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23 Jahre später, Hannover Freitag, 17:30 Uhr

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Als er die Tür aufschloss, hörte er laute Musik aus der Küche. Der Ghettoblaster schmetterte „When the sun goes down“ von David Guetta, überall roch es nach frischer Farbe und im Flur standen diverse Türme aus unterschiedlich beschrifteten Kisten. In der Küche balancierte Anna auf der Küchenzeile, die roten Locken in einem Zopf gebändigt, den sie unter eine Baseballkappe von Hannover 96 gesteckt hatte und pinselte munter in der Ecke neben den Hängeschränken. Was war das bitte für eine Farbe? Professor Hofmann hätte sie sehr treffend als leichentuchgrün bezeichnet, auf dem Eimer stand allerdings mintgrün. „Hatten wir uns nicht eigentlich für sonnengelb entschieden, junge Frau?“ fragte er mit gespielter Empörung. Anna, die ganz in ihre Arbeit vertieft gewesen war, drehte sich um – ein bisschen zu heftig und geriet ins Straucheln. Robert ließ alles fallen – auch die Eier in der Einkaufstüte – und fing sie auf. Ihre Augen blitzten und er stellte wieder einmal für sich fest, welches unglaubliche Glück er doch hatte, so eine Frau an seiner Seite zu haben.

Als sie sich vor einem Jahr kennengelernt hatten, war sie noch verschüchtert und extrem verschlossen gewesen. Sie war die Hauptverdächtige in einem Mordfall, den seine Abteilung - das K9 - bearbeitet hatte, und er hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt. Anfangs war Anna noch sehr reserviert gewesen, vor allem wegen der schlimmen Ereignisse in ihrer Ehe, aber nach und nach hatte sie begonnen, damit abzuschließen – komplett vergessen konnte sie nicht, aber das machte auch nichts. Er hatte gelernt, damit zu leben. Von dem Gepolter in der Küche angelockt, streckte der siebzehnjährige Tom seinen Schopf durch die Tür. „Na toll“, grinste er und zeigte auf den Hund, der sich gerade genüsslich über die zerschlagenen Eier in der Einkaufstüte hermachte. „Darf ich unter diesen Umständen davon ausgehen, dass es morgen in diesem Haushalt wohl eher keine Frühstückseier geben wird, wenn ich nicht einkaufen gehe?“ Er rollte gespielt theatralisch mit den Augen. „Wenn man nicht alles selber macht …“, stöhnte er. „Ja, du bist schon wirklich arm dran“, spöttelte Anna. „Ich finde, du solltest dringend das Jugendamt um Hilfe bitten.“ „Und alles nur, weil ich rote Haare habe“, Tom raufte sich den widerspenstigen Schopf. „Heute im Unterricht kam unsere Lehrerin auf die grandiose Idee, Gruppenarbeit zu machen – anderer pädagogischer Ansatz und so. Und was sagt die? Wir machen heute mal Gruppen nach Haarfarbe.“ Tom konnte gut schauspielern und verzog furchtbar leidend das Gesicht. „Darauf ich: Gut, dann bin ich wohl meine eigene Gruppe. War ihr furchtbar peinlich.“ Alle drei lachten schallend. „Danach durfte ich mir dann aussuchen, mit wem ich in eine Gruppe wollte.“

Anna setzte sich auf die Küchenzeile, legte den Kopf schräg und lachte Robert an. „Um deine Frage von eben zu beantworten – bei der Farbe handelt es sich um mintgrün, passt hervorragend zu den dunkelgrünen Blenden. Und ja, wir hatten uns für sonnengelb entschieden – allerdings für den Flur“, lachend schüttelte sie den Kopf. „Bloß gut, dass dein Kopf angewachsen ist. Wie hast du nur jemals die Aufnahmeprüfung für die Polizeischule geschafft?“ Robert blickte sie an. „Na warte, meine Rache wird fürchterlich über dich kommen.“ „Oh, ich habe schon Angst.“ Tom schaltete sich in das Geplänkel ein. „Können wir die Turtelei vielleicht für einen kleinen Moment vergessen und das Einkaufsproblem klären? Grundsätzlich würde ich mich ja bereit erklären, neue Eier und was sonst noch so zu Bruch gegangen ist zu kaufen, schließlich bin ich ein Jugendlicher im Wachstum und muss vernünftig ernährt werden.“ Anna zog skeptisch die Augenbrauen in die Höhe. „Du siehst auch extrem mangelernährt aus, aber wir könnten ja, während du einkaufst, hier ein bisschen zusammen räumen und das Pizzataxi bestellen. Heute Abend streichen wir die Küche fertig und ab morgen können wir dann wieder kochen.“ „Heißt das etwa, dass ich armer hart arbeitender Polizist meinen wohlverdienten Feierabend mit der Farbrolle auf der Leiter verbringen muss?“ „Lass mich kurz überlegen – ja“, kam die prompte Antwort von Anna. Sie grinste mit krausgezogener Nase, was sie locker zehn Jahre jünger wirken ließ.cVor zwei Wochen waren sie in das hübsche Reihenhäuschen in einem Vorort von Hannover gezogen. Fast ein Jahr lang waren sie zwischen Roberts und Annas Wohnung hin- und hergependelt. Für drei Personen und Hund waren beide Wohnungen zu klein, also hatten sie vor ein paar Wochen die Entscheidung getroffen, sich etwas Größeres zu suchen. Für Anna war die Entscheidung nicht leicht gewesen, aber sie hatte sich einmal mehr klar gemacht, dass Robert und Toms Vater nichts miteinander gemein hatten und irgendwann musste man die Schatten der Vergangenheit auch hinter sich lassen. Als sie dann die Anzeige für das Häuschen sahen, in das sie sich auf Anhieb verliebt hatten, hatten sie nicht lange gezögert. Die letzten beiden Wochen waren mit Kisten schleppen, Möbel aufbauen und Anstreichen ins Land gegangen, aber so langsam lichtete sich das Chaos. Tom schnappte sich die Stofftasche, um einkaufen zu gehen, Robert schlüpfte aus der Jeans in die alten Arbeitsklamotten und die beiden machten sich wieder an die Küche. Eine dreiviertel Stunde später klingelte der Pizzalieferant an der Tür, alle setzten sich um den Küchentisch und Tom ging kurz durch den Kopf, dass das hier etwas von einem ganz normalen Familienleben hatte. Ein wenig von der Normalität, die für andere Alltag war.

Blinder Hass

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