Читать книгу Dornröschen muss sterben - Ulrike Barow - Страница 22

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Britta hatte es nicht mehr ausgehalten und Marco Schneider gebeten, einen Ersatz für sie an den Strand zu schicken.

Er hatte genickt. »Mach dir keine Sorgen, ich sage Peter Bescheid. Schließlich gehört er auch als Betreuer zu deiner Gruppe. Er hatte ja heute Nachmittag ein paar Stunden Ruhe, und gleich ist sowieso Abendessenzeit. Das kriegen wir schon hin. Und, falls du jemanden zum Reden brauchst, jederzeit, weißt du?«

Britta lächelte ihm zu. »Danke für das Angebot. Später vielleicht. Schau mal, deine Frau will, glaube ich, etwas von dir. Sie schaut schon die ganze Zeit rüber.«

»Weißt du was? Das ist mir scheißegal.« Britta sah Marcos Erschrecken über die eigenen Worte, aber auch Wut und Entschlossenheit. Sie wussten beide, dass seine Worte haargenau seine Empfindungen ausgedrückt hatten. »Du kannst das gelbe NTB-Fahrrad nehmen, wenn du willst. Lass dir Zeit. Hier läuft schon alles.«

Britta bekam den letzten Satz gerade noch so mit, als sie schon aus der Halle lief. Sie schnappte sich das Rad und fuhr los. Sie hatte Marco nicht mal gesagt, dass sie zum Hafen wollte, aber er würde es sich denken können.

Es war der reinste Slalom. Kurz vor der evangelischen Kirche wäre sie beinahe schwer gestürzt. Zwar hatte sie den Dackel auf der rechten Seite der Straße am Fischerhäuschen gesehen, aber nicht, dass dessen Herrchen gegenüber auf dem Fußweg bei der Kirche lief. Die lange Hundeleine überspannte den Fahrweg komplett. Britta bremste scharf und mochte sich nicht ausmalen, was passiert wäre, hätte sich die Leine in ihrem Vorderrad verheddert. Sie sprang vom Rad, doch ehe sie sich zu einer scharfen Zurechtweisung aufraffen konnte, hatte sich der Mann schon bei ihr entschuldigt und seinen Hund kurz genommen. »Es tut mir leid, ich war völlig in Gedanken«, erklärte er.

Sie nickte. Das konnte sie gut nachvollziehen, ging es ihr doch den ganzen Tag nicht anders.

Ihre Beine zitterten noch leicht, als sie wieder aufs Rad stieg.

Je näher sie dem Hafen kam, desto ruhiger wurde es auf den Straßen. Das Abendschiff war schon nach Neßmersiel unterwegs und würde erst in gut anderthalb Stunden mit neuen Gästen wiederkommen. Auch im Bootshafen war nicht viel los, die meisten Schiffseigner waren wohl auch am Strand und genossen das Badeleben. Der leicht modrige Geruch schlickigen Wattbodens stieg ihr in die Nase.

Am Bootshaus sah sie den Mann sitzen, den Hendrik ihr gestern als Hafenaufseher beschrieben hatte. Mit seinem blau-weißen Fischerhemd sah er aus wie der Seemann schlechthin, fand sie. Wenn er nur nicht so griesgrämig gucken würde! Sie stellte ihr Fahrrad ab und lief zur Antje, die an ihrer Anlegestelle dümpelte. Britta wünschte sich sehr, Hendrik auf dem Schiff zu finden

Es schien, als hätte sie kein Glück. Auch auf den Nachbarliegern rührte sich nichts. Britta war maßlos enttäuscht. Aber klar, warum sollte er auch ausgerechnet jetzt an Bord sein? Sie hatten sich ja erst für abends verabredet. Aber gerade jetzt hätte sie ihn so gebraucht.

Zwar hatte sie nicht die geringste Ahnung, ob es ihn überhaupt interessierte, ihren Problemen zuzuhören. Sie kannten sich erst drei Tage, und dieses Kennen stand unter dem Motto: Strand, Sonne, Urlaub, Unbeschwertheit. Doch irgendwie in ihrem Innern meinte sie zu spüren, dass da unter Umständen ein ganz klein bisschen mehr sein müsste als nur Lust am Urlaubsstrand.

Es nützte nichts. Er war nicht da. Würde sie eben zurückfahren. Oder aufs Boot klettern und warten.

Ein Boot betreten in Abwesenheit des Eigners, das ist wie in eine Wohnung einbrechen, hatte Hendrik ihr erzählt.

Egal, sie würde warten. Wenigstens eine Weile!

Sie zog das Schiff an der Achterleine näher an den schmalen Steg, und mit einem beherzten Sprung über die Reling landete sie in der Plicht.

Gerade wollte sie es sich auf einer der Sitzbänke bequem machen, da meinte sie ein Stöhnen oder Schnarchen zu hören. Sie schaute sich um, konnte aber niemanden entdecken.

Da war es wieder. Das Schnarchen. Und wie es sich anhörte, kam das Geräusch von gar nicht so weit her: direkt aus der Kabine der Antje. Britta klopfte vorsichtig an der Kajüttür. Nichts! Sie klopfte wieder und bemerkte, dass die Tür nur angelehnt war. Vorsichtig öffnete sie.

