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Im Dienst bei einem Bauern

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In den kinderreichen Familien war es Aufgabe der älteren Geschwister, die jüngeren zu versorgen und zu hüten. Kamen mehr und mehr Kinder dazu, übernahmen die Kleineren die Arbeiten der Älteren. Diese mussten schwerere Arbeiten übernehmen oder auswärts in Dienst gehen. Buben wie Mädchen machten oft schon sehr früh ihre ersten Arbeitserfahrungen außerhalb der Familie. Helena Blaas aus St. Valentin erinnert sich: „Mit vierzehn Jahren bin ich ausgeschult. In Dienst bin ich schon vorher gegangen, damit ich wenigstens im Sommer von der Schüssel gekommen bin. Ich war auf dem Reschen, in Graun und in Eyrs. Beim ersten Mal war ich elf Jahre alt. Ich war immer bei Bauern. Ich bin überall gern gewesen. Aber mit dem Essen bin ich schon verhungert. Ich habe für den ganzen Sommer 60 Lire bekommen, sonst nichts, aber das hat der Vater bekommen, nicht ich.“

Im oberen Vinschgau war die sommerliche Kinderarbeit besonders verbreitet. Die saisonalen Wanderungen der so genannten Schwabenkinder hörten nach dem Ersten Weltkrieg zwar auf, die Kinder wurden nun wieder mehr in den Dienst zu Bauern in der näheren Umgebung geschickt, die Arbeitsbedingungen besserten sich deswegen aber nicht. Solange die Kinder noch zur Schule gingen, beschränkte sich die Dienstzeit meist nur auf die Sommermonate.

Der Wechsel vom vertrauten Elternhaus in einen fremden Haushalt fiel den Kindern sehr schwer, wie Maria Blaas aus St. Valentin erzählt: „Ich war noch nicht vierzehn, da musste ich in Sulden Hütermadl beim Zischg machen. Die Mutter hat alle meine Sachen in einem Kopftuch gehabt. Wir sind zu Fuß nach Sulden und waren einen ganzen Tag unterwegs. Als die Mutter zurück nach Hause ist, habe ich ihr nachgeschaut, bis ich den letzten Zipfel von ihr gesehen habe.“

Da die Kinder noch keine feste Position auf dem fremden Hof innehatten, konnten sie sich gegen Übergriffe kaum zur Wehr setzen; von den Eltern erfuhren sie nur in den seltensten Fällen Schutz. Man erwartete von den Kindern absolute Anpassung, ein Verlassen der Dienstorte kam nicht in Frage. Das wäre ein Eingeständnis dafür gewesen, dass das Kind nicht zur Arbeit tauge. Hinter der Härte der Eltern stand auch die Überzeugung, Kinder würden erst in der Fremde das Arbeiten richtig erlernen.

So beuteten die Arbeitgeber Kinder ungestraft aus. „Als ich elf Jahre alt war“, erzählt Anna Frank aus Schluderns, „hat man mich im Sommer bei einem Bauern als Kindermädchen verdungen. Aber da waren fünf Kinder, und die Älteste war genauso alt wie ich. Werktags musste ich mit den Kühen gehen, und am Sonntag musste ich auch hüten, ich konnte nicht Kindermädchen machen. Wenn sonst nichts zu tun war, musste ich Laub sammeln. Ich bin ausgenutzt worden. Ich hab ein Kleid bekommen und das Essen. Zum Essen hat man mich erst gerufen, wenn die fünf Kinder gegessen hatten, und so musste ich schauen, dass ich ein paar Löffel bekommen habe. Es war sehr hart.“

