Читать книгу Das Siegel des Templers - Ulrike Schweikert - Страница 7

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2Die Nacht des MordesWimpfen im Jahre des Herrn 1307

Vater ist in die Pfalz gegangen.« Juliana lächelt zu dem Mann in seinem prächtig bestickten Gewand hoch. »Sollen wir ihn suchen?« Sie springt auf und lässt ihre Stickarbeit achtlos auf die gepolsterte Bank in der Fensternische fallen, auf der sie seit dem Mittagsmahl gesessen hat. Es drängt sie, zur Tür zu eilen und die Treppe hinunterzulaufen, doch die Ermahnungen der Mutter klingen ihr noch in den Ohren. Also ordnet sie die Falten ihres Surkots und streicht die neuen, grünen Ärmel glatt. Sie wirft die blonden Zöpfe auf den Rücken, dass das Licht in den Metallplättchen ihres Schapels blitzt.

Gerold von Hauenstein verbeugt sich und reicht ihr die Hand. »Edles Fräulein, darf ich Euch die Hand zum Geleit reichen?«

Juliana lacht hell auf. »Ach Pater, Ihr macht Euch über mich lustig. Ihr seid schließlich keiner der Ritter, die sich für eine Dame zum Narren machen.«

Der Dekan des Ritterstifts St. Peter runzelt die noch glatte Stirn. »So, tun das die Ritter? Sich zum Narren machen?«

Er ist ein großer Mann mit harmonisch geschnittenen Gliedern und einem edlen Gesicht. Sein Haar ist ergraut, doch noch immer dicht. Am schönsten aber findet Juliana seine grünen Augen und die langen, schmalen Finger mit den gepflegten Nägeln – ganz anders als die großen, rauen Hände des Vaters.

»Mir jedenfalls ist es unangenehm, wenn die Ritter so mit mir sprechen«, gesteht Juliana. »Und wenn sie mich dann ansehen, dann würde ich am liebsten weglaufen und mich verstecken. Ich mag es nicht, wenn sie mich verspotten.«

Der Dekan greift nach ihrer Hand und zieht sie in seine Armbeuge. Gemeinsam steigen sie die Treppe hinunter.

»Ich denke nicht, dass sie über dich spotten. Sieh dich nur an.« Er lässt seinen Blick an ihr hinabgleiten. »Ein wohl gewachsenes Edelfräulein von siebzehn Jahren mit rosiger Haut, mit wundervollen blonden Locken, die – sind sie nicht zu Zöpfen gebändigt – ihr bis zur Hüfte fallen, und mit strahlend blauen Augen, die einen Ritter wohl verwirren können. Die Wahl deiner Kleidung steht dir vorzüglich, und du trägst einen ehrenhaften Namen. Warum also sollten die Ritter sich nicht galant zeigen und um deine Gunst werben?«

Flammende Röte steigt dem Mädchen in die Wangen, und sie tut so, als müsse sie auf die Stufen achten, damit sie mit den gebogenen Spitzen ihrer feinen Schuhe nicht hängen bleibt.

»Ich mag es dennoch nicht«, murmelt sie, als sie die Halle erreichen. »Vor allem nicht, wenn Wilhelm von Kochendorf so etwas sagt.«

Der Dekan, der ihr die Tür aufhält, sieht sie nachdenklich an, sagt aber nichts, denn eine Edelfrau mit den gleichen, tiefblauen Augen wie Juliana strebt auf ihn zu. Sie ist um einen halben Kopf kleiner als die Tochter. Ihr blondes Haar ist unter dem Gebende verborgen, und das enge Übergewand verrät, dass sie nicht mehr die knabenhaft schlanke Figur hat wie früher, auch wenn die Dame von Ehrenberg noch immer eine schöne Erscheinung ist.

»Verehrter Pater«, begrüßt sie den Stiftsherrn mit warmer Stimme und reicht ihm beide Hände. »Ihr wollt schon gehen? Darf ich Euch keine Erfrischung anbieten? Wir haben Pastete mit Lerchenzungen und einen vortrefflichen neuen Wein von den Hängen über der Mosel.«

Gerold von Hauenstein verbeugt sich. »Verzeiht mir, dass ich das verlockende Angebot ablehnen muss, hochgeschätzte Dame von Ehrenberg, aber ich bin auf der Suche nach dem Herrn Ritter.«

»Vater ist in der Pfalz«, platzt Juliana dazwischen und erntet dafür einen warnenden Blick der Mutter, dennoch fügt sie hinzu: »Ich habe angeboten, den Pater zu begleiten.«

