Читать книгу Wie die Schwalben fliegen sie aus - Ursula Lüfter - Страница 20
„Ihr werdet ja doch heiraten“ – Weibliche Lebensperspektiven
ОглавлениеInnerhalb der Familien war die Unterordnung der Mädchen und Frauen unter das männliche Familienoberhaupt unausweichlich. Mit diesem Rollenverständnis verknüpft war die Bestimmung der Mädchen zur Hausfrau und Mutter. Alle Erziehung und Lebensplanung lief darauf hinaus, die Mädchen auf diese Aufgaben vorzubereiten. „Der mütterliche Beruf in der Familie ist im Allgemeinen das Hauptziel der Frau“, heißt es im Katholischen Sonntagsblatt in einer Anzeige des „Mädchenschutzes Bolzano“.59 Die Mutter Emma Sagmeisters, eine sehr tatkräftige Frau, machte ihren Töchtern klar, was ein Mädchen zu lernen hatte: „Lernt kochen, nähen und stricken, damit die Männer, die euch heiraten, nicht angeführt sind.“ Von klein auf wies man den Mädchen die typisch weiblichen Tätigkeiten zu, sodass sie sich früh die grundlegenden hauswirtschaftlichen Kenntnisse aneigneten. Mehr brauchte es nicht, um nach Abschluss der Pflichtschule bis zur Heirat nun ganzjährig als Dienstmagd bei einem Bauern, als Haus- oder Kindermädchen bei einer bürgerlichen Familie in der Stadt oder als Zimmermädchen oder Serviererin in einem Gastbetrieb zu arbeiten. Es galt das Prinzip des „Hineinwachsens“ in neue Tätigkeitsfelder: Lernen durch Tun und das Anlernen durch eine energische und kompetente Vorgesetzte betrachtete man als ausreichende Ausbildung für Mädchen.
Von Seiten der Kirche sah man es allerdings nicht gern, dass die Mädchen ohne Vorbereitung in ein Arbeitsverhältnis eintraten. Katholische Organisationen boten deshalb Kurse an, die den Mädchen „eine gründliche Vorbildung für die Erfüllung der weiblichen Aufgaben in der Familie und Pfarrgemeinde“ versprachen.60 In Der Volksbote vom 21. Juni 1934 warb die Katholische Aktion unter dem Titel „Mädchenbildung für die Familie“ für einen Jahreskurs zur Vorbereitung von ausgeschulten Mädchen von 15 Jahren aufwärts: „Die der Frau eigentümliche Tätigkeit ist jene in der Familie als Mutter, Erzieherin, Kinderfräulein, Hausgehilfin. Es ist ein großes Übel für die Familie und Gesellschaft, dass die Frau heute zu sehr in das Geschäftsleben verwoben ist. Es leidet der Familiensinn, und zum Teil verbindet sich damit Arbeitslosigkeit der Männerwelt. (…). Es ist ausgeschlossen, dass in absehbarer Zeit alle [Frauen A. d. V.] (…) eine Anstellung erhalten. Es sind ihrer zu viele (!). Um weibliche Arbeitslose ist es trauriger bestellt als um männliche. Was will man mit einem arbeitslosen Fräulein anfangen, das für die Arbeit in der Familie eine Null bedeutet? Es ist ganz allgemein anzuraten, dass die Mädchen vor dem Eintritt ins Geschäftsleben sich die nötigen Kenntnisse für den Familienberuf verschaffen. Erhält ein Mädchen keinen Posten oder verliert es ihn, so kann es unschwer in einer Familie unterkommen. Und heiraten wollen auch die meisten.“61
Neben solchen zeitlich begrenzten Kursangeboten gab es auch feste Einrichtungen, die Mädchen in die Hauswirtschaft einführten. Dietenheim im Pustertal bot jährlich einen mehrmonatigen Kurs für praktische Haushaltungskunde an, der speziell „für die Bedürfnisse unserer ländlichen Bevölkerung eingerichtet ist“62. Auch in Sterzing gab es eine Haushaltungsschule. In Meran errichteten die Kreuzschwestern am Städtischen Krankenhaus eine Krankenpflegerinnenschule, Voraussetzung für den Besuch war allerdings die Kenntnis der italienischen Sprache.63
Dass Mädchen aus den sozialen Unterschichten diese Angebote wahrnahmen, war wohl eher die Ausnahme. Keine der von uns befragten Frauen sprach davon, je einen Haushaltungskurs in Südtirol besucht zu haben. Als Maria Ortler für Deutschland optierte und auswanderte, wurde sie sofort zum Arbeitsdienst eingezogen. Sie kam nach Neutrauchburg im Allgäu, wo sie unter anderem eine Haushaltungsschule besuchen musste: „Jeden Tag war Schulung, ich hab in diesem Jahr sehr viel profitiert, jedes Fach wurde durchgenommen, ich habe gelernt, was ich zu Hause nicht hätte lernen können, Hauswirtschaft und vieles andere, wir haben viel gelernt, und nebenbei mussten wir zu den Bauern arbeiten gehen.“ Emilia Gander, Jahrgang 1936, wusste zwar von der Möglichkeit Kurse zu besuchen, „aber das hat uns damals nicht interessiert“. Auch die etwas jüngere Josefa Saurer sieht es rückblickend so: „Man war nicht interessiert. Es ist einem gar nicht eingefallen, einen Beruf zu lernen.“
