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Burg Ehrenberg im Namen des Herrn 1303

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Drei Jahre später verschwindet Wolf von Neipperg. Der Ritter tobt und fragt jeden nach dem Verbleib seines Knappen, der ihm noch vier Jahre bis zu seinem Ritterschlag dienen soll, doch alle schütteln nur ratlos den Kopf. Juliana sitzt mit ihrem Stickzeug in der Kemenate und schweigt. Sie könnte dem Vater sagen, wo er suchen muss. Sie weiß von der Sehnsucht, die mit jedem Jahr stärker in ihm brannte, bis er es nicht mehr aushielt.

Nun ist ihr Freund fort. Sankt Jakob hat ihn zu sich gerufen. Wütend sticht sie die Nadel in die erst zur Hälfte vollendete Rose. Er wird monatelang unterwegs sein. Sie erinnert sich nicht mehr an die Orte, die er ihr aufgezählt hat, doch dass es eine unglaublich lange Reise ist, das weiß sie noch. Lang und gefährlich. Wie viele Pilger finden auf ihrem Weg statt Vergebung den Tod?

Es ist Mai. Sie beginnt, im Stillen zu zählen, wann er zurück sein kann. Bis Sankt Martín? Bis Weihnachten?

Bereits im Oktober steigt sie häufig auf den Bergfried, um nach Wolf Ausschau zu halten. Zu Weihnachten ist er immer noch nicht zurück und auch nicht zum Fest der Heiligen Drei Könige.

Nun, er wird sich die eisige Jahreszeit über irgendwo im Warmen verkriechen, sagt sich das Mädchen. Hoffentlich hat er es nicht zu bequem und muss sich sein Brot hart erarbeiten, denkt sie rachsüchtig. Wie kann er sie einfach so ohne ein Wort verlassen? Haben sie sich nicht im vergangenen Sommer heimlich ewige Liebe und Treue geschworen? Und dann läuft er weg ohne auch nur ein Abschiedswort. Sie wird ihm die Ohren lang ziehen und sein Haar zausen, bis er sie auf Knien um Verzeihung anfleht! – Wenn er erst wieder da ist. Wie lange noch? Trotz der Kälte macht sie sich wieder einmal auf, die endlose Folge von Stufen hoch bis auf die Plattform des Bergfrieds. Samuel begrüßt sie. Er hat sich in den dicksten Umhang gehüllt, den er sein Eigen nennt, und eine gefütterte Lederkappe bis tief in die Stirn und über die Ohren gezogen. Dennoch muss ihm kalt sein. Steht er doch seit Tagesanbruch hier oben im eisigen Wind.

»Er ist nicht zu sehen, Fräulein«, sagt der Türmer und schüttelt bedächtig den Kopf. »Ihr müsst Euch in Geduld üben.«

Juliana stampft mit dem Fuß auf. »Geduld? Ich habe Geduld mit ihm gehabt: Tage, Wochen, Monate! Doch irgendwann ist alle Geduld restlos aufgebraucht.«

Der Zorn fällt in sich zusammen wie ein ausgebrannter Scheit, und Kummer gräbt sich in das junge Gesicht.

»Ach Samuel, meinst du, er kommt gar nicht mehr wieder? Vielleicht hat er auf seiner Reise ein Fräulein getroffen, das ihm besser gefällt? Bin ich nicht ansehnlich genug?« Sie schlägt den pelzgefütterten Mantel auseinander und lässt den Türmer den roten Surkot mit den ausgeschnittenen Ärmeln sehen, unter dem der hellgelbe Stoff der Cotte leuchtet. Die eng geschnittenen Gewänder umfließen den Körper, der nun mit seinen dreizehn Jahren beginnt, sich vom Kind zur Frau zu wandeln. Taille und Hüfte scheiden sich voneinander, die Brüste beginnen, das Tuch zu wölben. Der kalte Nordwind färbt ihre Wangen rosig und bauscht die blonden Locken.

Der Türmer zuckt mit den Schultern. »Ihr seid ein schönes Fräulein, aber wer kann schon in die Herzen der Menschen sehen?«

Mit dieser Antwort ist das Ritterfräulein nicht zufrieden. »Er muss zu mir zurückkommen!«, schreit sie und stampft noch einmal mit dem Fuß auf. »Er hat es versprochen!« Tränen füllen ihre Augen und rinnen die Wangen hinab. Hastig wendet sie sich ab und eilt ohne einen Abschiedsgruß in den Hof hinunter.

Julianas Besuche auf dem Bergfried werden seltener. Als das Osterfest vergeht und Wolf immer noch nicht wiederkommt, fragt sie nicht mehr nach ihm. Niemand hört sie mehr seinen Namen nennen. In ihren Gedanken aber lebt er weiter, und manchmal, wenn sie in ihrem Bett liegt und das Schnarchen vom Fußende her anzeigt, dass ihre alte Kinderfrau fest schläft, flüstert sie seinen Namen in die Nacht hinaus.

Das Siegel des Templers

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