Читать книгу Blinder Hass - Ulrike Puderbach - Страница 10
Sonntag, 12:00 Uhr
ОглавлениеMarina und Robert hielten vor der kleinen Pension neben dem Hauptbahnhof. Direkt neben Marinas Wagen stand der Dodge von Professor Hofmann. „Na der wird auch begeistert sein, dass er heute schon wieder antreten muss“, sagte Robert mit einem Seitenblick auf das Auto. An der Rezeption wurden sie bereits von den Kollegen des KDD, Professor Hofmann, der Pensionsbesitzerin und einem ziemlich aufgelösten Zimmermädchen erwartet. „Wieso muss so etwas immer bei mir passieren?“ lamentierte die Besitzerin. „Die Polizei im Haus, das ist nicht gut fürs Geschäft.“ „Vielleicht sollte sie die Zimmer nicht stundenweise vermieten, das würde das Risiko minimieren“, raunte Robert seiner Kollegin ins Ohr. Dabei blitzte sein Lausbubengrinsen auf. Marina schüttelte den Kopf. „Du wirst dich nie ändern“, lächelte sie. „Wenn die beiden Turteltauben da vorne dann mal soweit wären …“, mischte sich Hofmann übellaunig ein. „… dann könnten wir uns die Bescherung endlich ansehen. Ich habe mit meinem Sonntag wirklich noch was Besseres vor, als dauernd diesen mordenden Irren ihre Leichenteile hinterher zu räumen.“ Die beiden Kommissare blickten sich an und folgten dann der Besitzerin und Hofmann die ausgetretenen Treppenstufen hinauf in den ersten Stock. Bis auf eine Tür waren alle Türen verschlossen. Marina und Robert hielten sich zunächst hinter dem Gerichtsmediziner, bis der sie herein rief. Beim Anblick der Leiche stockte beiden der Atem, Marina griff instinktiv nach dem Arm ihres Kollegen und wandte den Kopf für einen Moment ab. Auf dem Bett lag eine weibliche Leiche, oder das was davon noch übrig war. Die Frau war de facto zu Tode geprügelt worden. Sie lag auf dem Bauch, die ganze Rückseite ihres Körpers war ein einziger blutiger Brei. Vereinzelt waren zwischen dem verkrusteten Blut tiefe Striemen wie von einer Peitsche oder einem Lederriemen zu erkennen. Die Augen der Frau waren weit aufgerissen und hervorgequollen, in und um sie zeigten sich die für den Tod durch Erdrosseln typischen Petechien. Robert verzog angewidert das Gesicht. „Der Typ ist eine Bestie“, sagte er zu Marina gewandt, die ziemlich blass um die Nase geworden war. „Ich weiß nicht, was das in ihm ausgelöst hat, aber er kennt kein Maß in seinem unbändigen Hass.“ „Mein Gott“, stöhnte seine Kollegin. „Die arme Frau, sie muss Höllenqualen gelitten haben, bevor sie endlich tot war.“ Hofmann hatte sich inzwischen an der Leiche zu schaffen gemacht. Er drückte auf die Stellen, wo noch Haut war und maß die Temperatur im Rektum. „36,4° - das heißt der Todeszeitpunkt liegt zwischen 1:00 und 2:00 Uhr heute Nacht. Die Leichenflecken lassen sich nur noch zum Teil wegdrücken, also ein weiteres Anzeichen dafür, dass ihr Tod knapp zwölf Stunden zurück liegt.“ „Woran ist sie letztlich gestorben?“ wollte Robert wissen. Hofmann zog die linke Augenbraue hoch, wie er es häufig tat, bevor er antwortete. „Den letzten Rest hat ihr das Erdrosseln gegeben, die Tatwaffe war ein ziemlich breiter Gegenstand, könnte ein Ledergürtel oder ein anderer circa fünf Zentimeter breiter Gurt gewesen sein. Die Würgemale am Hals sind recht breit, genau wie ein großer Teil der Striemen auf dem Rücken und dem restlichen Körper. Ich tippe auf einen klassischen Ledergürtel, wie ihn fast jeder zur Jeans trägt. Dürfte allerdings nach dieser Veranstaltung hier unbrauchbar geworden sein. Das Blut wird wohl nicht mehr rausgehen. Ohne das Erdrosseln allerdings wäre sie mit ziemlicher Sicherheit an den inneren Verletzungen gestorben, die er ihr durch die Schläge zugefügt hat. Ich muss mir das in der Rechtsmedizin noch genau angucken, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie multiple innere Verletzungen davon getragen hat. An den Hand- und Fußgelenken hat sie Scheuerspuren, wahrscheinlich von einem Strick oder einem Seil.