Sie traute ihren Augen kaum. Da lag Hendrik rücklings und nur mit Boxershorts bekleidet auf dem Boden der Kajüte und schlief tief und fest. Seine nackten Füße zuckten leicht und streckten sich ihr wie zur Begrüßung entgegen. Aus dem kleinen Raum stieg Britta mit jedem Einatmen der Duft des schottischen Hochlandes in die Nase. Auch der Eindruck, dass auf dem Hochland ein paar Schafe und Rinder geweidet hatten, wurde mit jedem Atemzug stärker.

Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Besoffen am helllichten Tag! Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Wie sollte sie mit dem Mann in dem Zustand denn reden können? Sie würde gehen. Ganz einfach wieder gehen. Männer! Sie drehte sich um, dann zögerte sie.

Wenn er doch ein ganz kleines bisschen wach würde … Irgendwie sah er auch süß aus, so unschuldig, wie er da lag. Und sie brauchte ihn. Sie kitzelte ihn an seinem großen Zeh. Er rührte sich nicht. Sie zwickte ihn leicht. Noch immer nichts. Sie kniff beherzt zu. Das hatte Erfolg. Mit lautem Stöhnen öffnete Hendrik seine Augen – und erstarrte.

»Was um alles in der Welt machst du denn hier?«, krächzte er.

»Danke der Nachfrage. Ich wollte dich sehen. Scheinbar aber keine so gute Idee. Ich geh dann mal.« Britta drehte sich um und stieg entschlossen den Niedergang hinauf.

»Nein, warte, war doch nicht so gemeint. Ich bin nur gerade aus dem Tiefschlaf gekommen.«

Sie zögerte. Sollte sie gehen oder nicht? Britta entschloss sich zu bleiben. Sie setzte sich auf den kleinen Hocker im Heck des Bootes und gab Hendrik Zeit, sich aus seiner unbequemen Lage zu befreien. Es schien ihr, als brauchte er ungewöhnlich lange, bis er endlich, bekleidet mit T-Shirt und kurzer Hose, in der Hand eine Flasche Mineralwasser, aus der Kajüte auftauchte und sich neben sie setzte. Das Rot seiner Augen sprach immer noch Bände.

»Du musst ja nicht, aber willst du mir die Geschichte deines Zustandes näherbringen?«, fragte Britta.

»Tja, das war so«, begann er, »ich habe heute Morgen einen alten Bekannten getroffen und einen neuen kennengelernt, und das war es doch wohl wert, darauf einen zu nehmen, oder nicht?«

»Komisch, ich hatte bei deinem Anruf überhaupt nicht das Gefühl, du hättest einen im Tee.« Warum konnte Britta sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie gerade mit einer Lügengeschichte konfrontiert wurde?

»Soll das hier ein Verhör werden, oder was?« Hendrik schüttelte den Kopf. »Kommst hier rein, weckst mich und ich soll dir Rede und Antwort stehen. So nicht, da habe ich keinen Bock drauf.«

»Nun blas dich mal nicht künstlich auf. Mach doch, was du willst, mir doch egal, wie du deine Tage verbringst. Konnte ich doch nicht ahnen, dass du Komasaufen toll findest. Ich geh dann mal. Du kannst dich ja melden, wenn du wieder nüchtern bist.«

Wütend stand Britta auf, aber Hendrik zog sie am Arm wieder neben sich.

»Entschuldige. Wir fangen das Gespräch noch einmal neu an. Gib mir ein paar Minuten. Ich schleudere mir einen Eimer Wasser ins Gesicht und wir gehen auf die Terrasse vom Hotel Witthus, einen Kaffee trinken.«

*

Leicht schwankend kletterte Hendrik zurück in die Kajüte seines Bootes. Er warf einen vorsichtigen Blick in den kleinen Spiegel, den er neben der Tür des Niederganges angebracht hatte, und zuckte zusammen. Ihm wurde klar, dass nicht einmal drei Eimer Wasser seinen roten Augen und seiner unter der Seemannsbräune fast bleichen Gesichtsfarbe wieder zu einem einigermaßen gesunden Aussehen verhelfen würden. Ihm war schlecht, so schlecht wie es einem nur sein konnte, zwei Stunden nach einem Saufgelage, aber außergewöhnliche Situationen erforderten außergewöhnliche Maßnahmen. Denn eines erschien ihm jetzt am wichtigsten, nämlich Britta aus der direkten Nachbarschaft des Schauplatzes seiner nachmittäglichen Aktivitäten wegzubringen. Nicht vorzustellen, dass Schnucki auch noch zu ihrer fröhlichen Runde stoßen würde. Diese Situation wäre schlichtweg nicht auszudenken. Er nahm jedoch an, dass sie ebenfalls selig in Morpheus’ Armen lag. Aber wissen konnte man das natürlich nicht. Sein Kopf dröhnte bei dem Gedanken, die beiden Frauen könnten aufeinandertreffen. Er wusste, Frauen waren entsetzlich nachtragend!

»Wasch dir mal über die Hand. Ich glaube, du hast geblutet«, hörte er Brittas Stimme. Er schaute auf seine Hand, zuckte unwirsch mit den Schultern und murmelte: »Lieber nicht, fängt sonst nur wieder von neuem an.«

Dornröschen muss sterben

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