Antonia Saurer erinnert sich daran, wie viele schwere Arbeiten man ihr zumutete: „Mit zwölf, dreizehn Jahren war ich in Matsch bei einem Bauern. Da musste ich die ganze Hausarbeit machen, es waren zwei oder drei Kinder, die ich versorgen musste. Und die Bauersleute waren oft den ganzen Tag weg auf dem Feld. Es war zu weit weg, sodass sie zum Mittagessen oft nicht nach Hause gekommen sind. Dann war noch ein alter Mensch, den habe ich auch versorgen müssen. Ich habe auch die Wäsche gemacht, die Böden im ganzen Haus habe ich geputzt, gekocht habe ich, die Schweine gefüttert, da musste ich das Futter ein gutes Stück tragen, das Wasser habe ich ein Stück zum Haus tragen müssen, mit einem Schaff voller Wäsche habe ich zum Brunnen gehen müssen, auch der war etliche Meter vom Haus entfernt, ich weiß nicht, wie ich das mit dem Alter geschafft habe.“

Obwohl Helena Blaas nicht genügend zu essen bekam, wagte sie es nicht, sich ein Stückchen Brot zu nehmen: „Es hat immer zu Hause geheißen ‚ehrlich sein‘ und so habe ich mich nicht getraut – vor lauter Ehrlichkeit. Man darf ja nicht stehlen.“

In Stilfs, einem kleinen Dorf in steiler Hanglage über dem Eingang des Suldentales, waren die Lebensbedingungen besonders hart. Anna Pinggera arbeitete dort mit zwölf Jahren im Sommer auf einem Bauernhof, obwohl sie, wie sie sagt, ein schwächliches Kind war. „Dort waren drei Kinder, die auch auf dem Feld arbeiten mussten. Ich musste mir meine Kleider für die Schule verdienen. Der Vater war in den Schweizer Bergen als Hirt, und die Mutter hat in einem Hotel in Trafoi als Waschfrau gearbeitet. Auch zwei Brüder haben bei Bauern gearbeitet, und die jüngeren Geschwister waren bei Tanten untergebracht. Die Leute auf dem Hof waren sehr nett, aber ich musste viel arbeiten. Manchmal war ich so müde, dass ich das Bett nass machte. Das war nur ein Strohsack, der nie trocknete, aber die Leute haben deswegen nie geschimpft mit mir.“ Ihre Schwester hatte es etwas leichter, sie kam schon als kleines Mädchen zu einer Tante. „Sie hatte es dort schön, hatte genug zu essen und auch immer schöne Kleider“, erzählt Anna.

Maria Erlacher, Jahrgang 1916, wuchs im damals abgelegenen St. Vigil in Enneberg auf. Bis zum vierzehnten Lebensjahr arbeitete sie auf dem kleinen Hof ihrer Eltern mit und beaufsichtigte die jüngeren ihrer sieben Geschwister. Nach Beendigung der Schulpflicht brachte ihre Mutter sie nach Sand in Taufers zu einem Großbauern: „Es war November, und wir sind mit dem Zug nach Sand in Taufers gefahren. Eigentlich hab ich mich gefreut, ich war ja neugierig, wo das war. In Sand hat der Knecht mit seiner Tochter, die war zwei Jahre jünger als ich, auf uns am Bahnhof gewartet. Vier Stunden sind wir dann bergauf marschiert, die Mutter ist mitgegangen. Sie hat auch oben am Hof geschlafen, und am nächsten Tag da war sie schon ganz verzagt. Sie hat auch geweint, ja ich bin ja grad erst ausgeschult gewesen, ich glaub, es war nicht leicht für sie.“ Maria musste hart arbeiten: „Vor dem Haus hab ich waschen müssen, ganz allein. Es lag eineinhalb Meter Schnee, ich hab halt geweint, weil es so kalt war. Die Bäuerin, die war wirklich sehr herzlos.“ Ein Maresciallo von der Finanzwache beobachtete sie beim Waschen in der Eiseskälte. Er war entsetzt: „Er hat gefragt: ‚Ma ragazza, che cosa fai?‘42 Ich konnte ja gut Italienisch sprechen, weil ich aus St. Vigil bin. ‚Lavare‘43, hab ich gesagt. ‚Ma come lavare con questo tempo?‘44, hat er dann gefragt. Ich hab ihm gesagt, dass ich von St. Vigil bin und er hat dann gefragt: ‚Ma, come, non vai a casa?‘45 ‚Ma io non so come fare. C’è tanta neve e nessuno va giù. E poi non mi portano giù‘46, hab ich geantwortet. ‚Aspetta, che parlo io‘47, hat er dann gesagt, und der Maresciallo hat mit dem Sohn vom Bauern gesprochen, und am Samstag konnte ich mitfahren, mit einem Knecht nach Taufers zum Einkaufen.“ Von da aus kehrte sie eigenständig nach St. Vigil zurück.

