Читать книгу Unheimlich - Ursula Isbel-Dotzler - Страница 16
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ОглавлениеDie folgenden Tage und Nächte verliefen ohne Zwischenfall. Nichts Ungewöhnliches geschah; alles war friedlich. Nachts hörte man kein Geräusch als das Rauschen und Raunen der Bäume ums Haus oder das Sausen des Windes im Kamin, der vom Meer kam. Manchmal schrie auch ein Käuzchen aus dem Wald.
Trotzdem schlief ich kaum, war ständig auf der Hut, immer in Angst vor etwas, das nicht kam. Keine Frau weinte, kein Kind wimmerte.
„Da siehst du, daß es nichts zu fürchten gibt!“ sagte Kristin, und ich hätte ihr so gern geglaubt. Sie sagte auch: „Du zuckst bei jedem Geräusch zusammen und siehst aus, als wärst du reif fürs Sanatorium, Frankie. Was du brauchst, ist Abwechslung.“
So fuhren wir am Samstag wirklich mit Magnus und Sten nach Uppsala. Es wurde ein schöner, unbeschwerter Tag. Wir kauften auf dem kleinen Bauernmarkt Obst ein, gingen in Ofvandahls Konditorei, in der es berühmtes Gebäck gibt, sahen uns den alten Stadtkern und das moderne Einkaufszentrum an und bummelten an den ehrwürdigen Universitätsgebäuden vorbei. Auch das rote Schloß hoch oben auf der Anhöhe besichtigten wir, sahen uns die berühmte Domkirche an, wie es sich gehört, und legten uns dann im alten Linnégarten ins Gras unter die Bäume.
Abends gingen wir noch in eine Studentenkneipe in der Nähe des Domes. Obwohl wir nur „Leichtbier“ tranken – richtiges Bier bekommt man als Jugendlicher in Schweden nicht ausgeschenkt –, waren wir ausgesprochen lustig, als wir uns auf den Weg zum Bahnhof machten, wo der Bus nach Lilletorp abfahren sollte.
Sten zog sein Hemd und seine Schuhe aus, und wir konnten ihn nur mit Mühe davon abhalten, noch im Fluß Fyris zu baden.
„Das ist ein sauberes Flüßlein!“ sagte er immer wieder. „Ich brauche eine Auffrischung!“
„Du kannst dir zu Hause duschen“, erwiderte Magnus geduldig. „Hier ist das Baden verboten, Sten. Wenn du so was machst, setzen sie dir ins Gefängnis.“
„Bei Wasser und Brot!“ sagte Kristin und kicherte so, daß sie sich auf den Randstein setzen mußte. „Außerdem versäumen wir den letzten Bus, wenn wir uns nicht beeilen. Willst du vielleicht nach Lilletorp zurückwandern?“
„Ich brauche nicht wandern, wenn ich aufs Gefängnis sitze“, sagte Sten sehr logisch und nickte mehrmals mit dem Kopf.
Wir zogen und schubsten ihn weiter und kamen gerade noch rechtzeitig zum Bahnhof, als der Busfahrer den Motor anließ. Eilig stiegen wir ein. Kaum hatten wir Uppsala hinter uns gelassen, da schlief Sten schon wie ein Stein – „wie sich’s für seinen Namen gehört“, sagte Kristin.
Ich saß neben Magnus am Fenster. Diesmal wurde ich vom Fahren nicht reisekrank, sondern nur schläfrig. Ich legte den Kopf an seine Schulter und schloß die Augen. Nach einer Weile spürte ich, wie er den Arm um mich legte und sacht meine Haare streichelte.
Mir war so friedlich zumute wie schon seit langem nicht mehr. Ich hätte ewig so fahren mögen, durch ganz Schweden, nach Norwegen hinauf und zurück nach Dänemark – überallhin, nur nicht nach Lilletorp. Schließlich schlief ich ein und träumte, daß jemand mich küßte. Es war ein schöner Traum.
Ich erwachte erst wieder, als der Bus hielt. Magnus schüttelte mich sanft und flüsterte: „Wir müssen hinaussteigen, Frankie!“
Kristin ging weniger behutsam vor. Sie versuchte Sten hochzuzerren und schrie ihm ins Ohr, er solle endlich aufwachen. Als er nicht sofort gehorchte, zwickte sie ihn fest in die Nase, worauf er erschrocken auffuhr, sich wild umsah und etwas auf schwedisch sagte.
„Nein“, erwiderte Kristin, „du bist nicht in der Schule, aber schlafen darfst du trotzdem nicht!“
Draußen wurden wir alle schnell wieder munter. Die Luft war kühl; man merkte, daß der kurze schwedische Sommer schon vorüber war. Irgendwo schrie klagend ein Käuzchen.
Kristin sagte: „Ihr müßt uns aber noch nach Hause begleiten. Allein gehen wir jetzt nicht mehr durch den Wald.“
„Wir fahren euch mit den Mopeds hin“, versprach Sten.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das macht zuviel Krach. Wir würden ganz Lilletorp aus dem Schlaf reißen. Außerdem bist du ein bißchen angesäuselt.“
Er wollte wissen, was das wäre, angesäuselt. „Beschwipst“, sagte ich, doch auch das verstand er nicht.
„Lätt berusad“, übersetzte Kristin.
Sten wies diese Anschuldigung empört zurück. Er erklärte, von ein paar Flaschen Leichtbier könne nicht mal ein Baby beschwipst sein, das wäre einfach unmöglich.
„Du wolltest aber unbedingt im Fluß baden“, hielt ihm Kristin vor.
