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Der Sturm hatte sich wirklich ausgetobt, als wir am nächsten Morgen beim Frühstück saßen, doch er hatte schlechtes Wetter mitgebracht. Der Himmel hing schwer und bleiern über dem Land, ein kühler Wind wehte, und die Sonne versteckte sich hartnäckig hinter den Wolken.

„Kein Badewetter“, sagte Kristin seufzend. „Und dabei ist heute Stens und Magnus’ letzter Ferientag. Ob sie überhaupt kommen werden?“

Wir sahen uns zweifelnd an. Im Garten rumorten Frau Märta und ein alter Mann. Sei räumten die herabgefallenen Äste und Zweige weg, harkten das Laub zusammen und zerhackten die umgestürzte Birke. Aus dem Arbeitszimmer kam Schreibmaschinengeklapper; Professor Zetterlund saß schon an der Arbeit.

„Seltsam, die Geschichte mit den gestohlenen Ausgrabungsstükken“, sagte Kristin nach einer Weile. „Ob die Sachen wohl jemals wieder auftauchen werden?“

„Keine Ahnung“, erwiderte ich. „Wem gehören solche Funde eigentlich?“

„Dem Staat“, sagte Kristin. „In diesem Fall dem schwedischen Staat. Wenn wir beispielsweise hier im Garten des Pfarrhofs zu graben anfangen und einen Sack voll alter Goldmünzen finden, gehört der Schatz nicht uns, sondern dem schwedischen Staat.“ Sie lachte. „Natürlich setzt das voraus, daß man dumm genug ist, so einen sagenhaften Fund zu melden.“

Ich war froh, als wir uns auf den Weg nach Lilletorp machten. Seit der vergangenen Nacht war mir das Pfarrhaus richtig unheimlich. Wir radelten ein Stück durch den Wald, mußten aber bald absteigen und schieben, da der Weg voll abgebrochener Äste war. Ein paar Bäume waren umgestürzt, und in eine alte Esche, die am Waldrand stand, hatte der Blitz eingeschlagen.

In Lilletorp waren gerade ein paar Arbeiter damit beschäftigt, ein Dach zu reparieren, das der Sturm abgedeckt hatte. Vor dem Krogen standen Magnus und Sten und warteten schon auf uns. Ihre Mopeds hatten sie diesmal nicht mitgebracht.

„Kein Badewetter“, sagte Sten genau wie Kristin beim Frühstück und grinste. „Wir hatten schon verdacht, ihr kommt nicht.“

„Gedacht oder vermutet“, verbesserte Kristin. „War das ein Sturm heute nacht! Frankie war ganz von den Socken vor Schreck.“

„Von den Socken?“ wiederholte Magnus verständnislos.

„Außer sich“, erklärte Kristin vergnügt.

„Du hast dich auch nicht gerade pudelwohl gefühlt“, sagte ich gereizt. Wir setzten uns an den Tisch vor die Gastwirtschaft, doch besonders gemütlich war es nicht. Der Wind pfiff um die Ecken, als wäre der Sommer längst vorbei.

„Beim Bauern von Ekeby hat der Blitz eingeschlagen“, berichtete Sten und streckte seine langen Beine aus. „Sie haben den ganzen Nacht gelöscht. Gut, daß nur der Scheune gebrannt ist und nicht der Stall oder das Wohnhaus.“

„Heutzutage hat doch jeder einen Blitzableiter“, sagte ich und sah Kristin vielsagend an.

Sie gab keine Antwort. Ich merkte an ihrer Miene, daß sie an etwas anderes dachte. „Mein Vater weiß, daß sich die Leute hier in der Gegend erzählen, im Pfarrhaus würde es spuken“, erklärte sie unvermittelt. „Aber er sagt, er selbst hätte noch nichts davon bemerkt. Der Schweinepastor soll Sigurdsson geheißen haben. Angeblich weiß man nicht, ob sich seine Frau das Leben genommen hat oder ob sie eines natürlichen Todes gestorben ist. Und ihr kleines Kind soll damals wirklich spurlos verschwunden sein. Vater hat Aufzeichnungen darüber gelesen.“

Jetzt waren wir also wieder bei dem Thema, das ich am liebsten vergessen hätte. Magnus sah mich von der Seite an. Ich glaube, er ahnte, wie mir zumute war.

„Paß auf“, sagte Sten, „wir gehen jetzt zu Magnus’ Großmutter, dann soll sie uns von dem Spukerei erzählen. Das tut sie bestimmt gern. Sie ist eine sehr gesprächliche Frau.“

Kristin war so angetan von dem Vorschlag, daß sie ganz vergaß, ihn zu verbessern. Nur Magnus sah zweifelnd drein.