Vielleicht kennt er eine neue Geschichte oder weiß etwas Spannendes vom Königshof zu berichten. Wie schön wäre es, wenn König Albrecht und sein Gefolge wieder nach Wimpfen in die Pfalz kämen. Juliana denkt gern an die Feierlichkeiten und den Trubel des vergangenen Sommers zurück. Die Mutter runzelt die Stirn. Sie wird es ihr doch nicht etwa verbieten? Jeder Augenblick in der Gesellschaft des väterlichen Freundes ist ihr eine Freude und eine Quelle des Wissens – selbst wenn er sie mit lateinischen oder französischen Verbkonjugationen quält.

»Ich werde selbst mitkommen«, entscheidet die Edelfrau und schließt das Tor zum Wimpfener Stadthaus der Familie. »Es wird bald dunkel, und es schickt sich nicht für eine Jungfrau aus dem Geschlecht von Ehrenberg, zu dieser Zeit alleine unterwegs zu sein.«

Elegant rafft sie ihren mit Buntfell verbrämten Tasselmantel und legt dem Stiftsherrn die Hand auf den anderen Arm. Juliana presst ärgerlich die Lippen aufeinander. Wenn die Mutter dabei ist, ist das nicht dasselbe. Dann spricht der Dekan mit ihr und tauscht die üblichen Nichtigkeiten aus. Nie würde er sich dazu hinreißen lassen, in Gegenwart der Edelfrau die Klatschgeschichten aus der Politik zu wiederholen oder das Gerede über angesehene Persönlichkeiten, das sich von Burg zu Burg verbreitet und Juliana stets mit ungebührlicher Gier in sich aufsaugt.

Das Geplapper der Mutter rauscht an ihrem Ohr vorbei, während sie über den Marktplatz auf die Zugbrücke zuschreiten, die den Halsgraben zwischen Stadt und Kaiserpfalz überspannt. Dahinter ragt in der Dämmerung der hohe Turm auf, der mächtigste der drei Bergfriede, die die Kaiserpfalz beschützen. Die Wächter am Tor grüßen den Dekan und die beiden Edelfrauen und bestätigen, dass der Ritter von Ehrenberg vor nicht allzu langer Zeit die Brücke überschritten hat und noch nicht wieder zurückgekehrt ist.

Die drei überqueren den Hof. Die Pfalz wirkt fast gespenstisch ausgestorben. Welch Gegensatz zu den Zeiten, da der König hier weilte! Nun wohnen nur die Burgmannen, von denen nur wenige ihre Familie mitgebracht haben, auf dem über dem Neckar aufragenden Felsplateau. Das große Steinhaus – das bei den Festlichkeiten der Königin und ihren Damen als Kemenate dient – steht still zu ihrer Linken. Der Wehrgang über dem Steilhang, der nach Norden zum Fluss abfällt, führt zum Palas mit seinem prächtigen Saal hinüber und dann zur Kapelle der Pfalz, die an die Ostmauer des Palas grenzt. So kann der König, wenn er in Wimpfen weilt, direkt vom großen Saal aus die Empore der kleinen Kirche betreten.

Wo kann der Vater nur sein?, fragt sich Juliana, als die Mutter gerade vom jüngsten Nachwuchs des Ritters Arnold von Kochendorf zu sprechen beginnt.

Na, da kann die Familie nur hoffen, dass der Kleine nicht so ein unangenehmer Kerl wird wie Wilhelm!, denkt das Mädchen und zieht eine Grimasse. Es treibt ihr noch immer das Blut in die Wangen, wenn sie an ihre letzte Begegnung mit dem jungen Ritter von Kochendorf denkt. Ihr Blick wandert vom Steinhaus über den Palas, der ebenfalls verlassen wirkt. Weiter hinten, am Fuß des Ostturms, stehen ein paar Männer beisammen. Vielleicht ist der Vater dort bei den Wachleuten. Schließlich ist es als Burgvogt seine Aufgabe, in Abwesenheit des Königs die Bewachung seiner Pfalz sicherzustellen. Sie gehen weiter, als ein Geräusch zu ihrer Linken sie herumfahren lässt.

»War das eine Schleiereule?«, fragt die Mutter unsicher.

»Nein, das glaube ich nicht«, widerspricht Gerold von Hauenstein. Seine Hand greift nach der des jungen Mädchens.

