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10Zurück nach EhrmbergWimpfen im Jahre des Herrn 1307

Wir werden nach Ehrenberg zurückkehren«, sagt die Mutter, »Wo um alles in der Welt bist du gewesen? Ich habe den Knappen und Wachmann Großhans ausgesandt, dich zu suchen.«

»Ich war unten im Stift.«

Die Mutter nickt nur und fährt fort, Gewänder und Schleiertücher in die Truhe zu packen. Juliana sieht ihr schweigend zu. Warum fragt sie nicht? Interessiert es sie gar nicht, was mit ihrem Gemahl passiert? Sie starrt nur stumm auf ihre Hände, die farbigen Stoff zusammenfalten.

»Der Vater ist fort!«, stößt Juliana vorwurfsvoll aus.

Die Hände der Mutter zittern. Es sind schmale, zierliche Hände. Kleiner als die der Tochter. »Ich habe es vermutet.«

»Keiner weiß, wann er zurückkommt«, schreit das Mädchen. »Ob er überhaupt jemals zu uns zurückkehrt!«

Langsam wendet sich Sabrina von Gemmingen ihrer Tochter zu. Kalkweiß ist ihr Gesicht, so dass die verweinten Augen noch röter wirken. »Ist es nicht besser, er geht fort, als dass sie ihm auf dem Richtplatz den Kopf abschlagen? Und wenn er auf solch einer Pilgerreise zu Tode kommt, wird Gott der Herr sich seiner Seele annehmen.« Sie bekreuzigt sich.

»Wie habt Ihr von der Pilgerfahrt erfahren?«, will Juliana wissen. Ihr ist bewusst, dass der barsche Ton der Mutter gegenüber ungehörig ist, doch die Edelfrau rügt sie nicht.

»Der verehrte Dekan von Hauenstein hat mir eine Mitteilung zukommen lassen. Wir müssen ihm sehr dankbar sein. Ich glaube nicht, dass seine Vorgehensweise ganz korrekt war, auch wenn das Verbrechen in einem Gotteshaus verübt wurde. Vielleicht hat er eine Sünde begangen, um das Leben des Ritters zu retten. Wir sollten für ihn beten!«

»Beten!«, schnaubt Juliana abfällig. »Sagt mir lieber, wie es mit uns weitergehen soll, jetzt da der Vater uns im Stich lässt.«

Sie wünscht, die Mutter würde ihre strenge Stimme erklingen lassen, sich hoch aufrichten und sie mit diesem Blick ansehen, der sie schon als Kind zu sofortigem Gehorsam gebracht hat. Stattdessen wird die Edelfrau noch ein Stück kleiner und zuckt hilflos mit den Schultern. Weich und verletzlich ist sie und genauso verunsichert wie ihre Tochter.

»Wir wissen nicht alles, deshalb steht es uns nicht an, über des Ritters Taten zu urteilen.«

»Doch!«, schreit das Mädchen und schleudert ihre aufgelösten Zöpfe nach hinten. »Er wäre es uns schuldig gewesen, erst darüber nachzudenken, was mit uns geschieht, ehe er seine Ehre wegwirft und einen Mord begeht – noch dazu an Eurem Vetter – an einem Tempelritter – in einem Gotteshaus!«

Nun stehen der Mutter Tränen in den Augen. »Bitte Kind, sprich nicht so. Wir müssen darauf vertrauen, dass er keine andere Wahl hatte. Glaube mir, er ist kein böser Mensch. Das müssen wir uns immer vor Augen halten. Versuche, Frieden im Gebet zu finden.«

Juliana kann die Hilflosigkeit der Mutter nicht länger ertragen. Jetzt, da sie selbst keinen Ausweg sieht, braucht sie einen Menschen, der sie in die Arme nimmt, ihr sagt, wie es weitergeht und ihr versichert, dass alles wieder wird wie früher.

»Wird Gott mir Antworten geben?«

»Du lästerst den Herrn«, flüstert die Mutter unter Tränen. »Du kannst keine Rechenschaft von Gott verlangen.«

»Nein? Warum soll ich dann beten?«, faucht sie, läuft zur Tür und schlägt sie hinter sich zu. Der Knall breitet sich durch das ganze Haus aus und hallt von den Wänden und dem Gewölbe der Halle wider. Der Lärm fühlt sich gut an. Juliana rafft Rock und Cotte und läuft die Treppe hinunter. Das schwere Eichentor fällt hinter ihr ins Schloss. Sie sieht in ihrem Geist, wie die Mutter vor der Truhe auf die Knie sinkt und weint, aber sie will kein Mitleid mit ihr empfinden. Es wäre an ihr, jetzt stark zu sein! Sie ist die Hausherrin, die Edelfrau von Ehrenberg, geboren von einer Freifrau von Gemmingen!