„Wir können sie doch nicht einfach so überfallen“, sagte ich rasch. „Da müßte Magnus sie schon wenigstens vorher fragen, ob sie einverstanden ist und wann wir kommen können. Außerdem…“ Ich verstummte.

„Ach, mein Großmutter ist nicht so“, versicherte Magnus. „Sie hat gern junger Leute bei ihr, und sie erzählt gern, das stimmt schon. Aber ich denke, das ist alles viel Blödsinn. Ich meine, wir sollen es nicht für wahr nehmen und kein Nachforschung darüber machen. Vielleicht ist das besser so, nicht?“ Und er sah mich dabei an.

„Ach was!“ sagte Kristin, ehe ich etwas erwidern konnte. „Wir nehmen es doch gar nicht richtig ernst. Aber es ist interessant. Ich habe noch nie in einem Spukhaus gewohnt. Das ist doch eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen darf, nicht wahr, Frankie?“ Und sie stieß mich mit dem Ellbogen an.

Ich murmelte: „Kann sein, aber ich bin nicht wild darauf. Ihr könnt ja zur Großmutter gehen. Ich bleibe inzwischen hier und warte auf euch.“

Kristin protestierte entrüstet. „Kommt nicht in Frage, Frankie! Du kommst mit, du kannst dich doch nicht einfach so ausschließen! Außerdem ist jetzt die beste Gelegenheit für dich, deine Angst überwinden zu lernen. Du mußt dich damit auseinandersetzen, verstehst du? Und wenn du die Erfahrung machst, daß hinter dem ganzen Gerede nichts steckt, wirst du dich auch nie mehr fürchten. So einfach ist das.“

So einfach war das, ja. Kristin zog mich hoch, und Magnus und Sten standen ebenfalls auf. Unsere Fahrräder ließen wir an einer Hausmauer zurück.

Magnus’ Großmutter lebte in einem roten Holzhaus mit weißen Fensterrahmen und einem mit Schnitzwerk verzierten Vorhäuschen am Rand von Lilletorp. Im Hof gackerten Hühner. Ein grünes Gatter quietschte in den Angeln, als wir auf die Zufahrt traten, Wäsche hing zwischen den Obstbäumen zum Trocknen. Es sah alles sehr friedlich und alltäglich aus. Mein Unbehagen wich.

Wenn Magnus’ Großmutter sich über unseren Besuch wunderte, so zeigte sie es jedenfalls nicht. Sie war klein und hager und hatte breite Backenknochen. Ihre Gesichtshaut sah aus, als wäre sie sehr straff über die Knochen gespannt. Sie hatte ihr graublondes Haar zu Zöpfen geflochten und in einer Krone um den Kopf gewunden.

„Goddag“, sagte sie und dann noch etwas, was ich nicht verstand. Dabei musterte sie Kristin und mich aufmerksam.

Von Magnus’ Antwort verstand ich nur einen Namen: Professor Zetterlund. Offenbar erklärte er seiner Großmutter, daß Kristin Professor Zetterlunds Tochter war.

Ihr Blick wurde noch aufmerksamer. Sie führte uns in eine blitzsaubere, altmodisch eingerichtete Wohnstube mit Schondeckchen auf dem Sofa und den Polstersesseln, Familienfotos an den Wänden und blühenden Pflanzen auf den Fenstersimsen.

Dann begannen sie zu reden – erst Sten, dann Magnus, schließlich Kristin und die alte Dame. Ich saß stumm dabei und sah mich im Zimmer um. Draußen krähte ein Hahn. Eine Fliege summte gereizt an einer Fensterscheibe.

Schließlich wandte sich Magnus an mich und sagte: „Ich habe Großmutter alles erklärt. Sie sagt, daß sie ist niemals selbst in das Pfarrhaus gewesen. Sie würde überhaupt nicht in ihm hineingehen wollen, sagt sie, denn all die Leute wissen, daß es ist ein Spukhaus.“

Seine Großmutter nickte, als hätte sie alles verstanden, und warf mir einen Blick zu. Ihre Augen waren denen von Magnus ähnlich; sie verrieten nicht, was sie dachte.

Wieder sagte sie etwas. Sten wandte sich an Kristin und mich. „Sie will wissen, ob ihr ins Pfarrhaus schon etwas von dem Spukerei gemerkt habt.“

„Ich hab’s verstanden“, erwiderte Kristin, ehe ich etwas sagen konnte. „Nein, wir haben nichts gemerkt – nicht, Frankie?“

Ich zögerte für den Bruchteil einer Sekunde. Dann nickte ich und bestätigte: „Nichts.“

Ingenting“, sagte Magnus zu seiner Großmutter.

Ihr Blick lag noch immer auf mir. Vielleicht hatte sie mein Zögern bemerkt und richtig gedeutet; wer weiß.