»Ich glaube, es kam aus der Kapelle«, sagt Juliana und wundert sich, dass ihre Stimme zittert. »Seht, ein Lichtschein. Dort muss jemand sein.«

Sie entzieht dem Dekan ihre Hand, rafft Surkot und Umhang und strebt auf die Tür des Gotteshauses zu. Die Mutter und der Stiftsherr folgen ihr.

Ahnt Juliana, dass das, was sie gleich sieht, ihr ganzes Leben verändern wird? Zögert deshalb ihre Hand, als sie den Türknauf berührt?

Nur die beiden Öllampen auf dem Altar erhellen den Raum ein wenig, und dennoch kommt es Juliana so vor, als sei die Szene vor ihr in grelles Sonnenlicht getaucht, so sehr schmerzt der Anblick ihre Augen und ihre Seele.

Da liegt der Sohn von Mutters Oheim auf dem Rücken vor dem Altar, die Augen starr zur Decke gerichtet. Der rote Fleck auf seinem Mantel wird rasch größer. Aus seiner Mitte ragt ein metallener Griff, von zwei Händen umschlungen. Große, vertraute Hände. Die Hände ihres Vaters!

Ihre eigene Stimme schrillt fremd in ihren Ohren, und erst nach einigen Augenblicken bemerkt Juliana, dass sie selbst es ist, die den Schrei ausstößt. Sie fühlt die Hand des Stiftsherrn auf ihrer Schulter und verstummt. Ihr Blick trifft den des Vaters. Noch immer kniet er neben dem reglosen Körper, den Dolchgriff umklammert. Was ist es, das in seinen grauen Augen geschrieben steht? Schuld? Trauer? Angst? Hass? Nein, es ist Entsetzen.

Juliana hat das Gefühl, der Boden würde unter ihren Füßen schwanken, die Welt um sie dreht sich, die Bilder verschwimmen. Nur eines bleibt in ihrem Sinn eingebrannt: Die Hände des Vaters, die den blutigen Dolch umklammern! Sie weiß nicht, wie lange sie schon in der Kapelle steht, als eine Stimme sie aus ihrer Erstarrung reißt.

»Ist er tot?« Ein weißer Mantel huscht an ihr vorbei. Es ist der Franzose Jean de Folliaco, der sich neben seinen Waffenbruder kniet und seine Hand an dessen Hals legt. Für einen Augenblick ist es ganz still. Juliana hat das Gefühl, dass alle den Atem anhalten. Dann hört sie Schritte hinter sich und Gemurmel. Ein Luftzug bläht ihren Mantel.

»Herr!«, schreit eine sich überschlagende Stimme und lässt das Mädchen vor Schreck zusammenzucken. Die kleine, untersetzte Gestalt von Bruder Humbert patscht auf Sandalen durch das Kirchenschiff. »Oh mein geliebter Herr«, jammert er und will sich auf die reglose Gestalt werfen, aber der Franzose versperrt ihm den Weg. Sein Arm schießt nach vorn. Die ihm entgegengestreckte Hand lässt den Servienten zurückprallen, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. Er schlägt seine großen, roten Hände vors Gesicht. Das Licht der Lampen spiegelt sich auf seinem kahlen Schädel.

Jean de Folliaco richtet sich vollends auf, den Kopf hoch erhoben, die Arme wie ein Prediger emporgereckt, an seinen Händen glänzt feuchtes Blut. Sein Blick erfasst die Menschen in der Kapelle. Er wandert von denen, die noch immer fassungslos vor dem Portal stehen, zu den beiden Gestalten vor dem Altar.

»Ritter Kraft von Ehrenberg, Ihr habt meinen Bruder gemordet!«

Er sagt es leise, und dennoch kommt es Juliana vor, als würde der Erzengel diese Worte mit donnernder Stimme über die ganze Pfalz posaunen.

»Mörder!«, schreit nun der dienende Bruder Humbert und lässt sich auf die Knie fallen. Er legt die Hände um die Hüften des Erstochenen und presst seine Wange auf dessen Leib. »Mein Herr, er ist tot!«, jammert er und wendet sein Antlitz dem Ritter von Ehrenberg zu, der den Griff des Dolches nun losgelassen hat und seine Hände an seinem Rock abwischt, immer wieder, so als könne er mit dem Blut auch die Schuld tilgen.

»Mörder!«, kreischt Bruder Humbert. »Heimtückischer Mörder! Holt die Wachen! Verhaftet ihn! Hängt ihn an den nächsten Baum!« Sein massiger Leib wird vom Schluchzen geschüttelt. Der kahle Schädel wiegt sich hin und her.

