Читать книгу Dornröschen muss sterben - Ulrike Barow - Страница 25

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Inselpolizist Michael Röder und Thomas Zahn, ein Kollege vom Festland, der im Sommer als Verstärkung aushalf, hatten in dem kleinen Büro der Polizeidienststelle Teepause gemacht, als der Einsatzbefehl von der Leitstelle gekommen war. Verblüfft hatten sie sich angeschaut, denn der Kollege hatte von »literweise Blut« gesprochen, und dass er daraufhin auch die Ärztin alarmiert habe.

»Wenn das man kein Dummejungenstreich ist«, hatte Röder gesagt. »So nach dem Motto: Sollen die sich auch ruhig mal bewegen.«

Als sie mit ihren Fahrrädern am Sportboothafen ankamen, war ihnen klar, dass tatsächlich etwas passiert sein musste. Am Ende des ersten Quersteges scharte sich eine kleine Gruppe um einen Mann, der laut schluchzend auf dem Steg saß. Ein brauner Terrier, der seine Leine hinter sich herzog, begrüßte die Polizisten mit lautem Bellen.

»Was ist passiert?«, fragte Röder den Hafenmeister, der abseits der Gruppe stand und betont gleichgültig ins Hafenbecken blickte.

Der sagte nur: »Da drin in der Achteran. Mausetot ist die.«

Die Gruppe machte ihnen bereitwillig Platz. Die Kajütentür der Achteran stand weit offen und den beiden Polizisten bot sich ein Bild, das sich wohl für lange in ihr Gedächtnis einbrennen würde.

Halb auf der Sitzbank und halb auf dem Boden lag eine Frau. Der nackte Oberkörper war von oben bis unten mit Blut verschmiert. Überall lag zerbrochenes Glas und es roch beißend nach Alkohol, obwohl die Kajütentür sicherlich schon eine Zeit lang offen gestanden hatte. Eine leere Flasche rollte mit der Bewegung des Bootes in einem See von Blut hin und her.

Der Kopf der Toten lag angewinkelt auf der Bank, um den Hals festgezurrt sahen sie einen weißen Spitzenbüstenhalter.

Ihr kleiner Slip war bis zu den Knien hinabgezogen.

Michael Röder wurden die Beine weich. Er schaute seinen Kollegen an und stellte fest, dass es dem auch nicht besser ging. Sie nickten sich aufmunternd zu und drehten sich um.

»Weiß jemand, was hier passiert ist?«, fragte Thomas Zahn. »Wer ist die Dame und wer hat sie gefunden?«

»Ich, ich habe sie gefunden. Das ist doch meine Frau.« Der Rest seiner Worte ging in haltlosem Schluchzen unter. Sie würden wohl auf die Ärztin und ein Beruhigungsmittel warten müssen. Der Mann hatte einen Schock, dem war jetzt nichts mehr zu entlocken.

»Wer hat die Polizei gerufen?« Michael Röder schaute sich um.

»Ich«, meldete sich Klaas Bengen unwirsch. »Der Mann hat geschrien. Da bin ich hin. Ich habe dann den Notruf gewählt. Was sollte ich sonst machen?«

»Wissen Sie, wie der Eigner des Bootes heißt?«

Klaas Bengen schaute zu dem Mann, der zusammengesunken auf dem Steg saß. »Nee, weiß ich nicht. Ich habe keinen Anmeldezettel. Obwohl er schon zwei Tage hier ist!« Die Stimme des Hafenaufsehers klang drohend.

»Haben Sie hier sonst noch jemanden gesehen?«, fragte Röder.

»Nein. Außer dem da war sonst keiner hier. Alle weggegangen.« Offenbar in der Annahme, dass er nichts mehr zur Aufklärung beitragen musste, drehte sich der Hafenmeister um und schlurfte davon.

Die beiden Polizisten ließen ihn gewähren, denn in diesem Moment hielt der Krankenwagen in Höhe des Bootshauses. Dr. Ellen Neubert, die Inselärztin, kam mit den beiden Rettungsassistenten über den Steg gelaufen. »Was steht an?«

»Da drin liegt eine Frau«, antwortete Röder. »Blutüberströmt. Ich denke, dass sie tot ist, aber das kannst du sicher besser beurteilen. Kleine Warnung: Es ist kein schöner Anblick …«

Dr. Neubert trat vor die geöffnete Kajütentür und verharrte dort einen Moment. Dann gab sie sich sichtlich einen Ruck. »Ich neige dazu, deine Meinung zu teilen, Michael, aber ich muss mir ein genaues Bild verschaffen.«

Sie stieg vorsichtig die fünf Stufen hinunter, die in das Innere der Achteran führten. Michael Röder sah, dass die Ärztin sich auch ohne Aufforderung bemühte, mit möglichst wenigen Dingen in Berührung zu kommen. Besonders achtete sie darauf, nicht in die Blutlache zu treten, die sich um die Frau gesammelt hatte. Ganz gelang es ihr jedoch nicht.

