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Student und Dichter

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1930 beendete Frisch das Gymnasium mit der Matura. »Es ist der Ehrgeiz von Vater und Mutter, daß wir Akademiker werden, Studium nach eigener Wahl. So werde ich Student der Germanistik.«34 Im Wintersemester 1931/32 immatrikulierte er sich an der Universität Zürich. Er fand dort bemerkenswerte Lehrer. Unter anderem hörte er Psychologie bei Carl Gustav Jung, Kunstgeschichte bei Heinrich Wölfflin, deutsche Literatur bei Emil Ermatinger und Robert Faesi. Jung war der nationalsozialistischen Ideologie und dem antidemokratischen Elitedenken der Zeit in manchen Überzeugungen nicht abgeneigt, Wölfflin, der Schüler und Nachfolger des konservativen Jakob Burckhardt, galt als einer der besten und anregendsten Kulturdenker der Zeit – auch er war kein Demokrat. Ermatinger vertrat ständestaatliche Ideen und war Mitunterzeichner eines Huldigungstelegramms an Adolf Hitler anläßlich der Jubiläumsfeier der Goethe-Gesellschaft 1935. Frisch mochte ihn nicht sehr. Dafür schätzte er Robert Faesi, den »liebenswürdigen Professor«35 mit den weitreichenden Beziehungen zu den literarischen Größen der Zeit. Dieser elegante Professor war zugleich ein anerkannter Schriftsteller. Seine Novelle Füsilier Wipf wurde kurz vor dem Zweiten Weltkrieg als großes Epos der geistigen Landesverteidigung verfilmt. Faesi war Frischs besonderer Förderer. Politisch stand er der antidemokratischen Rechten um Otto von Greyerz, Philippe Godet und Gonzague de Reynold nahe. Letzterer war nicht nur sein geistiger Anreger, sondern auch sein militärischer Vorgesetzter. Faesi empfahl den jungen Frisch an die Deutsche Verlags-Anstalt und an Eduard Korrodi, den Feuilletonchef der liberal-konservativen NZZ. Dieser wurde für Jahrzehnte Frischs literarischer Mentor.

Korrodi galt in der Zwischenkriegszeit als Zürcher Literaturpapst. Im Feuilleton der NZZ erließ er seine Enzykliken. Er förderte ebenso großzügig junge Talente, wie er nach eigener Laune und Gutdünken in deren Texte eingriff. »Ein ebenso kluger wie launenhafter Mensch«, urteilte Frisch. Politische Dichtung war ihm nicht anders als den meisten seiner Universitätskollegen ein Greuel. Dichtung hatte sich am Schönen, Erhabenen und Idealen zu orientieren. Die aus politischen oder »rassischen« Gründen emigrierten Literaten waren ihm suspekt. Ende Januar 1936 schoß er eine Breitseite gegen diese »Linksemigranten und Juden« in der Schweiz. Am 2. Februar antwortete ihm Thomas Mann in einem offenen Brief, worauf Korrodi eine waschechte Intrige gegen den in Zürich im Exil lebenden Schriftsteller anzettelte.36

An der Zürcher Universität freundete sich Frisch mit dem drei Jahre älteren Emil Staiger an. Auch Staiger, Schüler von Ermatinger, bis 1934 aktives Mitglied der profaschistischen »Nationalen Front«,37 Antisemit und ab 1943 Professor für deutsche Sprache und Literatur, bekämpfte als konservativer Hermeneutiker jede Art politisch engagierter Literatur. Die Freundschaft mit Frisch, die zeitweilig sehr eng war, ging erst 1966, beim spektakulären Zürcher Literaturstreit, in Brüche. Ein zeitkritisches Bewußtsein dürfte hingegen in den Lehrveranstaltungen von Walter Muschg geherrscht haben. Dieser legendäre Literaturprofessor von Basel, Halbbruder des späteren Frisch-Freundes und Schriftstellerkollegen Adolf Muschg, war zu jener Zeit allerdings erst Privatdozent in Zürich. Frisch besuchte seine Veranstaltungen mit Begeisterung.