»Wappner, fasse dich«, sagt Jean de Folliaco und fasst ihn bei der Schulter. Er zwingt ihn aufzustehen. Auch der Ritter von Ehrenberg erhebt sich nun. »Die Burgmannen werden ihrer Pflicht nachkommen. Dieser Mord wird nicht ungesühnt bleiben.«

Juliana spürt die Bewegung hinter sich, und dann treten Wachmänner zu beiden Seiten an ihr vorbei. Wo sind sie plötzlich hergekommen? Sie zögern und werfen sich unbehagliche Blicke zu. Wer hat nun auf der Kaiserpfalz das Sagen? Dürfen sie ihren Burgvogt so einfach in Gewahrsam nehmen? Gar der Forderung Folge leisten, ihn für diese Tat dem Schwert des Henkers zu übergeben?

Das edle Gewand raschelt, als der Dekan vortritt, der Lampenschein lässt die Stickereien auf seinem Rock golden aufleuchten. Er drängt sich zwischen den Vater und die beiden Brüder des Ritterordens.

»Hier wird niemand verhaftet und hingerichtet, ehe wir nicht wissen, was geschehen ist«, sagt er mit seiner ruhigen, tiefen Stimme.

Juliana merkt, wie sie die Luft aus ihrem Brustkorb entweichen lässt, die sie wer weiß wie lange schon angehalten hat. Die Hand der Mutter umklammert die ihre. Sie ist eiskalt,

»Wissen, was hier geschehen ist?«, kreischt der kleine Mann in seinem braunen Mantel. »Ist das nicht offensichtlich? Mein Ritter, mein Herr, dem ich mit aller Inbrunst als Waffenknecht diente, dem ich ins heilige Land und bis nach Spanien gefolgt bin, er ist tot! Gemeuchelt von diesem Ehrlosen, dieser Schande des Rittertums!«

Jean de Folliaco umschließt das Handgelenk des dienenden Bruders Humbert. »Schweig still. Es wird Gerechtigkeit geschehen.« Noch immer ist seine Stimme leise und beherrscht. »Ich denke zwar nicht, dass es Sache der Kirche ist, doch ich will mich nicht gegen die Worte eines so ehrenvollen Herrn von St. Peter verschließen. Was schlagt Ihr vor, Dekan von Hauenstein?«

»Ich werde mir Euren toten Bruder ansehen – dann könnt Ihr ihn von hier wegbringen. Hüllt ihn in seinen Mantel und bringt ihn nach St. Peter. Dort lasst ihn aufbahren, bis ein würdevolles Begräbnis vorbereitet ist.«

Der Franzose schiebt seine Brauen zusammen, seine dunklen Augen werden schmal. »Und was passiert mit dem Ehrenberger? Das ist Sache der Justiz! Wenn der Landrichter nicht in Wimpfen weilt, dann müssen wir ein Gericht aus Ehrenmännern zusammenstellen.«

»Wir brauchen keinen Richter!«, stößt Bruder Humbert aus. »Wir brauchen einen Henker!« Aber er sagt es nur leise.

Der Dekan und der Ordensritter aus Frankreich mustern sich. Es ist, als würden sie mit ihren Blicken einen Schwertkampf fechten. Die Burgmannen stehen noch immer unschlüssig zu beiden Seiten. Keiner will der Erste sein, der seine Hand an den Burgvogt legt.

»Dies ist ein Haus Gottes«, sagt der Dekan schließlich. »Ich wünsche, dass Ihr alle die Kapelle verlasst. Ich möchte mit dem Ritter von Ehrenberg allein sprechen.«

Der Franzose starrt ihn noch einige Augenblicke an, dann sieht er auf den Toten hinab und zuckt mit den Schultern. »Nun gut, wir vertrauen auf Eure und die Gerechtigkeit Gottes.« Seine Hand umspannt noch immer den Arm des Servienten. »Komm Bruder Humbert, lassen wir deinen Herrn in der Obhut des Allmächtigen und seines Vertreters.« Widerstrebend lässt sich der Wappner hinausführen. Die Burgmannen folgen den beiden schweigend.

Juliana fühlt, wie die Mutter an ihrer Hand zieht, doch sie rührt sich nicht von der Stelle. Es ist ihr unmöglich, sich zu bewegen, nicht einmal den Blick kann sie senken.

»Juliana, liebes Kind, folge deiner Mutter und lass mich mit deinem Vater allein«, sagt der Dekan sanft. Endlich senkt das Mädchen den Kopf und trottet der Mutter hinterher.

Das Siegel des Templers

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