Ohne ein Ziel stapft das Mädchen durch die Stadt. Sie hat vergessen, ihre Holztrippen unter die Ledersohlen zu binden. Dadurch kann sie zwar weiter ausschreiten, muss sich aber aufmerksam ihren Weg zwischen Abfällen und Morast hindurch suchen.

Es ist ein ganz normaler Morgen in der Stadt Wimpfen auf dem Berg. Ein ganz normaler Markttag, an dem die Bauern ihr Gemüse feilbieten, die Metzger Fleisch und Würste auf den Brettertheken auslegen und der Krämer seine Töpfe und Nadeln, Gürtel und Garne anpreist. Auch die Bäckerstände sind üppig mit duftenden Waren belegt. Die besonders feinen Süßigkeiten aus Teig, mit Honig und Mandeln oder Zimt und Rosinen verfeinert, tragen die Jungen in ihren Bauchläden durch die Gassen. Der Duft, der Juliana stets wie eine Fliege zum Sirup gezogen hat, lässt sie nun würgen. Sie empfindet keinen Hunger. Sie will nur weg von diesen Menschen, die lachen und scherzen, die schimpfen und klagen – deren Leben noch genauso ist, wie es gestern war!

Juliana verlässt den Marktplatz und geht die steile Gasse bis zum Spital hinab. Auch hier sind viel zu viele Menschen und Karren unterwegs. Ochsen brüllen, ein Maultier übertönt sie mit seinem Ruf, zwei Hunde rennen kläffend vorbei, so dass es ihren Rock bläht. Juliana will sich die Hände an die Ohren pressen und schreien. Fast rennt sie den Hügel hinauf, schiebt das Tor auf und lässt sich im Dämmerlicht auf den kühlen Boden sinken. Hier ist es ruhig. Das Leben hat sie hinter sich gelassen. Sie lehnt sich an eine Säule und schließt die Augen.

Nun ist sie also doch in einer Kirche gelandet. Allein mit dem Herrn, Christus und mit dessen Mutter Maria. Aber sie wird nicht beten, beschließt sie trotzig. Und sie wird auch nicht weinen!

Nach einer Weile öffnet Juliana die Augen und sieht sich um. Die Kirche ist noch ganz neu und wird normalerweise nur von den Dominikanermönchen genutzt. Die Bürger und Hintersassen von Wimpfen haben ihre Stadtkirche auf dem Hügel gegenüber. Die Sonne malt durch die Chorfenster bunte Muster auf den Boden des großen Hallenschiffs. Juliana überlegt, wo genau früher der Galgen gestanden hat. Sind seine Reste hier irgendwo unter der Kirche oder draußen auf dem Friedhof? Liegen hier unter ihren Füßen die Körper hingerichteter Mörder? Mörder, wie auch ihr Vater nun einer ist. Jetzt muss sie doch weinen. Hastig wischt sie sich mit dem Ärmel über das Gesicht.

Schritte vor der Tür. Das Portal wird langsam aufgeschoben. Ein Quietschen ertönt, dann hört sie Sohlen auf den Steinplatten. Ein langes Gewand raschelt. Grüner Stoff mit goldener Borte. Die Schuhe sind aus weichem Leder.

»Die Pferde sind gesattelt, und deine Mutter ist zum Aufbruch bereit. Du willst sie doch sicher nicht länger warten lassen.«

Er streckt seine Hand aus, und Juliana lässt es zu, dass er ihr beim Aufstehen hilft. Sie hebt den Blick und sieht in seine grünen Augen, die hier in der düsteren Kirche wie saftiges Moos im Morgentau schimmern.

»Pater, könnt Ihr mir sagen, warum?«

Gerold von Hauenstein schüttelt den weißen Haarschopf. »Nein, mein Kind. Ich kann dich nur bitten zu vertrauen.« Er reicht ihr den Arm und zieht ihre Hand durch seine Armbeuge.