Johanna Tschurtschenthaler aus Sexten, Jahrgang 1931, musste von acht bis zwölf Jahren im Sommer bei einem Bauern arbeiten: „Verwöhnt war man nicht, mit allem war man zufrieden, und die Mutter war froh, wenn man in der Kost gewesen ist. So war wieder einer vom Tisch. Auch alle anderen Geschwister sind in Kost gegangen, das eine da, das andere dort.“

Regina Walcher musste das ganze Jahr beim Bruder des Vaters bleiben: „Als ich in den Kindergarten ging, war ich immer sehr lustig und kam oft singend nach Hause, sodass die Mutter einmal sagte: ‚Du wirst wohl eine Chorsängerin werden.‘ Dieses Singen ist mir aber dann vergangen, als ich mit sieben, acht Jahren zu einem Onkel gebracht wurde, der schon zwei erwachsene Kinder hatte. Der wohnte weiter weg, und der Schulweg wurde für mich viel weiter. Ich hatte dort eine dunkle Kammer ohne Fenster – ich hatte fast Angst dort zu schlafen. Meine langen Haare musste ich jetzt immer selber kämmen. Zu Hause hat mich die Mutter oder eine der älteren Schwestern gekämmt. Dann hatte ich einmal auch noch Läuse am Kopf, und ich getraute mich aber nichts zu sagen. Ich musste mich immer kratzen und bekam am Kopf eine ganz harte Kruste. Da ging ich dann doch zu meiner Mutter und erzählte ihr mein Elend. Meine Mutter sah meinen Kopf voller Läuse und Nissen und schnitt mir mit einer Schere gleich eine Glatze heraus.“

Vereinzelt gab es Beschäftigungen für Mädchen, die angenehmer waren als die Arbeit zu Hause oder auf einem fremden Hof. In Mals konnten Kinder schon ab zehn Jahren in einem ‚Pflanzgarten‘48 arbeiten. Davon erzählte Ida Noggler oft ihren Kindern: „Für die Mädchen war es eine Freude dorthin zu gehen, da gab es nämlich eine kleine Hütte, da konnten sie sich ein Spiegelei machen, das Ei bekamen sie von zu Hause mit. Daheim hätten sie sich das nicht machen können. Ein Ei hat man nur zu besonderen Anlässen bekommen, aber wenn ich zum Jäten in den Pflanzgarten gegangen bin, hat die Mutter mir immer ein Ei mitgegeben.“

Regina Walcher und ihre Schwester kamen mit Sammeln von Waldbeeren zu etwas eigenem Geld: „Mit zwölf, dreizehn Jahren wollten wir auch einmal etwas verdienen und sind in den Wald hinauf zum Himbeerenpflücken. Da musste man schon um vier Uhr früh aufstehen, den Rucksack mit einem Kübel drin und etwas zu essen hat uns die Mutter mitgegeben. Wir mussten zwei Stunden immer bergauf gehen, bis auf fast 2000 m. Bei den Himbeeren waren wir dann auch nicht allein. Da waren schon andere vor uns da, die sich auch besser auskannten. Aber bis zum Abend hatten wir dann doch den Eimer voll. Beim Heimgehen tat uns dann der Rücken weh, und vom vielen Schütteln war der ganze Kübel voll Saft. Am nächsten Tag hat die Mutter die Himbeeren verkauft. Es war für sie nicht leicht, sie hat fast betteln müssen, die Himbeeren loszuwerden.“


Kinderarbeit am Hof war eine Selbstverständlichkeit


Anna Tschurtschenthaler, als 10-Jährige im Dienst in Sexten, hier mit der Bäuerin, 1941

Wie die Schwalben fliegen sie aus

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