Читать книгу Unheimlich - Ursula Isbel-Dotzler - Страница 13

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„Was meinst du?“ fragte Kristin, als wir zum Frühstück gingen. „Sollen wir meinem Vater davon erzählen?“

Ich sagte: „Er wird’s nicht glauben – es sei denn, er hat die Geräusche selbst gehört.“

Sie sah mich von der Seite an. „Du weißt doch, daß er meistens Schlaftabletten nimmt. Er würde sicher denken, du hättest dir alles nur eingebildet.“

„Genau wie du“, sagte ich.

Kristin blieb auf der Treppe stehen. „Aber Frankie! Ich… wir haben doch immer Vertrauen zueinander gehabt! Ich meine, ich würde nie denken, daß du versuchst, mir etwas vorzumachen. Aber – es könnte doch wirklich sein, daß du nur geträumt hast! Manchmal träumt man so lebhaft, daß man denkt, alles wäre wirklich passiert, und…“

Ich unterbrach sie. „Ja, ja. Das hast du alles schon mal gesagt. Aber ich habe nicht geträumt. Jedenfalls die Geräusche nicht. Das weiß ich genauso sicher, wie… wie ich weiß, daß ich hier neben dir stehe!“

Ich ging weiter und sah mich nicht nach ihr um. Stumm folgte sie mir. In der Halle begegnete uns Märta mit einem Tablett in den Händen. Sie sagte etwas zu Kristin, die mir dann beim Frühstück erklärte, ihr Vater sei schon frühmorgens nach Uppsala gefahren, um Fachbücher zu kaufen. Er hatte Märta aufgetragen, uns Bescheid zu sagen.

„So ein Mist! Warum hat er nicht gestern mit uns darüber geredet?“ fragte Kristin ärgerlich. „Wir hätten mitfahren können!“

Voller Sehnsucht dachte ich, wie schön es gewesen wäre, wenigstens für einen Tag von hier fortzukommen und das Pfarrhaus zu vergessen. Doch zugleich wußte ich auch, daß es mir unmöglich gewesen wäre, die vergangene Nacht zu vergessen, und wenn ich tausend Meilen weit gefahren wäre.

Das Frühstück schmeckte mir nicht. Ich trank zwei Tassen von dem starken schwarzen Kaffee, bis ich Herzklopfen bekam, und versuchte meine eiskalten Hände an der Kaffeetasse zu wärmen.

„Wir fahren auch nach Uppsala!“ sagte Kristin entschlossen.

„Wann? Heute?“ fragte ich.

„Nein, laß uns mal bis zum Samstag warten. Vielleicht haben Sten und Magnus dann Zeit, und wir können miteinander fahren. Das macht mehr Spaß.“

Ich nickte. Unvermittelt sagte Kristin: „Du, Frankie, wir sehen uns jetzt im Haus um. Hier im Erdgeschoß stehen zwei Zimmer leer, das hat mir mein Vater mal geschrieben. Die durchsuchen wir. Und dann gehen wir in den Keller. Vielleicht finden wir etwas – irgendeine Erklärung für die Geräusche.“

Ich sah sie an. Meine Hände, die ich um die Kaffeetasse geschlossen hatte, zitterten. „Ich hab dir doch schon gesagt, du wirst nichts finden! Nur Menschen aus Fleisch und Blut hinterlassen Spuren.“

„Aber Frankie, vielleicht ist irgendein Trick bei der Sache! Vielleicht erlaubt sich jemand einen dummen Scherz mit uns und hat irgendwo ein kleines Tonband versteckt, eine Wanze oder so.“

„Eine Wanze ist ein Abhörgerät“, sagte ich. „Und wer sollte so was tun? Geräusche auf Tonband aufnehmen, es in ein fremdes Haus schmuggeln und nachts ablaufen lassen?“

„Ein Verrückter vielleicht“, schlug Kristin eifrig vor. „Oder jemand, der meinen Vater aus dem Pfarrhaus vertreiben will. Vielleicht meint irgend so ein Irrer, hier wäre ein Schatz versteckt.“