»Wisst Ihr es nicht, oder wollt Ihr es mir nicht sagen?«

Der Dekan hält ihr die Tür auf. Das Sonnenlicht sticht in ihren Augen.

»Ich weiß manches, doch längst nicht alles. Ich habe geschworen, nicht darüber zu sprechen, solange es noch nicht vorbei ist.«

Juliana bleibt stehen. »Noch nicht vorbei? Was soll das bedeuten?«

Er tätschelt ihre Hand und zwingt sie mit sanftem Druck, die Gasse hinabzugehen.

»Dein Vater ist kein schlechter Mensch, das darfst du mir glauben. Er wurde von den Ereignissen erfasst und mitgerissen. Wir sind nur kleine Menschen auf Gottes Welt. Wie können wir begreifen, was ER mit uns vorhat? Was ER uns mit solchen Ereignissen sagen will? Den Tod durch den Henker jedenfalls hat der Ritter nicht verdient! Verstehe, mir blieb nicht viel Zeit zu entscheiden, aber ich glaube, jetzt ist der Vater auf dem rechten Weg. Habe Vertrauen und bete. Wenn es Gott gefällt, dann wird er zurückkehren und seine Ehre und sein Seelenheil wiedergewonnen haben.«

»Werdet Ihr mir sagen, wohin er geht?« Sie weiß, dass es die Straße nach Sankt Jakob ist, will es aber aus seinem Mund noch einmal hören.

Dekan von Hauenstein schüttelt den Kopf. »Nein, kein Mensch soll davon wissen. Es ist besser so, glaube mir.«

Hat er kein Vertrauen zu ihr? »Ich würde es dem Franzosen und seinem Knecht nicht verraten«, entrüstet sich das Mädchen. »Glaubt Ihr, sie würden ihm nachreiten und den Tod des Waffenbruders auf eigene Faust rächen?«

Gerold von Hauenstein zögert. »Wer weiß? Ich kann nicht in ihre Herzen sehen.«

Das Ritterfräulein schweigt und geht neben ihm her am Spital vorbei zum unteren Tor, an dem heute wieder eifrig gebaut wird. Vielleicht schon bald wird Wimpfen wieder von einem geschlossenen Mauerring geschützt. Ein Gedanke drängt sich in ihren Sinn. Fürchtet der Dekan, sie könne dem Vater nachreisen, wenn er ihr verrät, wohin er sich gewandt hat? Nachdenklich kaut sie auf ihrer Unterlippe. Warum sollte sie? Sind die Fragen drängend genug, dass sie sich in ein Lumpengewand hüllen und sich den Gefahren der Landstraße aussetzen würde? Tag für Tag mit brennenden Füßen im Straßenstaub, die Nächte unter Fremden, mit hungrigem Bauch auf ungezieferverseuchtem Stroh. Der Gedanke erschreckt sie. Sie muss sich in Geduld üben. Der Vater wird ihr antworten, wenn er zurück ist.

Wenn er zurückkommt! Wartet sie nicht heute noch auf Wolf und hält manches Mal vom Bergfried aus vergeblich nach ihm Ausschau.? Was, wenn auch der Vater nicht mehr wiederkehrt? Sie denkt an die Pilger, die in Wimpfen an Erschöpfung und Krankheit gestorben und oben auf dem Friedhof beim Kloster begraben sind. Eine kalte Hand greift nach ihrem Herzen und presst es zusammen.

Die Edelfrau wartet im Sattel ihres Zelters. Sie hat ihre Haltung wiedergefunden. Ihre Haube sitzt perfekt, das Kinnband ist eng geschnürt, ihr zartgelbes Gewand fällt in weichen Falten über den Pferderücken. Nur ihre Miene ist noch immer erstarrt, und ihre Stimme klingt seltsam gepresst, als sie ihre Tochter begrüßt.

»Da bist du ja. Dann können wir jetzt reiten.«

Sie winkt den Anführer der Burgmannen zu sich, damit er Juliana auf ihr Pferd hebt. Dekan von Hauenstein tritt an den Zelter und reicht der Edelfrau die Hand.

