er sich übergeben.

Die Frau mir gegenüber war recht hübsch und ich fragte mich manchmal, ob ihr offenes Lachen und der funkelnde Blick, mit dem sie mich des öfteren ansah, eine Einladung war, aber ich sprach kein Chinesisch und sie nur wenig Englisch, so dass wir uns wenig verständigen konnten.

Später gegen Abend sagte der Professor, dass jetzt alle nach Hause gehen sollten, bis auf ein paar der wichtigsten Männer der Behörde und mir, denn jetzt, so hatte er es vorher angedeutet, stand der zweite Teil der Zeremonie auf dem Plan: Käufliche Mädchen sollten kommen. Also erhoben sich die anderen Chinesen und Chinesinnen und entfernten sich recht schnell und ohne Murren und der Professor schaute etwas ungehalten und verdutzt auf Frau Büttel aus Bremen, meine künftige Kollegin, die ebenfalls blieb, obwohl sie jetzt eigentlich nicht mehr erwünscht war. Aber sie wusste, was jetzt auf dem Plan stand, sie war schon über zwei Jahre in China und kannte die Gepflogenheiten und gerade deswegen, um ihrem Boss die Suppe zu versalzen und weil sie das Ganze unmoralisch und widerlich fand, blieb sie sitzen. Frau Büttel blieb und das Gespräch zwischen den noch verbliebenen Männern schleppte sich dahin, nicht nur der Professor, auch der Behördenleiter, ein ziemlich junger Mann, hatte des öfteren die Toilette aufgesucht und war aschfahl im Gesicht, es wurde noch mehr getrunken und plötzlich kreischte Frau Büttel laut auf: Eine Ratte wieselte auf einem kleinen Absatz in der Wand über uns von links nach rechts durchs Zimmer. Und dann wurde die Sitzung ziemlich bald beendet. Keine Party, keine Mädchen. Auf dem Weg nach draußen drückte der Professor dem Leiter der Behörde noch ein dickes Brief-Couvert in die Hand.

Morgens um acht erschallte fröhliche Marschmusik aus dem Lautsprecher. Alle Kinder der chinesischen Grundschule hatten jeden Morgen auf dem großen Platz hinter dem Schulgebäude anzutreten. Es waren um die tausend Kinder. Sie standen in Klassengruppen in langen Reihen hintereinander. Kleine Ansprachen wurden gehalten vom Schulleiter, die chinesische Flagge wurde hochgezogen und dann schmetterte die Musik los. Die animierte zu Körperbewegungen, gymnastischen Übungen, Arme wurden hin und hergeschwungen und Oberkörper nach unten geschwenkt, Köpfe rollten und Knie wippten auf und ab, aber ein Teil des ganzen Programms war auchein Tanz, der an Volkstänze erinnerte, Jungen und Mädchen tanzten auf einander zu und um einander herum und nahmen sich unter den Arm und hüpften im Kreis herum, was den Kindern großen Spaß machte, was ihnen deutlich anzusehen und auch zu hören war an dem großen Gelächter, das über den Platz schallte. Dieses morgendliche Programm gibt es in allen chinesischen staatlichen Schulen und ist mit leichten Variationen überall das gleiche.

Die Kinder der deutschen Schule nahmen nicht daran teil. Die wurden morgens vom Schulbus zur Schule gebracht, wo sie lärmend eintrafen und ihre Schulranzen in die Ecke warfen und Fußball spielten oder Federball oder Musik hörten und sich nur widerwillig dem Unterricht zuwandten. Sie waren alle zwischen acht und zwölf Jahre alt. Zwei Jungs waren Chinesen mit deutschem Pass, deren Eltern in Stuttgart eine IT-Firma aufgezogen hatten und die wieder nach Shanghai zurückgekehrt waren. Die Mutter verkaufte die elektronischen Steuerungssysteme für Ladekräne, die im Hafen von Shanghai wohl sehr gefragt waren. Der Hafen ist einer der weltgrößten. Ein anderer Junge war der Sohn eines Deutschen und einer javanischen Mutter, dann gab es noch den Sohn einer deutsch-thailändischen Familie, die anderen Kinder waren keine Mischlinge.Darunter ein blondes aufgewecktes kleines Mädchen, das sich tapfer aufrecht hielt unter all den Jungs. Die beiden jungen Chinesen konnten nur gebrochen Deutsch reden und auch die anderen beiden Mischlinge hatten ihre Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Die chinesisch-deutschen Eltern hatten ihre Kinder extra deswegen in die deutsche Schule gebracht, damit sie Deutsch lernen sollten. Unterricht war ganztags von acht bis um halb fünf Uhr, ab drei Uhr nachmittags wurde das Hausaufgaben-Machen betreut. Abends um fünf mussten die chinesischen Kinder in Reih und Glied antreten und wurden dann klassenweise von ihren Lehrern zum Ausgang der Schule geführt, wo ihre Eltern oder Großeltern bereit standen, um sie abzuholen. Da ging es dann laut und lustig zu, die Schule war aus, sie gingen nach Haus!