Sie kabbelten sich noch eine Weile herum, während wir Lilletorp hinter uns ließen. Magnus und ich ging schweigend, Hand in Hand. Der Mond stand rund und leuchtend über dem Wald und ließ die Wiesen und Felder wie Teiche glitzern.
„Vackert“, murmelte Magnus andächtig; und ich brauchte ihn nicht erst zu fragen, um zu wissen, daß das schön bedeutete.
Als wir in den Wald kamen, lag das Mondlicht in breiten Bahnen über dem Pfad, den Wurzeln, dem Moos und dem Blaubeergestrüpp. Im Licht und Dunkel huschten und flatterten allerlei Tiere; doch jetzt hatte ich keine Angst mehr vor diesem nächtlichen Leben – nichts Unheimliches war daran. Das waren Käuzchen, Fledermäuse und Eulen auf der Jagd, Mäuse auf Futtersuche, Nachtfalter, die durch die Zweige taumelten, Wiesel auf Beutejagd.
„Hast du Furcht?“ fragte Magnus wie ein Echo auf meine Gedanken.
„Nein“, sagte ich, „davor nicht – nicht mehr.“
Sein Daumen streichelte meinen Handrücken. Hinter uns kicherten Kristin und Sten wie Kobolde, und Magnus fragte mich, ob ich Tolkiens Buch Der kleine Hobbit gelesen hätte.
„Eine schöner Geschichte“, sagte er. „Ich erinnere sie immer, wenn ich im Wald bin.“
Ich dachte daran, wie mutig der eigentlich so ängstliche kleine Hobbit gegen Spinnen, Ungeheuer und dunkle Fabelwesen gekämpft hatte. Auch an die Moral dieser Geschichte dachte ich – daß man tapferer werden kann, je mehr Mut die Umstände von einem fordern. War ich während dieser Ferien tapferer geworden? Bis jetzt sicher nicht; bis jetzt hatte ich nur immer wie ein Kaninchen reagiert, das von einer Schlange hypnotisiert wird, das weglaufen will und sich doch nicht von der Stelle rühren kann.
„Glaubst du, daß es etwas nützt, gegen die eigene Angst anzukämpfen?“ fragte ich.
Magnus sah mich an. Von der Seite wirkte sein Gesicht im Mondlicht sehr jung und sanft. Sein blondes Haar glänzte wie ein Strahlenkranz.
„Ja“, sagte er, „das glaube ich schon. Aber nicht auf einmal, weißt du. Man muß es anders probieren – Schritt für Schritt. Auf ein Berg kommst du ja auch nicht mit ein einziges Hops – wie sagt man da? – hinauf.“
„Mit einem einzigen Sprung“, erklärte ich nachdenklich. „Nein, da hast du recht; das geht nicht.“
Hinter uns sang Kristin sehr laut und falsch: „Es geht ein Bi-Ba-Butzemann um unser Haus herum…“
Die friedliche, märchenhafte Stimmung war zerstört. In der Ferne tauchte das Pfarrhaus zwischen den Bäumen auf; die Laterne brannte über der Vortreppe, und ein Torflügel stand offen.
Mir war, als wartete es auf uns, doch es war kein gutes Gefühl. Unwillkürlich faßte ich Magnus’ Hand fester. Er sagte: „Wir hätten dir nicht das alles erzählen dürfen – daß es ein Spukhaus ist und so.“
„Vielleicht hätte ich es auch von allein gemerkt“, erwiderte ich.
Er blieb einen Augenblick stehen und sah mich im Mondlicht an. „Hast du etwas gemerkt?“
Neben uns kreischte es. Kristin lief wie ein Irrwisch durchs Gebüsch, und Sten folgte ihr, schnaufend und brummend wie ein Troll. Ich erwiderte Magnus’ Blick. Er war so offen, so aufrichtig, daß ich nicht lügen mochte.
„Ja“, sagte ich. „Ich hab etwas gemerkt, aber frage mich jetzt bitte nicht weiter. Ich werde es dir noch erzählen – sicher schon bald. Es ist alles so verworren… Ich finde mich selbst nicht zurecht.“
Er schwieg eine Weile und nickte. „Wir sollten uns einmal einsam treffen“, sagte er dann. „Da können wir besser reden.“
Das wollte ich auch – sehr gern sogar. Kristin war meine Freundin, und ich mochte Sten; doch jetzt wurde mir bewußt, wie gern ich einmal mit Magnus allein gewesen wäre. Allerdings hatte ich so meine Zweifel, wie ich das bewerkstelligen sollte. Wir hatten bisher alles gemeinsam getan, seit wir in Schweden waren, Kristin und ich. Vielleicht hätte sie mich nicht verstanden, wenn ich plötzlich versucht hätte, sie auszuschließen.
„Das würde ich gern tun“, sagte ich zögernd. „Aber Kristin…“
Sten und Kristin kamen angelaufen und rannten uns fast um. Wir kamen nicht mehr dazu, die Sache zu besprechen oder gar etwas auszumachen. Fast ein wenig verlegen verabschiedeten wir uns voneinander. Dann traten Kristin und ich durchs Tor in den Garten des Pfarrhauses, und Magnus und Sten gingen über den Waldpfad nach Lilletorp zurück.
Ich sah mich sehnsüchtig nach ihnen um. Wie gern wäre ich mit ihnen gegangen! Auch Magnus wandte noch einmal den Kopf und hob die Hand.
Ich winkte zurück. Es ging mir durch den Sinn, daß ich glücklich war, ihn kennengelernt zu haben. Alles könnte so schön sein, dachte ich, es könnten wunderbare, einmalige Ferien sein, wenn nicht dieses Haus wäre…
Und ich sah auf das Pfarrhaus und empfand für einen Augenblick etwas wie Haß, so, als wäre es ein lebendes Wesen, ein Feind.