»Soll ich Euch nicht doch lieber begleiten?«

Sie versucht sich an einem Lächeln. »Nein, lieber Pater, das ist nicht notwendig. Wir haben vier Wächter an unserer Seite – den Knappen Tilmann nicht zu vergessen. Wir werden Ehrenberg unbeschadet erreichen.«

»Ich werde bald zu Euch kommen«, verspricht der Stiftsherr und tritt zurück. Die Edelfrau gibt das Zeichen zum Aufbruch. Im Schritt reitet der Zug die Straße zur Talaue hinunter: voran zwei der Wächter, dann die beiden Frauen, hinter ihnen der Knappe und ein Wächter, die die beiden Packpferde am Zügel führen. Die kleinen Truhen nehmen die Frauen sofort mit. Den Rest an Kleidern und Hausrat werden zwei Karren später bringen. Den Schluss bildet ein Bewaffneter, die Hand am Griff seines Schwertes.

Um die Mittagszeit erreichen sie die Burg. Die Truhen und Bündel werden abgeladen und in die Kemenate getragen. Die Edelfrau schickt die Mägde und auch die alte Kinderfrau hinaus und bleibt allein in ihrem Gemach zurück. Juliana geht ziellos erst im Palas und dann auf dem Burghof umher.

Daheim. Und doch ist nichts wie früher. Warum nur? Wie oft ist der Vater nicht auf der Burg gewesen, und alles ging in ordentlichen Bahnen seinen Weg. Jeder war auf seinem Platz und wusste, was er zu tun hatte, und wenn nicht, dann fragte man die Edelfrau. Sie hörte sich die Fragen an, stand einige Augenblicke mit gefalteten Händen und ernster Miene da, traf dann in klaren Worten eine Entscheidung und gab die Anweisungen, was zu tun war.

Seit sie Ehrenberg erreicht haben, weint und zittert die Mutter nicht mehr, und doch ist es, als sei sie nur noch ihr eigener Schatten. Es kommt Juliana so vor, als sei sie von einem lähmenden Geist besessen, der nach und nach von allen Bewohnern der Burg Besitz ergreifen werde. Als das Ritterfräulein über den Burghof geht, sieht sie die Mägde und Knechte zusammenstehen und miteinander flüstern. Sobald sie das Fräulein erblicken, fahren sie auseinander, wenden den Blick ab und gehen schweigend wieder ihrer Arbeit nach. Auch die Wächter am Tor hat sie miteinander reden sehen und den Blick gespürt, den sie ihr zugeworfen haben.

Juliana geht auf die Treppe zur Schildmauer zu. Es sind Wolken aufgezogen, und der Wind erhebt sich. Sie will zur Plattform des Bergfrieds hinaufsteigen und sich all die verwirrenden Gedanken aus dem Kopf blasen lassen. Laute Stimmen am Tor lassen sie innehalten, noch bevor sie die Treppe zur Schildmauer erreicht. Einer der Wächter läuft zum Palas, um der Edelfrau Nachricht zu geben. Wer da wohl zu Besuch kommt? Juliana tritt langsam näher. Der Dekan vielleicht?

Es sind zwei Pferde, deren Hufschlag sich auf der Rampe nähert, und dann kommen die Reiter in Sicht: Es sind der Franzose Jean de Folliaco und der Wappner Humbert.

»Was wollen die hier?«, stößt das Mädchen aus und eilt auf das Tor zu. Als sie den Blick des Franzosen spürt, verlangsamt sie ihren Schritt. Sie lässt die Röcke fallen, strafft die Schultern und schreitet – wie sie hofft –, wie es dem ersten Edelfräulein des Hauses angemessen ist, auf die unerwarteten Gäste zu. Der Franzose mustert sie mit durchdringendem Blick, ohne das Haupt zu neigen. In Juliana steigt Ärger auf. Was fällt diesem Templer ein? Ist sie nicht die Tochter der Burg? Hat sie nicht mehr Respekt verdient? Sie greift mit der einen Hand in ihren Mantel und legt die andere an ihre Brust, wie es die Höflichkeit verlangt.

»Wir begrüßen Euch, Ritter de Folliaco, und auch Euch, Bruder Humbert auf Ehrenberg«, sagt sie mit möglichst tiefer Stimme, den Tonfall imitierend, den sie bei der Mutter oft vernommen hat. Nun endlich scheint sich der Gast daran zu erinnern, was die Höflichkeit fordert. Er senkt das Haupt und beugt den Rücken. Der Wappner folgt seinem Beispiel.

»Verehrtes Fräulein, wir danken für den freundlichen Empfang, den wir in dieser schweren Stunde, die über der Burg Eurer Familie liegt, nicht erwarten durften.« Seine Worte sind glatt wie Seide.