Ich faßte mir an den Kopf. „Herrje!“ sagte ich. „Wir haben doch von Sten gehört, daß das Pfarrhaus jahrelang leergestanden hat, ehe dein Vater es gekauft hat. Da wäre genug Zeit und Gelegenheit gewesen, es von oben bis unten zu durchsuchen. Nein, daran glaube ich nicht. Deine Phantasie geht mal wieder mit dir durch!“

„Und was ist mit deiner Phantasie?“ fragte Kristin anklagend. „Ist es vielleicht weniger phantastisch, gleich an Spuk zu glauben?“

Ich tat den Mund auf, um etwas zu erwidern, schwieg dann aber und dachte, daß sie recht hatte. Ich hielt dieses Haus wirklich für ein Spukhaus, fühlte mich darin wie ein Mensch, der an einen Ort des Schreckens verbannt ist.

Und ich dachte: Ich möchte nach Hause. Wenn ich nur nach Hause fahren könnte! Doch natürlich war das unmöglich. Ich war mit Kristin nach Schweden gekommen und konnte erst wieder am Ende unserer Ferien mit ihr zusammen von hier fort. Sie war meine Freundin, und ich durfte sie nicht einfach im Stich lassen, nur weil ich Angst hatte. Das wäre mir wie Verrat vorgekommen.

Zum Glück wußte Kristin nichts von meinen Gedanken. Sie stand auf, ging ans Fenster und sah eine Weile hinaus. Dann sagte sie: „Du, Märta ist gerade auf ihr Fahrrad gestiegen. Wahrscheinlich will sie zum Einkaufen nach Lilletorp radeln. Das ist die beste Gelegenheit. Jetzt können wir uns ungestört umsehen!“

Ich wollte mich schon weigern, mitzumachen; doch dann dachte ich, daß alles besser war, als in dieser Angst zu verharren, und daß es vielleicht doch eine winzige Chance gab, eine natürliche Erklärung für die nächtlichen Geräusche zu finden.

Also stand ich ziemlich widerstrebend auf und folgte Kristin in die Halle. Wir gingen am Arbeitszimmer des Professors vorbei und kamen in einen Seitenflur mit einer Hintertür, die in den Garten führte. Sie hatte in der oberen Hälfte ein Fenster aus buntem, undurchsichtigem Glas. Das Sonnenlicht brach sich darin und ließ die Scheiben wie Edelsteine funkeln.

Kristin drückte die Klinke nieder. „Abgesperrt“, sagte sie. „Die wird sicher selten benutzt.“

Wir drehten uns um und gingen zum anderen Ende des schmalen Seitenflurs, an einem Fenster vorbei, unter dem eine bemalte Truhe stand. Ein Ölbild von einem würdigen älteren Herrn mit weißem Kragen hing an der Wand. Der Boden war hier mit alten Steinfliesen ausgelegt. Unsere Schritte hallten hohl von den Wänden wider.

Kristin öffnete eine Tür zur Linken, und wir traten über die Schwelle. Ein leichter Modergeruch, wie er unbewohnten Räumen oft anhaftet, schlug uns entgegen.

Wir sahen uns um. Das Zimmer war spärlich möbliert – ein altmodischer Schrank stand in der Ecke, groß genug, um zwei ausgewachsenen Männern als Versteck zu dienen; dazu gab es noch eine Kommode, ein Messingbett ohne Bettzeug, eine Lampe mit Stoffüberzug und Fransen und einen sechseckigen Spiegel mit Goldrahmen. Ein ziemlich abgetretener Teppich vervollständigte die Einrichtung.

„Sehen wir mal im Schrank nach!“ sagte Kristin.

Ich blieb stehen und beobachtete, wie sie durchs Zimmer ging, den Schlüssel im Schloß drehte und die riesige Schranktür öffnete. Ein schauerliches Knarren erklang, das jeden Tontechniker eines Gruselfilms in Entzücken versetzt hätte.

„Hast du das gehört?“ fragte Kristin überflüssigerweise.