Im großen und ganzen fand er an der Universität also Lehrer von solider fachlicher Qualität und konservativer bis reaktionärer Gesinnung. Zu den linksoppositionellen Schriftstellern um Rudolf Jakob Humm, die im »Rabenhaus« zusammenkamen und freundschaftlichen Umgang mit den Emigranten pflegten, hatte er keinen Zugang. Er begann seine literarische Karriere als überzeugter bürgerlicher und apolitischer Dichter. Und konservative Kreise förderten und bewunderten ihn.

Das Studium mißfiel Frisch. Die Welt in den Zürcher Hörsälen war ihm zu blaß, zu eng. Frisch wollte Dichter werden, nicht Schriftgelehrter. Dichten hieß für ihn: ausbrechen aus den Alltagszwängen und eintauchen in eine außergewöhnliche Welt tiefer Erlebnisse und intuitiver Selbstverwirklichung. Nicht der poeta doctus, sondern der geniale Vagant, der hinter die Horizonte blickt, war sein Vorbild (siehe Jürg Reinhart). Die Spannung zwischen Bürgerwelt und Künstlerwelt, zwischen bürgerlichem Normalmaß und schöpferischer Einmaligkeit wird für Jahrzehnte ein Grundzug in Frischs Schaffen. Er hat sie nicht nur in vielen Variationen beschrieben, er hat sie auch zu leben versucht.

Bevor sich Frisch jedoch als Dichter vorstellte, veröffentlichte er journalistische Texte. Der erste davon trug den Titel Mimische Partitur und erschien am 27. Mai 1931 in der Neuen Zürcher Zeitung. Frisch hatte ihn unaufgefordert eingeschickt. Sein Erscheinen überraschte ihn. »Das war tatsächlich enorm. Daß das wirklich Wort für Wort da war. Dann noch der Name gedruckt!«38 Mimische Partitur rezensierte eine Theaterkunst-Ausstellung, an der eine »mimische Partitur«, das heißt eine Notation für das schauspielerische Mienenspiel vorgestellt wurde. Frisch verwarf die Idee in Bausch und Bogen. Mimik sei die natürliche Folge seelischer Erlebnisse, daher könne eine mimische Nachahmung allenfalls eine »gymnastische« Mimik sein, Gesichtsgymnastik, statt Spiegel der Seele.

Frischs Argumentation ist konventionell. Auffällig ist nur die Arroganz, mit welcher der Zwanzigjährige ein Urteil über einen Vorgang fällte, den er damals überhaupt noch nicht kannte: über den unendlich komplexen Prozeß der Entstehung von künstlerischem Ausdruck auf Theaterproben.39 Volker Hage attestierte dem jungen Frisch »Mut zur eigenen Meinung«. Frisch selbst sah seine Anfänge kritischer. »Rezensionen, die ich als Student geschrieben habe, kann ich heute nicht ansehen, ohne zu erröten. Wobei es weniger Unkenntnis ist, was beschämt, sondern der Ton ganz allgemein, der sich für witzig hält, eine Mischung aus Dreistheit und Herablassung, und dabei, weiß ich, war ich voll von Minderwertigkeitsangst.«40 Als Grundfehler seiner frühen journalistischen Texte diagnostizierte er, »daß ich den Journalismus nicht als Journalismus betrieben habe, sondern als schlechte Literatur, was ja nicht Journalismus ist«.41

Wenn auch manche der frühen Texte Frischs heute schwer genießbar sind, so enthalten sie doch eine Fülle von Denkmustern, Bildern, Figuren, Motiven und Schreibhaltungen, die vorausweisen auf die späteren literarischen Texte. Vor allem aber zeigen sie, in welcher konservativen, jedem Experiment abholden Tradition Frisch zu schreiben begann; und wie groß daher der geistige Weg ist, den er im Lauf seines Lebens von dem einen Rand der Gesellschaft zum anderen zurückgelegt hat. Wer nur die literarische Qualität im Auge hat, mag die frühen Texte Frischs als Vorstufen abhaken. Wer aber die Entwicklung seines Bewußtseins verfolgen will, wird bei ihnen länger verweilen müssen.42

Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991

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