»Wie wir erfahren haben, ist Euer Vater zu einem uns unbekannten Ziel aufgebrochen, um seinen Frieden mit Gott zu machen und für seine Seele zu beten.« Er hebt die Hände. »Ich weiß nicht, ob es richtig ist, hierher zu kommen. Aber wäre es recht, ohne ein Wort in die Heimat zurückzukehren?«

Ihre Blicke treffen sich. Er hält dem forschenden Blick des Fräuleins stand, ohne mit den Wimpern zu zucken. Welch schöne, dunkle Augen, welch lange, schwarze Wimpern. Sein Bart ist sauber gestutzt, und sie kann den zarten Duft der parfümierten Lauge riechen, mit der er sich gewaschen hat. In seinem Haar hausen sicher keine Läuse – ganz im Gegensatz zu dem Gestrüpp, das sein Waffenbruder Swicker von Gemmingen-Streichenberg im Gesicht getragen hat.

Seine Worte schmeicheln so angenehm wie sein Anblick, und dennoch regt sich Unmut in Julianas Sinn. Warum sind die Männer gekommen? Doch sicher nicht, um ihr Beileid zum Verlust des Vetters und des Vaters auszudrücken!

Die Edelfrau von Gemmingen tritt aus der Tür des Palas und kommt auf die Gäste zu. Juliana beobachtet den Franzosen genau. Er lässt es nicht an Höflichkeit fehlen. Der Wappner hält sich im Hintergrund. Das Mädchen ist froh, dass die Stimme der Edelfrau so gefasst klingt. Ja, ein Fremder hört vermutlich keinen Unterschied zu früher.

Nun, nachdem die üblichen Worte der Höflichkeit gewechselt sind, ist es an der Hausfrau, die Gäste zum Mahl zu laden. Sabrina von Gemmingen kennt ihre Pflichten. Sie geleitet die Templer in den Palas und weist ihnen im Saal die Plätze am Kamin zu – auch wenn dieser im Sommer natürlich kalt ist. Sie ruft die Magd, damit diese süßen Moselwein bringt und die Fleischpasteten, die heute Morgen gebacken wurden.

Juliana folgt ihnen in den Saal und lässt sich ein Stück entfernt auf der Bank nieder. Die Mutter sieht sie an.

»Sagst du bitte Pater Vitus Bescheid, dass wir Besuch haben?«

Das Mädchen schluckt die Widerworte, die in ihr aufsteigen, hinunter und macht sich auf die Suche nach dem Pater. Ein Onkel aus dem Geschlecht der von Gemmingen, der als jüngster Sohn den geistlichen Stand gewählt hat, sich jedoch nicht für das Leben in einem Kloster berufen fühlt. Vor einigen Jahren war er zu Besuch nach Ehrenberg gekommen und geblieben. Seitdem liest er die Messen in der Hauskapelle, wenn die Familie nicht in Wimpfen weilt, betet für das Seelenheil der Verstorbenen und kümmert sich darum, wenn Briefe geschrieben oder Urkunden verfasst werden müssen.

Juliana eilt so schnell zu dem Anbau hinüber, in dem der Pater seine Kammer hat, wie es gerade noch schicklich ist. Will die Mutter sie wegschicken, oder bedarf sie der Unterstützung eines Paters? Jedenfalls will das Mädchen so wenig wie möglich von der Unterhaltung im Saal verpassen. Mit gerafften Röcken läuft sie die Holztreppe hinauf und klopft energisch an die Tür. Nichts rührt sich.

»Pater Vitus, die Mutter verlangt nach Euch!«, ruft sie und hämmert mit den Fäusten gegen das Holz.

Ein undeutliches Grunzen und Schritte hinter der Tür. Dann erscheint ein verquollenes Gesicht im Spalt. »Was?«

»Wir haben Gäste! Die Templer sind gekommen, und die Mutter verlangt nach Euch«, wiederholt sie ungeduldig.

»Templer?« Pater Vitus sieht sie verdutzt an. »Ich komme sofort. Nur einen Moment.«

Es kommt Juliana wie eine Ewigkeit vor, bis sie endlich wieder hinter dem Pater den Saal betritt. Schon von draußen hört sie die erregte Stimme des Wappners.