„Ja“, sagte ich. „Ich bin schließlich nicht taub.“

„Ich meine, es könnte doch sein, daß jemand heute nacht diesen Schrank geöffnet hat. Dann hast du das Knarren gehört und gemeint, es wäre ein Schluchzen.“

„Es hat ganz anders geklungen!“ sagte ich aufgebracht. „Seit wann klingt das Knarren einer Schranktür ähnlich wie das Schluchzen einer Frau?“

„Oder vielleicht war es das, was du für Kindergeschrei gehalten hast“, meinte Kristin hartnäckig. „Du, dieses Zimmer müßte doch so ungefähr unter dem unseren liegen, oder?“

Sie erwärmte sich richtig für den Gedanken. „Also paß mal auf, Frankie, du gehst jetzt schnell mal nach oben, und wenn du in unserem Zimmer bist, stampfst du mit dem Fuß auf den Boden. Dann mache ich die Schranktür auf und zu. Du mußt genau aufpassen, ob du ähnliche Geräusche hörst wie in der vergangenen Nacht.“

Ich hielt den Versuch für sinnlos, aber Kristin war so begeistert von ihrer Idee, daß ich ihr den Gefallen tun wollte. Also ging ich aus dem unbewohnten Zimmer hinaus, den Flur entlang, an der Tür des Arbeitszimmers vorbei in die Halle, die Treppe hinauf und in unser Zimmer. Dort gab ich das verabredete Zeichen und lauschte.

Sofort erklang ein schwaches, fernes Knarren; nein, eigentlich klang es mehr wie das Ächzen eines morschen Baumes im Wind. Ich dachte, daß ich das Geräusch vielleicht schon einmal gehört hatte; doch bestimmt nicht in der vergangenen Nacht.

Kristin wartete im Seitenflur auf mich. „Was ist?“ fragte sie gespannt.

„Nichts“, sagte ich. „Es klang wie ein Ächzen. Vielleicht hab ich’s schon mal gehört, aber vergangene Nacht nicht.“

„Bist du sicher?“

„Ganz sicher. Was war im Schrank?“

„Nur ein paar alte Kleider, die nach Mottenpulver riechen. Wahrscheinlich hängen sie schon seit zwanzig Jahren da. Meinem Vater gehören sie jedenfalls nicht.“

Auch der Raum neben dem Zimmer mit dem ächzenden Schrank war unbewohnt. Er stand leer bis auf zwei alte Stühle und einen schiefen Tisch.

„Nichts“, sagte Kristin enttäuscht. „Aber vielleicht sollten wir mal die Wände abklopfen, was meinst du? Womöglich gibt’s hier ein Priesterversteck.“

Tatsächlich war das ganze Zimmer mit Holz getäfelt, während im anderen Raum, den wir uns vorher angesehen haten, nur alte Tapeten an den Wänden waren. Trotzdem hatte ich keine Hoffnung, daß wir hier des Rätsels Lösung finden würden.

Kristin gab ihre Klopfversuche auch bald auf. Sie sagte: „Ohne einen richtigen Anhaltspunkt geht das nicht. Wenn nur irgendwo wenigstens eine mickrige Verzierung wäre! In Verzierungen sind immer irgendwelche Knöpfe versteckt, auf die man bloß zu drükken braucht, damit sich die Geheimtüren automatisch öffnen. Das kann man in jedem Abenteuerroman lesen.“

Da die Wandvertäfelung im Pfarrhaus völlig glatt und ohne jeden Zierat war, konnten wir nicht nachprüfen, ob solche Romane mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Falls es hier tatsächlich eine Geheimtür zu einem Wandversteck gab, mußte sie schon höchst geschickt getarnt sein, denn mit bloßem Auge bemerkten wir nirgends auch nur die geringste Besonderheit oder Abweichung.

„Das bringt nichts“, entschied Kristin. „Komm, Frankie, jetzt gehen wir in den Keller!“

Ich hatte überhaupt keine Lust, mir auch noch den Keller anzusehen. Viel lieber wäre ich aus dem Haus gegangen, in den Wald oder nach Lilletorp, irgendwohin. Doch Kristin war wild entschlossen, weiterzusuchen; ich kannte diesen Gesichtsausdruck nur zu gut an ihr.

„Und hinterher sehen wir uns auch noch den Dachboden an“, sagte sie.

