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Eine chinesische Freundin

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Sie trug ein merkwürdiges schwarz weiß gemustertes Hütchen mit kurzer Krempe, das in Deutschland nur Original Jamaika-Rapper oder Rentner tragen, und einen Mantel, der uralt aussah und an die fünfziger Jahre DDR erinnerte.Ich fragte sie in der Innenstadt von Wuxi auf Chinesisch nach dem Weg und sie antwortete auf Französisch und begleitete mich dann hilfreich auf dem Weg zu dem Starbucks Cafe, in dem ich mit einer Kollegin verabredet war. Es war Anfang März und das Wetter schon angenehm mild. Ihre zierliche goldene Nickelbrille mit den runden Gläsern gab ihr einen intellektuellen Anstrich. Obwohl sie um die sechzig Jahre alt war, sah sie wie viele Chinesen weitaus jünger aus, weil ihre Haut so glatt und ohne Makel oder Runzeln war wie auch ihre Zähne in einwandfreiem Zustand waren. Das lag wahrscheinlich daran, dass die Chinesen jahrzehntelang sehr arm gewesen waren und Zucker- und Süßwaren erst in den letzten Jahren in die Läden gekommen waren. Wie auch die amerikanischen Fast-Food-Restaurants erst seit wenigen Jahren im Lande waren, sich aber überall ausgebreitet hatten.

Gaos Französisch war stark von ihrem chinesischem Akzent gefärbt, mein Französisch schon lange nicht mehr benutzt, aber irgendwie verstanden wir uns doch und ich war erfreut, mit ihr reden zu können und so tauschten wir die Telefonnummern aus und verabredeten uns auf ein weiteres Treffen ein paar Tage später.

Immer noch war Gao eine schöne Frau. Sie hatte als Dolmetscherin und Übersetzerin für die Stadt-und Provinzverwaltung in Wuxi gearbeitet und als junge Frau vom Staat bezahlt Französisch in Marokko und Algerien gelernt. Dort war sie mehrere Jahre und hatte dabei auf Reisen auch Frankreich und sogar Deutschland kennengelernt. Sie war in Trier, weil Karl Marx dort geboren war, daran konnte sie sich noch gut erinnern. Viele chinesischen Touristen und vor allem offizielle Delegationen von Städten, Verwaltungen und der Partei besuchen Trier wegen Marx. Gaos Mann war längst verstorben, sie lebte von Rente, die arbeitenden Frauen in China schon nach dem fünf und fünfzigsten Jahr zu steht und wohnte in einer kleinen Eigentums- Wohnung im Stadtzentrum von Wuxi. Sie lag in einer kleinen Siedlung von vierstöckigen, vergammelten Wohnblöcken aus den fünfziger Jahren, die sich hinter neu gebauten Hochhäusern befanden. Die sahen prächtig aus und spielten Weltstadt an einem breiten Boulevard. Vorne an der großen Straße fühlte man sich wie in einer großartigen Avenue in New York und dahinter bei Gao war man bei den kleinen armen Leuten angekommen. Vor ihrem Haus gab es eine Ecke, wo die Einwohner ihren Müll auf einem großen Haufen abluden. Von Mülltrennung hatten sie noch nie was gehört.

Die Möbel in Gaos Behausung sahen nach Sperrmüll aus und in der Küche war alles mit einem schmierigen Ölfilm bedeckt. Die Chinesen kochen wenig mit Wasser, sondern braten fast alles in Pfannen und dazu brauchen sie Öl, das zischt und spritzt, wenn es heiß wird und bei ihr hatte sich das in einer goldbraun fleckigen, dicken Schicht auf Anrichte, Töpfen, Pfannen, Boden und Wänden ausgebreitet. Ich war ganz entsetzt, als ich das zum ersten Mal sah. Gao hatte das wohl bemerkt und als ich beim zweiten Mal zu ihr kam, hatte sie die Küche einigermaßen gesäubert und aufgeräumt. An Büchern schien sie nicht sehr interessiert. Ich fand nur wenige, verstaubt hinter Glas in ihrem Wohnzimmerschrank. Das Wohnzimmer war auch zugleich ihr Schlafzimmer und wurde von einem großen alten Fernseher in der Mitte beherrscht. Am liebsten sah sie Opern, Peking-Opern, aber auch westliche. Ihr Bett war von einem Zelt aus Moskitonetzen überwölbt. Wegen dem See in der Nähe waren im Sommer die Stechmücken eine echte Plage.