»Ich kann es auch nicht fassen«, sagt die Mutter, als sie näher treten, in diesem weichen Tonfall, der Zorn verlöschen und jedes Mal den Geschmack von Schuld und Scham in Juliana aufkeimen lässt. Auch auf den dienenden Bruder scheint er seine Wirkung nicht zu verfehlen. Bruder Humbert senkt den Blick und sieht errötend in seinen Weinkrug. Der Franzose räuspert sich.

»Ihr hattet den Vetter lange nicht gesehen?«

Die Edelfrau nickt. »Ja, seit er ins Heilige Land gezogen ist, kaum dass er den Ritterschlag erhalten hat. Ich wusste nicht, dass er den Armen Rittern Christi beigetreten war. Es war eine Überraschung, ihn im weißen Mantel wiederzusehen.« Der Franzose mustert sie mit unbeweglicher Miene.

»Ach, er schien sich hier so wohl zu fühlen, sprach freundlich mit Juliana und interessierte sich für die Falken, so dass mein Gemahl ihn zur morgendlichen Beize einlud«, spricht Sabrina von Gemmingen voller Wehmut.

»Das könnte des Rätsels Lösung sein«, murmelt der Tempelritter und starrt abwesend in seinen Zinnkrug.

»Wie meint Ihr das?«, meldet sich Pater Vitus zum ersten Mal zu Wort.

Der Franzose schreckt hoch. Die Worte hat er wohl nur zu sich selbst gesprochen. Auch der Waffenknecht sieht ihn fragend an.

»Nun, der Grund, warum – verzeiht edle Frau«, er nickt Sabrina von Gemmingen zu, »warum der Ritter von Ehrenberg unseren Bruder erschlug, ohne dass dieser die Waffe gegen ihn erhoben hat.« Die Edelfrau zuckt zusammen und beißt sich auf die Lippe.

In Juliana regt sich etwas. Es reibt wie ein Sandkorn im Auge. Es schmerzt und treibt einem Tränen auf die Wangen, ohne dass man die Ursache dafür sehen kann. Irgendetwas, das sie gehört hat, quält sie. Doch was? Und warum? Oder ist es nur der unglaubliche Vorwurf, ihr Vater wäre ein heimtückischer Mörder, den sie laut ausgesprochen nicht ertragen kann?

»Ich kann den Zusammenhang nicht erkennen«, wundert sich der Pater.

»Ein Streit«, sagt der Franzose. »Der Grund für diese Tat.«

Pater Vitus und die Edelfrau sehen sich an. »Es gab keinen Streit«, wehrt Sabrina von Gemmingen ab. »Es war ein schöner, sonniger Morgen, und die Männer ließen den Greif steigen.«

Jean de Folliaco lehnt sich ein wenig nach vorn. »Wart Ihr denn in seiner Nähe, so dass Ihr hören konntet, was gesprochen wurde?«

Die Edelfrau schüttelt den Kopf. »Nein, aber als sie zusammen zurückkehrten, schritten sie in trauter Harmonie gemeinsam über den Hof.«

»Der Vater war verstimmt, weil ich Swicker die Falken gezeigt habe«, platzt Juliana heraus. Alle Augen richten sich auf das Mädchen. Anscheinend haben die anderen vergessen, dass es mit am Tisch sitzt. Der Franzose zieht die Augenbrauen zusammen und betrachtet Juliana aufmerksam. »Ach, so ist das? Nun, vielleicht brauchen wir nicht länger zu rätseln?«

Der Blick, mit dem er sie ansieht, ist eine einzige Beleidigung. Dafür würde sie ihm am liebsten ins Gesicht schlagen. Das Fräulein ballt unter dem Tisch ihre Hände zu Fäusten.

»Juliana, geh hinauf in die Kemenate. Es wird Zeit, sich für das Spätmahl umzukleiden. Und lass dir das Haar richten!«

Zwei blaue Augenpaare, die sich sehr ähnlich sehen, tragen einen stummen Kampf aus, wie üblich siegt das ältere. Das Mädchen senkt den Blick, erhebt sich und murmelt eine Entschuldigung. Auf der Treppe rafft sie ihre Röcke höher als nötig und stampft mit den Füßen auf die Holzbohlen. Wie kann die Mutter ihr das antun? Warum war sie so unbedacht, ihre Zunge nicht zu zügeln?

»Es hat damit nichts zu tun«, zischt sie wütend. »Es war doch nur eine kleine Unschicklichkeit!«

Das Siegel des Templers

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