Das Schul-Gebäude war erst vor wenigen Jahren hergestellt worden und strahlte in frischem Weiß, extra für die Fremden waren westliche Toiletten im Erdgeschoss eingebaut und ein kleiner Park mit Klettergerüst, Rutsche und einem kleinen Sportplatz eingerichtet worden, der aber nur von der deutschen Schule benutzt wurde. Die chinesischen Kinder hatten ihren großen Sportplatz hinter der Schule, ein weites Areal mit roten Laufbahnen um den Rasenplatz.

Umgeben war die Schule von einem Neubau-Gebiet. Halbfertige Straßen staubten auf, wenn die kleinen Dreiräder und Roller darüber hinweg fegten, Skelette von Hochhäusern im Bau ragten auf, kleine Häuschen standen halb zerstört und mussten neuen größeren Blocks weichen. Dazwischen weite grüne Rasenflächen, Kanäle und Industrieanlagen. Mächtige Stromriesen überspannten das Land mit ihren Kabeln. Bei den neuen Wohnblocks unweit der Schule hatte unten an der Straße sich wuseliges Leben breitgemacht, kleine Läden reihten sich aneinander. Gegenüber stand eine Markthalle, mit blauem Wellblechdach, dahinter Gartenanlagen, Salat, Kohl und Kraut in langen Reihen, die sich bis zu den alten Betonhäuschen in der Ferne erstreckten.

Es war schon im Frühjahr und angenehm warm, als ich durch die Straßen schlenderte und eine ganze Familien zusammenhocken und essen sah vor einem Wohnblock noch im Rohbau.Die Erde um sie herum war aufgewühlt. Betonmischer und Schubkarren standen herum, in Sand- und Kieshaufen steckten Schaufeln. Ein paar Alte waren dabei, aber auch eine Mutter mit einem Säugling auf ihrem Schoss. Wahrscheinlich waren sie irgendwo aus dem armen Westen hier her gekommen, um sich eine neue Heimat zu suchen, die jetzt gerade im Entstehen war.Sie lächelten alle freundlich als sie mich sahen, ihre Augen leuchteten auf, hoch erfreut, als sei ich eine frohe Botschaft, dass es jetzt besser wird in ihrem Leben, dass eine neue Zeit beginnt und sie es schon schaffen werden.

Da ich anfangs kaum Chinesisch sprechen konnte und da auch eine große Scheu bei den chinesischen Lehrern zu spüren war, mit uns Deutschen Kontakt aufzunehmen, hab ich nicht viel davon erfahren, wie es in den Klassenzimmern der Chinesen wirklich zuging. Auffällig war nur, dass man immer wieder Sprechchöre hören konnte. Öfters hörte man sie auch singen…. Jedenfalls war ich froh, als ich ein paar Jahre später in Shanghai die Grundschullehrerin Wang Yunkennen lernte, die mir bereitwillig Auskunft darüber gab, wie es in ihrer Schule zugeht.

Wang Yun ist 31 Jahre alt und kommt aus einer kleinen Stadt ein paar Stunden Zugreise entfernt von Shanghai. Klein nennen die Chinesen die Stadt, weil sie nur ungefähr 2 Millionen Einwohner hat. Wang Yun hat auf Zypern und in Newcastle studiert, in China überhaupt nicht. Im Ausland zu studieren ist in China große Mode. Wer es sich nur leisten kann, geht beim Studium ins Ausland. Um die 150 000 studieren zurzeit in den USA, um die 120 000 in England und 20 000 in Deutschland. Wang Yuns Eltern sind nicht reich, aber hatten genug gespart, um das Studium ihrer Tochter im Ausland zu finanzieren. Sie studierte Informatik und als sie nach ihrem BA. nach China zurück kam, fand sie auf ihrem Feld keinen Job, aber eine Privatschule in Shanghai war an ihr und besonders an ihren Englisch-Kenntnissen interessiert. Es war ein Internat und nannte sich „Internationale Fremdsprachenschule“. Auch die sind in China große Mode. Und es gibt sie sogar schon als Grundschulen. Die meisten chinesischen Eltern sind ehrgeizig und mit dem frühen Lernen von Fremdsprachen und dabei natürlich vor allem von Englisch, versprechen sie sich einen Vorsprung im Rennen um die besten Plätze.