“ Hofmann schüttelte den Kopf. „Dass die immer so eine verdammte Sauerei machen müssen. Und wer muss den Mist dann hinterher zusammenkehren?“ Die beiden Kommissare blickten sich an. „Das ist eine komplett andere Handschrift, ich bin mir nicht sicher, ob das unser Täter von gestern Nacht wieder ist.“ „Was wäre, wenn irgendetwas in ihm diesen Wahnsinn ausgelöst hat und er jetzt ausprobiert? Was, wenn das gestern sein erster Mord war?“ gab Marina zu bedenken. „Ich weiß es wirklich nicht.“ Robert wandte sich an die Besitzerin des Stundenhotels. „Haben Sie einen Namen oder sonst irgendwelche Informationen für uns?“ Die Besitzerin zog die Augenbrauen in die Höhe, bis sie unter dem strähnigen Pony verschwunden waren. „Klar, hier legt ja auch jeder Gast einen Ausweis vor“, ihre Stimme triefte vor Sarkasmus. „Genau wegen der Anonymität kommen die Leute hierhin. Und wenn sie mitkriegen, dass hier die Polizei ein- und ausgeht, kann ich den Laden gleich dichtmachen.“ Robert wollte auffahren, aber Marina legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. Dann drehte sie sich zu der Gastwirtin um. Ihre Stimme war ganz ruhig, aber so eiskalt, dass sich selbst Robert die Härchen in seinem Nacken aufstellten. „Jetzt sage ich Ihnen mal was, gute Frau. Es wäre extrem vorteilhaft, wenn Sie sich ein wenig mehr Mühe gäben und uns alle Informationen geben, an die sie sich erinnern – und zwar ASAP. Sonst dauert es keine vierundzwanzig Stunden, bis die Spatzen es in der ganzen Stadt von den Dächern pfeifen, dass es in dieser Pension fast täglich eine Razzia der Sitte und des Drogendezernats gibt. Und dann möchte ich mal sehen, wie lange Sie Ihre Zimmer noch vermieten. Also, was ist jetzt?“ Die Besitzerin war bleich geworden. „Er ist gegen 21:20 Uhr mit der Frau hierhergekommen und hat die fünfzig Euro für die ganze Nacht im Voraus bezahlt. Mir war klar, dass die beiden nicht verheiratet waren – zumindest nicht miteinander – und dass sie das Zimmer für ein Schäferstündchen haben wollten. Deswegen habe ich mir auch nichts weiter dabei gedacht, als er sagte, sie wollten ein abgelegenes Zimmer und nicht gestört werden“, fügte sie entschuldigend hinzu. „Können Sie den Mann beschreiben?“ fragte Robert. Innerlich grinste er – es hatte funktioniert, ihr altbewährtes Spiel „Guter Bulle – böser Bulle“. Die Wirtin überlegte einen Moment. „Er sah ziemlich durchschnittlich aus, ca. 1,80 m groß, schlank, dunkle Haare mit einigen grauen Strähnen. Alles in allem sah er aus wie ein Versicherungsvertreter oder Bankangestellter.“ „Super“, dachte sich Robert und wandte sich in Richtung Marina ab. „So sehen Millionen Menschen in dieser Stadt aus.“ „Warten Sie, da war doch etwas Besonderes an dem Mann“, sagte die Wirtin auf einmal. „Er hatte zwei verschiedenfarbige Augen, eins blau, eins grün.“ Robert drehte sich abrupt wieder um. „Was haben Sie gesagt? Der Mann hatte zwei verschiedenfarbige Augen? Das ist allerdings ein seltenes Merkmal. Vielleicht bringt uns das weiter.“ An Hofmann gewandt fragte er: „Brauchen Sie uns hier noch?“ „Nein, ich warte noch, bis das Abholkommando kommt und lasse mir die Reste in die Rechtsmedizin liefern. Aber unterstehen Sie beide sich morgen vor Nachmittag bei mir aufzukreuzen. Ich habe eine Menge zu tun.“ Marina lächelte ihn gequält an. „Keine Bange Professor, wir werden uns beherrschen.“ „Ich weiß gar nicht, was Sie gegen mein wunderbares Labor haben“, konterte der Gerichtsmediziner. Die beiden Kommissare verabschiedeten sich und gingen zurück zu Marinas Wagen. Auf dem Weg zu Roberts Haus schwiegen sie und hingen beide ihren Gedanken nach. Es war ein ereignisreiches Wochenende gewesen und sie wurden beide das Gefühl nicht los, als würde sich ein riesiger schwarzer Schatten über sie schieben. Das hier war erst der Anfang, da war sich zumindest Robert sicher.