Von Nahem betrachtet gab es für sie offenbar keinen Zweifel. »Die Frau ist tot. Die ersten Totenflecken sind bereits ausgebildet.« Dr. Neubert zeigte auf den Büstenhalter, der der Toten um den Hals geschlungen worden war und sich tief in die Haut gegraben hatte. »Wer auch immer wollte, dass dieser Frau gründlich die Luft abgeschnürt werden sollte, hat ganze Arbeit geleistet.«

Sie betrachtete die Schnitte, die sich über den Körper verteilten. »Zwischen den Schnitten sind auch einige kreisrunde Löcher, die wie Einstiche aussehen. Sie müssen mit etwas sehr Spitzem ausgeführt worden sein.« Sie drehte sich zu den Polizisten um. »Meine Arbeit ist beendet, meine Herren. Dies ist ein Fall von unnatürlicher Todesursache. Jetzt müssen eure Fachleute ran. Hier hat der gemeine Arzt nichts mehr zu suchen.«

Man merkte Dr. Neubert äußerlich in diesem Moment nicht an, dass sie gar nicht so undankbar über diesen Umstand war.

Aber es gibt eben sonne und solche Todesfälle, dachte Röder, und dieser war ganz eindeutig einer von den anderen. Die Frau war grausam zugerichtet worden. Oder hergerichtet? Nein, dachte er, hingerichtet. Das war das richtige Wort für seinen Eindruck von dieser Situation.

»So, meine Herrschaften, ich möchte Sie bitten, diesen Steg zu verlassen«, wandte er sich an die immer größer werdende Menschentraube, die neugierig auf die Unglücksstelle starrte. »Aber warten Sie bitte oben vor dem Häuschen der DGzRS auf uns. Wir möchten Ihnen gleich noch ein paar Fragen stellen. Es wäre schön, wenn Sie sich so lange um den Hund kümmern würden, bis wir da sind.« Der Terrier lief immer noch bellend von einem Steg zum anderen und genoss, dass am anderen Ende der Leine keiner war, der ihn hielt. »Und Sie«, Röder wandte sich dem Mann zu, der inzwischen völlig apathisch auf einer Decke liegend von der Ärztin versorgt wurde, »können Sie mir bitte Ihren Namen nennen?«

»Klaus, Klaus Kuhlmann. Und das ist mein Boot. Und da drin ist …« Seine Stimme versagte wieder und Ellen Neubert schüttelte den Kopf.

»Lass man, da geht jetzt nichts mehr. Wir nehmen ihn jetzt erst mal mit in die Praxis. Ich rufe dich an, wenn er ansprechbar ist.«

Die beiden Rettungsassistenten hatten derweil die Trage aus dem KTW geholt. Vorsichtig legten sie Klaus Kuhlmann darauf und wollten ihn zum Fahrzeug schieben, als der Mann sich aufrichtete und schrie: »Nein, ich kann Hedda doch nicht alleine lassen. Lasst mich sofort hier runter.« Mit Mühe gelang es den beiden, Klaus Kuhlmann mitsamt der Trage auf dem schmalen, wackeligen Steg zu halten. Erst als auch Michael Röder und Thomas Zahn zugriffen, stabilisierte sich die Lage.

Dr. Neubert sprach beschwichtigend auf den verzweifelten Mann ein, der sich trotz der Spritze, die sie ihm bereits gegeben hatte, noch nicht beruhigen konnte. »Herr Kuhlmann, ich weiß, es ist leicht gesagt, aber bitte fassen Sie sich. Sie stehen unter Schock. Ich muss Sie mit in die Praxis nehmen. Die Polizisten werden sich um alles kümmern.«

»Auch um Wuffel?«

Die Ärztin schaute Kuhlmann fragend an, dann fiel ihr Blick auf den Hund. »Auch um Wuffel«, versicherte sie ihm.

Michael Röder schaute dem Krankenwagen nach, der sich seinen Weg zur Praxis der Inselärztin bahnte. »Thomas, holst du Flatterband und das dicke Vorhängeschloss, das in der Schublade unter dem Computer liegt? Nimm den Hund mit und bring ihn meiner Frau. Sie wird sich um ihn kümmern. Das Boot werden wir jetzt beschlagnahmen, und dafür Sorge tragen, dass sich ihm keiner mehr nähert. Ich werde erste Spuren sichern und dann die Leute befragen. Mit dem Mann des Opfers können wir uns hoffentlich auch noch unterhalten. Dann hätten wir vielleicht schon ein paar Informationen, die wir den Kollegen vom Festland auf den Tisch legen können. Ich werde jetzt mit Aurich telefonieren.«

Röder schloss die Kajütentür. Er hoffte, dass seine Kollegen vom 1. Fachdezernat für Brand- und Todesermittlungen noch heute auf die Insel kämen. Der durchdringende Geruch nach Alkohol und Blut, der aus der Kajüte kam, wurde durch die Sonneneinstrahlung auf das Kunststoffdach und die dadurch entstandene Wärme in dem Raum kräftig verstärkt. Aber solange die Fachkollegen nicht da waren, durfte nichts verändert werden.

Er griff zum Telefon und rief bei der Reederei an. Glücklicherweise war der Chef im Hause und versicherte ihm, dass die Baltrum III, problemlos den Neßmersieler Hafen ansteuern könnte. »Zwei Stunden gibt uns die Tide noch. Das sollte zu schaffen sein. Wann sind denn Ihre Kollegen aus Aurich da?«

»Ich werde gleich anfragen, schätze aber mal, gegen halb neun. Das müsste klappen.«

»Gut, ich sage der Besatzung Bescheid, die wird sich dann entsprechend auf den Weg machen.«

Dornröschen muss sterben

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