Читать книгу Blinder Hass - Ulrike Puderbach - Страница 14
Montag, 11:30 Uhr
ОглавлениеJürgen Holsten betrat das Büro pünktlich auf die Minute. Er war Mitte Dreißig, schlank und sehr gepflegt. Seine braunen kurz geschnittenen Haare passten perfekt zu den braunen Augen und dem leicht gebräunten Teint. Er hatte ebenmäßige Gesichtszüge, wirkte jedoch abweisend, um nicht zu sagen arrogant. Jürgen Holsten war das Wunderkind der Polizeischule gewesen, jede Prüfung hatte er mit Auszeichnung gemeistert und neben der Ausbildung hatte er Psychologie studiert, um sich dann auf den Bereich des Profiling spezialisieren zu können. Er begrüßte die vier Kommissare und Schulze und begab sich dann umgehend zum Flipchart, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Jürgen Holsten betrachtete die von Marina zusammengetragenen Informationen mit schräggelegtem Kopf und hochgezogenen Augenbrauen. Auf eine ganz unbestimmte Art erinnerte er sie dabei an Robert, wie er kurz zuvor vor diesem Flipchart gestanden hatte. ‚Er hätte bestimmt auch das Zeug zu einem guten Profiler gehabt‘, ging es ihr durch den Kopf. Doch sie war froh, dass er sich anders entschieden hatte und sie ihn als Kollegen haben durfte. „Viel ist das hier wirklich noch nicht“, gab Holsten zu bedenken. „Ich möchte mir auf jeden Fall noch in der Gerichtsmedizin ein Bild der beiden Taten machen, bevor ich Ihnen ein ausführliches Täterprofil erstellen kann. Was bei den beiden Morden direkt ins Auge fällt, ist die unglaubliche Brutalität, mit der unser Täter vorgeht. Das lässt mit ziemlicher Sicherheit darauf schließen, dass es sich um einen Mann handelt. Frauen morden auf eine andere Weise - wesentlich subtiler und sie verabscheuen häufig Blut, vor allem in den Mengen, wie wir es hier finden. Sollte es sich um ein und dieselbe Person handeln, die die Taten verübt hat, wovon wir hier hypothetisch einmal ausgehen, dann ist er zwar ein Serienkiller, aber noch kein erfahrener. Es wirkt ein wenig, als würde er sich selbst ausprobieren. Was die plötzliche Bereitschaft zu morden ausgelöst hat, ist schwer zu sagen, es muss sich auf jeden Fall um ein Schlüsselerlebnis handeln, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der frühen Kindheit des Täters verborgen liegt. Er hat es über Jahre, eventuell Jahrzehnte verdrängt und jetzt hat es ein Erlebnis in seinem Alltag gegeben, das all diese Erinnerungen wieder an die Oberfläche kommen lässt. Das kann alles Mögliche sein – eine beendete Beziehung, Probleme im Beruf bis hin zum Jobverlust, Zurückweisung von einer ihm wichtigen Person. Unser Mann ist wahrscheinlich zwischen Mitte Dreißig und Anfang Fünfzig, er ist eine absolut unauffällige Persönlichkeit – man könnte auch sagen durchschnittlich – mit einem ganz normalen Leben. Nicht besonders attraktiv, aber auch nicht hässlich. Er geht einer geregelten Arbeit nach, lebt in einem Reihenhaus oder einer Wohnung in einer guten Gegend und verfügt über eine gehobene Ausbildung, möglicherweise Abitur mit anschließendem Studium. Von den Nachbarn und dem sozialen Umfeld wird er geachtet und respektiert, über enge Freunde verfügt er allerdings eher nicht, weil er ein Einzelgänger ist. Genau deswegen wird er sehr schwer werden, ihn zu finden, er hebt sich in der Masse absolut nicht ab, in der Menge wird er unsichtbar und das ist sein Vorteil.“ Er wandte sich mit einem entschuldigenden Schulterzucken zu den vier Kollegen um. „Ich weiß, das ist noch nicht wirklich viel, aber ich hoffe, ich kann Ihnen spätestens morgen mehr sagen, wenn die ersten Ergebnisse aus der Gerichtsmedizin vorliegen.“ ‚Der ist doch gar nicht so eigenbrötlerisch wie alle immer sagen‘, dachte Marina bei sich. Sie trat einen Schritt auf Holsten zu. „Vielen Dank, das ist doch schon einmal eine ganze Menge mehr als wir bis jetzt wussten. Möchten Sie einen Kaffee?“ „Ja danke, das wäre sehr nett.“ Sie nahmen alle fünf an dem kleinen Tisch Platz, Robert brachte Holsten und die beiden anderen Kollegen auf den neuesten Stand und berichtete, was sie dieses Wochenende vorgefunden hatten. Alle drei hörten aufmerksam zu und Holsten machte sich an der einen oder anderen Stelle eine Notiz in seine Kladde. Nachdem er geendet hatte, erhoben sich alle fünf, Robert und Marina fuhren mit Holsten zu Hofmann in die Gerichtsmedizin, Graubner und Lange setzten sich an den Computer, um zunächst in Hannover und bei Bedarf auch deutschlandweit nach älteren Fällen zu suchen, die irgendwelche Ähnlichkeiten aufwiesen.