Eine Weile herrschte Schweigen. Mir war ziemlich unbehaglich, und ich wünschte, wir hätten gehen können. Plötzlich begann Magnus’ Großmutter wieder zu reden. Sie sprach ziemlich lange und sah mich dabei mehrmals an, so daß ich das Gefühl bekam, als würde sie das alles hauptsächlich mir erzählen, ausgerechnet mir, die ich doch kein Wort verstand.

Nachdem sie einige Zeit gesprochen hatte, machte sie eine Pause, die Kristin sofort nutzte, um mir alles zu übersetzen.

„Sie sagt, daß ihre Urgroßmutter Küchenmädchen im Pfarrhaus war. Lina hieß sie“, erklärte sie. „Und zwar bei einem Pastor Bergström und seiner Frau. Die beiden müssen eine freundliche Dienstherrschaft gewesen sein, aber im Pfarrhaus ging es um. Lina, die Urgroßmutter, hörte nachts oft seltsame Geräusche im Haus – das Weinen einer Frau und Kindergeschrei. Damals war diese Lina selbst natürlich noch ein junges Mädchen. Pastor Bergström versuchte die Geister auszutreiben, aber es nützte nichts. Lina konnte schließlich vor Angst nicht mehr schlafen, und als die Umtriebe eines Nachts besonders schlimm waren, packte sie am nächsten Morgen ihre Sachen und ging fort. Jahre später erzählte sie dann ihrer Tochter alles, was sie im Pfarrhaus erlebt hatte, und die erzählte es wieder ihren Kindern. So hat Magnus’ Großmutter die ganze Geschichte schließlich von ihrer eigenen Mutter erfahren.“

Als Kristin schwieg, sah Magnus’ Großmutter mich an und nickte mit ernster Miene.

Ich zwang mich, ihren Blick zu erwidern. Es wäre mir viel lieber gewesen, wenn sie eine klatschsüchtige, abergläubische alte Frau gewesen wäre, über die ich mich heimlich lustig machen konnte und die niemand ernst nahm. Doch Magnus’ Großmutter war keine komische Alte. Sie hatte kluge, wachsame Augen und kam mir durchaus vernünftig und aufgeschlossen vor. Gerade das aber machte die Sache so schlimm – daß ich sie für glaubwürdig hielt.

Vielleicht, dachte ich verzweifelt, war ihre Urgroßmutter Lina eine von jenen überängstlichen Frauen gewesen, die überall Gespenster sehen… Doch da fielen mir die Geräusche wieder ein, die ich selbst in der ersten Nacht im Pfarrhaus gehört hatte. Immerhin war es kein Kindergeschrei gewesen, auch nicht das Weinen einer Frau. An diesen Gedanken klammerte ich mich wie an einen Rettungsring. Vielleicht war doch alles nur ein Märchen; vielleicht war der Pfarrhof nur ein ganz gewöhnliches altes Haus wie viele andere auch.

Die alte Frau sah mich noch immer an, als erwartete sie eine Antwort oder eine Bemerkung von mir. Doch da ich nicht wußte, was ich sagen sollte, schwieg ich.

Sten äußerte: „Eigentlich glaube ich nicht an Spukerei.“

Ich atmete auf. Magnus wandte sich an seine Großmutter. „Han tror inte på spökeri“, übersetzte er.

Sie lachte. Es klang nicht fröhlich, sondern wie das Lachen eines Menschen, der es besser weiß. Sie gab eine Antwort, die Sten offenbar ärgerte, denn er wurde rot und sagte nichts mehr.

„Was hat sie gesagt?“ fragte ich Kristin, die neben mir saß, halblaut.

„Wer Spuk leugnet, ist unwissend oder hat Angst, meint sie“, erklärte Kristin.

Bald darauf gingen wir. Magnus’ Großmutter begleitete uns zur Tür. Beim Abschied gab sie mir die Hand – weshalb gerade mir und nicht den anderen? Wieder sah sie mich eindringlich an, sagte etwas, warf Magnus einen fordernden Blick zu und wartete offenkundig darauf, daß er mir ihre Bemerkung übersetzte.

„Ihr sollt vorsichtig sein“, erklärte er. „Du sollst auf dir aufpassen, Frankie. Wenn du Probleme hast und kein Ahnung, wohin du dir wenden sollst, kannst du zu sie kommen. Das hat sie gesagt.“

Die alte Frau nickte. Ich lächelte sie an – wahrscheinlich war es mehr eine Grimasse als ein Lächeln – und dachte bei mir: Wieso sollte ich zu ihr gehen? Wir sprechen ja nicht einmal die gleiche Sprache. Ich habe doch Kristin, ich bin nicht allein. Was soll mir schon geschehen?

Ich ahnte nicht, wie recht sie hatte, und daß ich eines nicht allzu fernen Tages noch an ihr Angebot denken sollte.

Unheimlich

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