Für die Söhne zogen die Eltern Schul- und Berufsausbildungen zumindest in Erwägung. Ida Noggler verdross es, dass ihre Brüder sehr wohl Lehren machen konnten, während für sie und ihre Schwestern diese Möglichkeit erst gar nicht in Betracht gezogen wurde. Anna Frank schaffte es, bei einem Schneider eine Lehre zu beginnen, aber der Vater zwang sie, eine Arbeitsstelle anzunehmen, da er bereits Abmachungen getroffen hatte: „Ich wäre am liebsten Köchin oder Gärtnerin geworden, das war mein Plan. Aber der Vater hat gemeint, ich soll arbeiten, wenn sie wollen, dass du kochst, wirst du es schon lernen. Ihm war wichtig, dass ich so schnell wie möglich Geld verdiene.“
Für handwerkliche Ausbildungen musste in der Regel ein Lehrgeld bezahlt werden. Dafür waren aber kaum die nötigen Mittel vorhanden, oder man erachtete die Kosten als unrentabel, da Mädchen früher oder später doch heiraten und somit versorgt würden. So blieb es in der Regel nur beim Besuch eines Näh- oder Kochkurses in den Wintermonaten. Die Mutter von Berta Tappeiner legte viel Wert darauf, dass ihre Töchter die wichtigsten Haushaltstätigkeiten gründlich erlernten: „Im Winter hat die Mutter uns Mädchen zu einer Näherin zum Nähenlernen geschickt. Wir waren den ganzen Tag bei ihr. Wir haben gelernt, Hemden und Schürzen zu nähen und so Sachen. Dann haben wir kochen gelernt. Ich war in Meran im „Bergschlössl“, eine Saison im Herbst. Wir haben zum Glück nichts für das Kochenlernen bezahlen müssen, wir haben aber auch nichts für unsere Arbeit bekommen. Für die Näherin hat uns die Mutter immer wieder etwas mitgegeben, Fleisch, ein paar Eier oder so etwas. Wir waren so vier, fünf Mädchen bei der Näherin. Die Mutter wollte, dass wir Mädchen nähen und kochen lernen, damit wir nachher in Dienst gehen und etwas verdienen konnten, damit wir, wenn wir heiraten wollten, eine Ausstattung kaufen konnten. Sie hat immer für uns gedacht.“
Auch die Oberschulen für Mädchen boten in erster Linie Ausbildung in typisch weiblichen Berufen.64 Wer eine solche besuchen konnte, zog für das weitere Arbeitsleben Vorteile daraus. Die Schwestern Marie und Greti Flora, sie kamen aus einer wohlhabenden Malser Familie, besuchten eine kaufmännische Schule in Brixen. Sie kamen als Kindermädchen und Gouvernanten bei sehr reichen italienischen Familien unter. Annamaria Mussner besuchte in Gröden eine Art Handelsschule: „Ich bin in St. Christina zur Schule gegangen, zuerst die Volksschule, und später haben wir auch Buchführung gehabt. Der Direktor hat nämlich gesagt, wenn ihr später mal selber etwas verschicken oder verkaufen wollt, dann müsst ihr auch abrechnen können. Das war so eine Art Handelsschule, und das hat mir sehr gut gefallen, ich habe das sehr gerne gemacht.“
Nur selten drängten die Eltern ihre Töchter zu einer Ausbildung. Familie Wörndle aus Kaltern war eine Ausnahme. Schon die Mutter von Paula Wörndle war berufstätig, sie arbeitete 30 Jahre als Apothekerhelferin, eine Tante war die Leiterin der Apotheke. Tochter Paula war zuerst drei Jahre in einem Mädcheninstitut in Pfaffenhofen in Tirol, dann absolvierte sie eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester in Wien, eine Schwester arbeitete wie die Mutter in einer Apotheke, die andere besuchte die Handelsschule und arbeitete dann als Buchhalterin.
Der Großteil der Mädchen ging aber ungelernt und ohne besondere Vorbereitung ein Arbeitsverhältnis ein, sehr oft von den Eltern gedrängt, arrangiert und abgesprochen.
Eine Frau musste kochen und nähen können. In vielen Dörfern wurden Nähkurse abgehalten, kochen lernten die jungen Frauen in Hotels, Klöstern oder Privathaushalten.
Nur wenige Frauen hatten die Möglichkeit einer weiterführenden Ausbildung, wie Paula Wörndle, die nach der verlängerten Schulzeit in einem Mädchenpensionat in Pfaffenhofen in Wien eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester machte.
Es hing von den einzelnen Frauen ab, inwieweit sie sich den für sie vorgesehenen Lebensentwürfen anpassten oder versuchten, neue Wege zu gehen