Wenn ich sie manchmal vorsichtig auf die Zeit unter Mao ansprach, reagierte sie betreten. Es war ihr wohl bewusst, dass einige Verbrechen und schreckliche Dinge unter Mao geschehen waren, aber zugleich hatte sie wohl auch von dem System profitiert und ein ganz angenehmes Auskommen als Angestellte einer Behörde gehabt. Jedenfalls reagierte sie gereizt darauf, wenn ich auch nur leise eine gewisse Kritik am großen Vorsitzenden anklingen ließ. Über die ganze Zeit wolle sie nicht gerne reden. Zur Kulturrevolution, bei der es ziemlich gewalttätig zuging, sagte sie nur, dass damals alle Schulen und Universitäten geschlossen gewesen seien, jahrelang, und man habe deshalb zu der Zeit gar nichts lernen oder studieren können.

Sie war sehr freigiebig und steckte mir immer irgendetwas zu, wenn ich sie besuchte, Obst, Gebäck, Nudeltaschen und aus ihrer Sammlung von Mützen eine Baseballkappe, die ich später Monatelang immer auf dem Kopf hatte. Sie war hübsch, in hellem Fliederrosa und knallroten chinesischen Schriftzügen an der Stirnseite, die besagten: „Willkommen in Wuxi, der Perle am See Taihu“.

Sie hatte Krebs in der Brust. Eine Operation vor zwei Jahren hatte vorläufig Ruhe gebracht, aber die Ärzte hatten ihr gesagt, dass man abwarten müsse, ob sich noch irgendwo ein Erreger zeige oder nicht. Oft sprachen wir über ihre Krebskrankheit, ihre Angst vor dem Tod. Viele Leute waren krebskrank. Gao zeigte mir einen Zeitungs-Artikel, aus dem hervorging, dass die Krebserkrankungen in China in den letzten 30 Jahren um 80 % zugenommen hätten. Shanghai sei die Stadt mit der höchsten Krebsrate in ganz China. Über 200 000 Menschen seien zurzeit in Shanghai an Krebs erkrankt.Das sei vor allem auf das Rauchen zurückzuführen, auf schlechte Ernährung und Stress, sagte der Sprecher einer Gesundheitsbehörde. Aber Wissenschaftler der Universität Beijing sagten, vor allem die Luftverschmutzung sei daran schuld, denn Lungenkrebs war die häufigste Art der Krebserkrankung. In meinen Augen ist es ganz klar, dass die Luft, hochgradig verdreckt im Osten des Landes, ihren Zoll fordert. Und die Lebensmittel sind ähnlich intensiv mit Schadstoffen durchsetzt wie in der westlichen Welt. Auch das Wasser, das es überall zu kaufen gibt und das in den meisten Haushalten in kleinen Wasserfässern gelagert wird, ist kein Quellwasser, sondern gereinigtes, also wieder aufbereitetes Wasser und vermutlich befinden sich noch Schwermetalle und andere Rückstände in ihm. Eine große Gefahrenquelle sind auch die von Düngemitteln, Insektenabwehr und Präservierung vergifteten Lebensmittel. In den letzten Jahren ist in der Bevölkerung das Bewusstsein, dass daran etwas geändert werden muss, gewachsen. Auch die Presse bringt immer wieder erschütternde Berichte von bewusst vergifteten Lebensmitteln. Aber ändert sich etwas? Es gibt zwar Lebensmittel, die sich „Bio“ nennen, aber die sind dermassen teuer, dass sie sich nur die Reichen leisten können und ausserdem hat es sich wahrscheinlich auch schon herumgesprochen, dass man die dazu gehörigen Öko-Label einfach kaufen kann. Sie sind ziemlich teuer und sagen deshalb mehr aus über die Finanzkraft des Herstellers als über die Qualität seiner Produkte.

Gao sah ich jetzt regelmäßig ein bis zwei Mal in der Woche, manchmal gingen wir spazieren oder machten kleine Ausflüge mit dem Fahrrad, meistens aber lernten wir Deutsch und Chinesisch zusammen und allmählich ergab sich eine gewisse Vertrautheit zwischen uns und weil das Sofa in meiner Wohnung so klein und hart war, lud ich Gao nach einiger Zeit ein, sich mit mir auf das große Bett zu legen, das nur ein paar Meter vom Sofa entfernt im selben Raum stand. Sie sträubte sich lange dagegen, aber schließlich willigte sie doch ein und wenn ich nicht eine Freundin in Deutschland gehabt hätte, der ich treu sein wollte und die ich in wenigen Monaten wiederzusehen gedachte, wäre es dort sicherlich zu Zärtlichkeiten gekommen.

Wie ich in China ein Kind bekam

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