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In dieser Nacht schlief ich endlich wieder besser. Vielleicht war es das ungewohnte Leichtbier, das mir festeren Schlaf und angenehmere Träume bescherte. Trotzdem erschrak ich, als Kristins Vater uns am nächsten Morgen beim Frühstück eröffnete, er müsse für vier Tage verreisen.

„Eine Tagung in Kopenhagen“, sagte er. „Ich hoffe, es macht euch nichts aus, so lange hier allein zu sein.“ Und er fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: „Aber wie ich merke, habt ihr ja schon Freunde gefunden und amüsiert euch gut.“

Vier Tage allein im Pfarrhaus – nur Kristin und ich! Mir war plötzlich richtig elend. Ich ließ meine Kaffeetasse sinken und steckte die Hände in die Hosentaschen, um ihr Zittern zu verbergen.

Ich merkte, wie Kristin mir einen Seitenblick zuwarf. Sie sagte: „Ja, schon; aber kann Märta nicht im Haus schlafen, während du weg bist?“

„Ich habe sie bereits gefragt“, erwiderte ihr Vater. „Leider hat sie abgelehnt. Offenbar ist sie ein bißchen abergläubisch und nimmt die Spukgeschichten ernst, die man sich in der Gegend über das Pfarrhaus erzählt. Mir persönlich wäre es natürlich auch lieber gewesen, wenn ich wüßte, daß ihr nachts nicht allein seid. Aber tagsüber ist Märta ja hier. Nachts verriegelt ihr die Türen und Fenster gut, dann kann nichts passieren. In dieser Gegend ist noch nie etwas vorgekommen; eingebrochen wird hier nicht.“

Die Türen und Fenster verriegeln! dachte ich bitter. Wenn es nur das wäre! Doch ich sagte nichts. Was hätte ich schon sagen können? Professor Zetterlund hätte mir ja doch nicht geglaubt. Doch was hatte seine Anwesenheit im Grunde genommen bisher geändert? Er schien nie etwas zu hören, und ich wäre wohl auch kaum auf den Gedanken gekommen, nachts an seine Tür zu klopfen und mich um Hilfe an ihn zu wenden.

Wieder beobachtete mich Kristin von der Seite. Ihr Vater sagte: „Ich hatte eigentlich gar nicht vor, zu dieser Tagung zu fahren, aber ein Kollege ist krank geworden. Ich habe versprochen, an seiner Stelle einen Vortrag zu halten. Es widerstrebt mir wirklich, euch allein zu lassen; aber ihr seid schließlich fast erwachsen und könnt gut auf euch selbst achten.“

Für gewöhnlich war ich sehr erfreut, wenn ich für erwachsen galt, doch in diesem Augenblick behagte es mir nicht. Professor Zetterlund stand auf und ging aus dem Eßzimmer, um seinen Vortrag vorzubereiten. Ich saß neben Kristin am Tisch, mit einem Gefühl, als hätte mir jemand mit einem Sandsack auf den Kopf geschlagen.

Am nächsten Tag fuhr Kristins Vater mit dem Wagen nach Stockholm. Von dort aus wollte er nach Kopenhagen fliegen. Ich hatte mich inzwischen wieder etwas beruhigt, da auch diese Nacht friedlich und ohne Zwischenfall vergangen war.

Wir standen am Tor und sahen dem Professor nach, wie er in seinem blauen Volvo losfuhr. Neben ihm saß Märta mit Hut und Sonntagskostüm. Sie wollte Einkäufe in Stockholm machen und erst nachmittags mit Zug und Bus zurückkommen.

„Wenn du möchtest, können wir ja Sten oder Magnus fragen, ob sie bei uns im Haus übernachten wollen“, meinte Kristin tröstend, als der Wagen zwischen den Bäumen verschwand.

Ich schüttelte den Kopf. „Das würde in Lilletorp nur ein wildes Getratsche geben. Schließlich kann keiner von den beiden hier übernachten, ohne seinen Eltern Bescheid zu sagen – und dann hieße es bald im ganzen Dorf, daß wir Angst vor dem Spuk haben.“

Kristin stöhnte. „Mach doch nicht immer aus allem ein Problem!“ sagte sie.

Wir gingen ins Haus zurück. Es war ein schöner, warmer Tag; Märta hatte das Frühstück für uns auf der Terrasse gedeckt – nur für Kristin und mich, denn der Professor wollte erst auf dem Flughafen einen Imbiß zu sich nehmen. Ein Schmetterling flatterte über den Rasen, die Vögel sangen in den Bäumen, und Kristin meinte, daß sie nicht überrascht wäre, wenn plötzlich ein Elch seinen Kopf über den Zaun strecken würde.