Diesmal widersprach ich energisch. „Unsinn!“ erwiderte ich. „Was willst du denn da oben? Die Geräusche, die ich gehört habe, kamen eindeutig von unten.“

„Man kann nicht immer beurteilen, ob Geräusche von oben oder von unten kommen“, sagte Kristin. „Bei uns zu Hause weiß man auch nie, ob die Leute über uns oder unter uns sich streiten, oder ob der Nachbar rechts oder links sein Badewasser einläßt – vor allem nachts nicht.“

Ich gab keine Antwort, obwohl ich keinen Augenblick daran zweifelte, daß die Geräusche wirklich von unten gekommen waren. Gemeinsam gingen wir den Flur zurück; und als wir vor der Hintertür standen, kamen wir plötzlich darauf, daß wir keine Ahnung hatten, wo der Zugang zum Keller war.

„Vielleicht hat das Haus gar keinen Keller“, sagte Kristin. „Nicht alle alten Häuser sind unterkellert.“

Spontan sagte ich: „Es muß einen Keller geben!“ Und ich wunderte mich selbst, mit welcher Sicherheit ich das behauptete.

Kristin sah mich erstaunt an. „Woher weißt du das? Hat mein Vater den Keller mal erwähnt?“

„Nein“, sagte ich. „Ich weiß es auch gar nicht. Es… Es war nur so ein Gefühl.“

Wir suchten fast zehn Minuten lang, bis wir den Zugang zum Keller fanden. Es war eine schmale, unauffällige Tür im Abstellraum, nicht weit von der Küche. Sie war nur mit einem einfachen hölzernen Schnappriegel verschlossen.

Kristin hob den Riegel und öffnete die Tür. Dahinter führte eine Treppe in die Dunkelheit.

„Wo ist der Lichtschalter?“ fragte sie und tastete über die Mauer. „Scheint keiner da zu sein. So was – ein Keller ohne elektrisches Licht!“

Wir sahen uns an. „Wir müssen eine Kerze holen“, sagte Kristin schließlich.

Ich starrte auf die dunklen Stufen. Ein Gefühl tiefen Unbehagens erfüllte mich, so, als sei ich diese Treppe schon einmal hinuntergegangen und als wäre mir hier etwas Schlimmes widerfahren.

Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück. Ich hörte Kristin sagen: „Warte hier auf mich, Frankie. Ich gehe in die Küche. Da habe ich Kerzen auf einem Regal gesehen.“

„Ich komme mit“, erwiderte ich rasch, denn alles in mir sträubte sich, allein bei der Kellertreppe zurückzubleiben. Der Gang in die Küche erschien mir wie ein Aufschub, eine Gnadenfrist.

Doch schon wenige Minuten später waren wir wieder an der Treppe, mit einer Kerze in einem altmodischen Leuchter und einem Päckchen Streichhölzer. Ich hätte Kristin am liebsten gebeten, diese sinnlose Suche aufzugeben oder wenigstens allein in den Keller zu gehen und mich mit all dem zu verschonen, doch ich sagte kein Wort. Wenn sie mich schon für abergläubisch und überängstlich hielt, für feige sollte sie mich nicht auch noch halten.

Mit zusammengebissenen Zähnen stieg ich hinter ihr die Stufen hinunter. Der Kerzenschein huschte flackernd über die rohen Ziegelwände. Ein dumpfer Geruch lag in der Luft, der mich an eine Gruft erinnerte.

„Hier stinkt’s!“ sagte Kristin.

Meine Füße waren wie Blei. Ich spürte ganz deutlich, daß sie sich weigern wollten, weiterzugehen – mein ganzer Körper widersetzte sich, wollte umkehren, weglaufen…

Kristin blieb stehen und hob die Kerze. Ich sah, daß sie vor einer zweiten Tür haltgemacht hatte. Es war eine schwere Holztür mit alten, eisernen Beschlägen. Ein Kreuz war mit roter Farbe auf die Mitte der Tür gemalt.

Mein Blick blieb auf dem Kreuz haften; mein Herz tat ein paar wilde Schläge. Ich konnte es nicht glauben, was ich da im flackernden Schein der Kerze sah: Es war jene Tür, durch die die Frau mit dem Kind verschwunden war – die Tür aus meinem Traum.

Unheimlich

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