Die chinesische Grundschule in Wuxi, in der unsere deutsche internationale Zwergschule sich befand, hatte sogar beschlossen, einen Lehrer nach Deutschland zu schicken zu einem Sprachprogramm des Goethe-Instituts, um Deutsch zu lernen, damit er dann ein paar Klassen in Deutsch unterrichten könne und war damit die erste Grundschule in China, die plante, Deutsch als Lehrfach einzuführen. Normalerweise hätte Wang Yun an einer Hochschule eine Ausbildung zur Grundschullehrerin machen müssen, aber es werden sowohl an privaten wie auch staatlichen Schulen Lehrer ohne diese Ausbildung angestellt, wenn sie eine gute fachliche Qualifikation nachweisen können.Nach einer Einlernzeit von ein bis zwei Jahren können sie dann auch die nötigen pädagogischen Examen nachholen.

Internate sind in der Erziehungslandschaft der Volksrepublik China kein neues Phänomen, besonders in ländlichen Gebieten gab es sie schon immer, allerdings in der Regel für ältere Kinder ab der fünften Klasse bis zum Gaokao, dem chinesischen Abitur. Die Kinder haben oft einen weiten Weg von ihrem Heimatdorf in die höhere Schule, da ist es praktischer, sie gleich bei der Schule auch übernachten zu lassen. Jetzt werden Internate aber auch in den Städten immer populärer. Viele Eltern haben keine Zeit oder wollen sich keine Zeit nehmen für ihre Kinder, weil sie so sehr am Geld und Geldverdienen interessiert sind, dass sie keine Zeit mehr für die Kinder haben. Andererseits müssen sie auch viel Geld haben, um sich eine Internatsplatz für ihr Kind in der Stadt leisten zu können. 30 000 bis 50 000 Yuan ( 3500 bis 6000 E ) pro Jahr kostet der für kleine Kinder im Grundschulalter und ein paar Tausend Yuan mehr für Kinder in höherem Alter. Das ist das Doppelte des durchschnittlichen jährlichen Einkommens in Chinas Städten. Ein unqualifizierter Fabrikarbeiter hat nur um die 20 000 Yuan im Jahr. Auch die Millionen von Bauarbeiter, die Chinas Großstädte hochziehen, verdienen ungefähr so viel.

Die Schule verließ Wang Yun nach zwei Jahren, genauer gesagt, wurde sie gefeuert.Aber sie erklärt, dass es nicht an ihr gelegen habe. Die Privatschule war Teil einer weit verzweigten staatlichen Stiftung, die auch einen Verlag, verschiedene Theater, Kindergärten und Training-Center betrieb und außerdem in Wohlfahrtsaktivitäten engagiert war.Als eine neue Leiterin eingestellt wurde, feuerte die zwei Drittel aller Lehrer, um sich eine loyale Anhängerschaft zu verschafften, die sie selbst auswählte.Wang Yun fühlte sich nicht besonders wohl in dieser Schule, viel zu viel sei es um Macht und Einfluss gegangen im dem Konzern, statt um das Wohl der Kinder.

„Wenn ich in einem Gymnasium arbeiten würde, könnte ich mir jetzt ein Haus bauen, wenn ich wollte“ lacht Wang Yun. In China ist es üblich, dass man dem Lehrer Geschenke gibt, es gibt sogar einen Lehrer-Tag, an dem die Geschenke besonders reichlich fließen. An der Grundschule halten sich die Geschenke noch in Grenzen, obwohl ihr Eltern auch schon ein Couvert mit 8000 Yuan zusteckten, ein Viertel mehr als ihren Monatslohn, was sie zurückwies, wie sie jedes Geld-Geschenk zurückgab. Blumen, Früchte, Kekse nimmt sie gerne an. Die Eltern versprechen sich davon, dass ihre Kinder besonders behandelt und gewürdigt werden und in der großen Zahl von Kindern, die in den Klassen so üblich sind, nicht untergehen. Mindestens vierzig Kinder haben die Klassen, es können aber auch schon 60 sein.