Natürlich wollte sie mich aufmuntern. Ich versuchte zu lächeln. „Meinetwegen schauen ein Dutzend Elche und zehn Bären über den Zaun“, erwiderte ich. „So was kann mich nicht mehr schrecken.“

Kristin sah mich halb ungläubig, halb erstaunt an. „Was? Du bist ja richtig tollkühn geworden, Frankie!“

„Nicht tollkühn“, sagte ich und schnitt eine Grimasse. „Aber vielleicht habe ich andere… andere Maßstäbe bekommen.“

Ich merkte, daß sie mich nicht verstand. Eine Weile sahen wir schweigend auf den Garten, in dem es wegen des dichten Blätterdachs nur wenige sonnige Stellen gab. Plötzlich sagte Kristin: „Du, da ist eine alte Schaukel – dort, im Gestrüpp zwischen den Bäumen!“

Ich folgte ihrem ausgestreckten Zeigefinger mit den Blicken. Zuerst sah ich nichts als ein Gewirr von Zweigen und Blattwerk. Dann aber entdeckte ich etwa einen Meter über dem Gras, in dem Margeriten blühten, ein Brett an zwei Seilen.

Kristin setzte ihre Kaffeetasse klirrend ab und sprang auf.

„Das muß ich mir ansehen!“ sagte sie.

Ich folgte ihr über den gepflasterten Pfad, ein paar verwitterte Steinstufen hinunter und dann durchs hohe Gras zum Gebüsch. Da hing wirklich eine Schaukel – der Himmel mochte wissen, wie lange schon. Das Brett war bemoost und hing an rostigen Drahtseilen von einem Ast, der hoch über unseren Köpfen wie der Rüssel eines Elefanten quer durchs Laubwerk ragte.

„Ich dachte, hier hat vor meinem Vater ewig kein Mensch mehr gewohnt“, sagte Kristin und stieß das Brett vorsichtig mit den Fingerspitzen an, daß es leicht zu schwanken begann.

„Sicher“, erwiderte ich. „Die Schaukel hängt ja auch bestimmt schon seit einem halben Jahrhundert hier.“

„Komisch“, sagte Kristin. „Wer mag wohl zuletzt auf dem Brett gesessen haben? Ein kleines Mädchen im langen Kleid und mit Spitzenunterröcken?“

Und ehe ich recht wußte, was geschah, drehte sie sich um und setzte sich auf das bemooste, morsche Brett.

„Du willst doch wohl nicht auf dem Ding schaukeln?“ protestierte ich. „Das Brett hält sicher nichts mehr aus, und wer weiß, in welchem Zustand die Drähte sind. Sie sehen aus, als wären sie schon vom Rost zerfressen – ein Wunder, daß sie überhaupt bis jetzt gehalten haben. Von dem Ast dort oben ganz zu schweigen…“

„Ach, du mit deinen ewigen Befürchtungen!“ sagte Kristin. „Du bist eine alte Unke. Sieh doch nicht immer so schwarz! Die Schaukel hängt schon so lange hier, warum soll sie mich nicht aushalten? Schließlich bin ich kein Schwergewicht!“

Und sie begann zu schaukeln – langsam zuerst, mit herausfordernder Miene und sichtlichem Vergnügen. Ich mochte gar nicht hinsehen. Sie gab sich immer mehr Schwung, indem sie sich mit den Füßen vom Boden abstieß; dabei zertrat sie die anmutigen Margeriten und das hohe, schlanke Gras.

„Sei doch nicht so leichtsinnig!“ bat ich. „Los, komm jetzt wieder herunter!“

Kristin lachte nur. Sie sah richtig übermütig aus, wie sie da zwischen Licht und Schatten im Laubwerk schaukelte, mit fliegenden Haaren und glänzenden Augen. Sie erinnerte mich an ein Foto von Hamilton, nur daß ein langer, rüschenbesetzter Rock passender gewesen wäre als ihre abgewetzten Jeans.

„Juhu!“ schrie sie und schwang sich noch höher hinauf, daß die Blätter und Zweige rauschten und raschelten. „Das macht Spaß!“ In ihren Jubelschrei mischte sich plötzlich ein grauenhaftes Knacken und Krachen. Es war ein Laut, der mir fast das Blut in den Adern erstarren ließ.

Unwillkürlich wich ich zurück. Kristin kam mir entgegengeflogen; für einen Moment sah ich ihren offenen Mund und ihre schreckgeweiteten Augen.

Die Schaukel schwang zurück, weg von mir – ein furchtbares Ächzen, dann geschah es: splitternd und krachend brach der Ast nieder, der die Schaukel hielt. Er wurde vom Gestrüpp aufgefangen, doch die Schaukel senkte sich ganz plötzlich. Es sah verrückt aus, fast wie eine Trickszene in einem alten Film.

Ich stand da, hilflos, wie versteinert, konnte nichts tun als zusehen, während Kristin wie eine Puppe vom Brett geschleudert wurde, ein Stück durch die Luft schnellte – vorwärts, wie von einer unsichtbaren Hand gestoßen – und mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden landete.

Einen Moment lang schien die Zeit stillzustehen. Nichts geschah; das Knacken und Rauschen verklang, die leere Schaukel schleifte übers Gras. Kristin lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden, in seltsam verrenkter Stellung, leblos wie eine Marionette.

Plötzlich erwachte ich aus meiner Betäubung. Ich stürzte zu ihr hin, kniete neben ihr nieder, rief ihren Namen. Doch Kristin rührte sich nicht.

Unheimlich

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