Heute arbeitet sie an einer großen staatlichen Grundschule in Shanghai. Um die 6000 Yuan verdient Wang Yun im Monat nach Abzug von Steuern, das ist erheblich über dem Durchschnittseinkommen in Shanghai von 3 bis 4000 Yuan. Dafür arbeitet sie 20 Unterrichts-Stunden pro Woche. Ihre Schule hat 5000 Kinder in fünf Schulgebäuden über einen großen Distrikt verteilt. Auch diese Schule ist eine Fremdsprachenschule und in den jährlichen Wettbewerben der Grundschulen in Shanghai liegt sie ganz vorne, wie sie mit einem gewissen Stolz mitteilt. Am Ende der Grundschule findet eine wichtige Prüfung statt, die schon die ersten Weichen für die zukünftige Laufbahn stellt. Von guten Noten hängt nämlich ab, in welche weiterführende Schule die Kinder gehen dürfen. Denn da gibt es erhebliche Rang-Unterschiede und die Schulen mit dem besseren Ruf sind sehr begehrt.

In der PISA-Studie haben die Shanghaier Kinder hervorragend abgeschnitten, sagt Wang Yun stolz. Der Unterricht sei nach den modernsten wissenschaftlichen Methoden aufgebaut, sie müsse für jeden Arbeitsschritt in jeder Klasse detaillierte Pläne vorlegen. Sie benutzten Power-Point-Vorträge, Filme, Musik, Lieder, kleine Gruppengespräche, kurze Handlungsdialoge und oft, das gibt sie etwas verschämt zu, das gemeinsame Sprechen und Nachsprechen im Chor.

Bei vierzig Kindern in einer Klasse sei Disziplin sehr wichtig und oft sei sie kurz vor dem Ausrasten. Schlagen sei nicht erlaubt, aber oft fühlte sie sich danach, sie schreie stattdessen die Kinder an.Sie bete zum Himmel, dass sie mehr Geduld lerne, aber oft sei sie am Ende ihrer Geduld.Immer und immer wieder müsse sie dasselbe sagen. Alle Kinder müssen, wenn sie nicht am Schreiben sind, während des Unterrichts ihre beiden Ellbogen auf den Tisch und ihre beiden Hände auf die in einander verschränkten Unterarme legen. Das ist Vorschrift, darauf muss sie achten, diese Regel muss sie durchsetzen. Denn sonst seien sie ständig mit ihren Händen am Spielen mit irgendwas, bevorzugt mit ihren Handys oder Spielkonsolen. Als Strafe lässt sie die Kinder manchmal aufstehen und stehen, so lange bis sie sich wieder beruhigt haben.

Nach der Schule, die im Grundschulalter um vier Uhr zu Ende ist, haben die Kinder noch Hausaufgaben zu erledigen in den Fächern Englisch, Chinesisch und Mathematik. Ein und ein halb Stunden werde dafür als normale Arbeitszeit veranschlagt, wenn die Kinder nicht so geschickt sind, brauchen sie eben länger. Ihr Eindruck sei, viele Eltern kümmerten sich nicht genug um die Hausaufgaben ihrer Kinder. Das sei zu ihrer Kindheit noch anders gewesen. Vor ein paar Jahren hat die amerikanische Chinesin Amy Chua einen Bestseller über ihre harschen und ehrgeizigen Erziehungsmethoden geschrieben, mit denen sie ihre Kinder zu Höchstleistungen antrieb. Sie hat ihre Methode als Weg des Drachen beschrieben und damit als typisch für die chinesischen Eltern und deren Mentalität. Mein Eindruck ist, das entspricht nicht den Tatsachen. Sicher ist ihre Einstellung unter chinesischen Eltern weit verbreitet, aber sie als typisch zu bezeichnen wäre übertrieben. Ich habe viele Eltern und Jugendliche kennen gelernt, die mir von einem relativ entspannten Verhältnis zu Leistung und Erfolg berichteten.

Nach der Grundschule gehen alle Schüler in eine sogenannte Mittelschule, die drei Jahre dauert, danach zweigen um die zwei Drittel der Schüler in eine Berufsausbildung ab, die restlichen gehen weiter für drei Jahre auf die höhere Schule und von dort aus in die Universitäten.

Wie ich in China ein Kind bekam

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