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Katholische Mädchenerziehung

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In Südtirol machte sich in der Zwischenkriegszeit eine erste Entkirchlichung des Alltags bemerkbar. Vor allem in den Städten nahm die Teilnahme an Gottesdiensten ab, die Jugendlichen nahmen die von den faschistischen Organisationen angebotenen Freizeitangebote wahr, sportliche Betätigungen wurden immer beliebter. Touristen und zugezogene Italiener bestärkten die Jugend in ihrer Suche nach einer freieren Lebensgestaltung. Die Kirche beharrte auf einem sehr restriktiven Sittenkodex und verurteilte jede Lockerung des Lebenswandels scharf. Um wieder mehr Durchschlagskraft zu gewinnen, belebte und organisierte sie kirchliche Verbände und Vereine neu und passte sie den Bedürfnissen der Zeit an, die Laienbewegungen und kirchlichen Verbände schlossen sich in der Katholischen Aktion53 zusammen. In Hirtenbriefen forderten die jeweiligen Brixner Bischöfe die Bevölkerung der Diözese zur religiösen Lebensweise und zur Einhaltung katholischer Glaubens- und Verhaltensregeln auf. Das 1927 gegründete Katholische Sonntagsblatt entwickelte sich neben anderen katholischen Zeitschriften zum wichtigsten Sprachrohr der Kirche. Indirekt setzte die Kirche damit auch Maßnahmen zur Erhaltung des Deutschtums.

Die wichtigste Zielgruppe moralischer Zurechtweisungen und Vorgaben der Kirche waren die Mädchen und Frauen. Hauptkritikpunkt war neben der modischen Kleidung der Umgang mit dem männlichen Geschlecht. „Verfehlungen“, wie voreheliche sexuelle Kontakte oder uneheliche Kinder, schrieb man allein dem unsittlichen Verhalten der Mädchen zu. „Solange Gottesfurcht in unserem Lande war, gab es eine sittsame und vielfach auch eine schöne, kleidsame Tracht. (…) und die männliche Jugend war gegen tausend Gefahren gefeit. (…) Darum, Landvolk bleib treu dem Kleid der Demut und Zucht!“, heißt es in dem schon zitierten Hirtenbrief „Über die unwürdige Frauenkleidung“ von 1926. Mädchen und Frauen waren aufgefordert, den christlichen Frauenorganisationen wie dem katholischen Mädchenverband und der Marianischen Kongregation beizutreten.54 Wiederholte und forcierte Appelle sollten verhindern, dass eine freizügigere Lebensweise den katholischen Sittenkodex und die Institution der Familie, der in der Aufrechterhaltung kirchlicher Macht eine grundlegende Rolle zukam, in Frage stellte. Jede engere Verbindung mit einem Mann, so schrieb Bruder Reinhart im Sonntagsblatt unter der Rubrik „Lebenskunde für unsere Mädchen“, war nur erlaubt, wenn „beiderseitige Absicht und beiderseitige Aussicht auf eine den Umständen entsprechend baldige Verehelichung“ dahinterstand.55

Dass nicht alle die Ermahnungen der Kirche ernst nahmen, bestätigen die Erzählungen von Helena Blaas. Sie arbeitete 14-jährig in einem Wirtshaus in Eyrs: „Es waren noch Knechte und Mägde angestellt, jede Menge. Die Wirtsleute waren geizig und bigott, alle Tage mussten wir in die Kirche, und es durfte keine Liebe geben. Aber die Mägde und Knechte sind doch heimlich auf den Heuboden gegangen.“

Nicht wenige deutschsprachige Mädchen gingen Liebesbeziehungen mit Carabinieri, Finanzieri oder Postangestellten ein.56 Die italienischen Beamten wirkten als Repräsentanten eines städtischen, moderneren Lebens, ihre verfeinerten Umgangsformen konkurrierten mit den in den Dörfern üblichen. Sie galten auf Grund ihres Beamtenstatus als attraktive Heiratskandidaten, verhießen sie doch den Mädchen ein Entkommen aus der engen bäuerlichen Welt. Maria Blaas lernte mit 20 Jahren einen Finanzbeamten kennen: „Er war ein ganz feiner. Ich hätte ihn schon geheiratet.“ Dieser Verheiratung stand nicht nur der Umstand im Wege, dass ein Finanzbeamter erst heiraten durfte, nachdem er für den Austritt aus seinem Amt eine Ablösesumme bezahlte. Auch die Familie war gegen diese Beziehung. Sie endete schließlich, als der Finanziere nach Afrika versetzt wurde. Maria ließ er schwanger zurück. Die Familie und die Leute im Heimatdorf begegneten ihr mit Ablehnung. Beim Kirchbesuch musste sie in den hinteren Reihen bleiben und durfte auch nicht mehr die Kommunion empfangen. Sie hatte gegen die Sittlichkeit verstoßen, sich gleichzeitig mit einem offiziellen Feind eingelassen und damit Verrat an der deutschen Volksgruppe begangen.

Rebekka Rungg begann eine Liebschaft mit einem Carabiniere: „In Prad habe ich einen Carabiniere kennen gelernt, der hat mich eingefädelt, es war meine große Liebe und da habe ich eine Tochter bekommen. Ich war 22 Jahre alt. Aber aus dem Heiraten ist nichts geworden, der hat immer nur viel versprochen und nichts gehalten.“

Maria Obwexer aus Lajen war Mutter von zwei unehelichen Töchtern, einer der Väter war ein Einheimischer: „Der Vater der ersten Tochter war ein Holzhändler aus dem Fleimstal, der hat mit seinen Schwestern in St. Peter gewohnt und mit meinem Vater geschäftlich zu tun gehabt. Und der Vater der anderen Tochter war ein Schuster aus St. Peter. Der hat damit gerechnet, dass ich den Hof bekomme, und als ich den dann doch nicht bekommen habe, wollte er nichts mehr wissen. So geht es im Leben.“

Mit Androhung göttlicher Strafen versuchte die Kirche die Mädchen von solchen „Verfehlungen“ abzuhalten. Im Katholischen Sonntagsblatt vom 2. März 1935 erschien in der Rubrik „Lebenskunde für Mädchen“ ein Artikel mit dem Titel „Entweiht“. Dort heißt es unter anderem.: „Du weißt wohl, dass man kostbare Himmelsgeschenke, wie erste Unschuld, Jungfräulichkeit, nur einmal im Leben verlieren kann, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil man sie nicht zurückerhält, wenn sie dahin sind.“ Erfolgt „die aufrichtige Umkehr“ sofort, so werden alle bisher verdienten „Ewigkeitswerte“ wieder zurückgegeben. „Fährst du aber in der Sünde weiter, so schmiedest du dich mit eisernen Gewohnheitsketten an sie, und nur ein Gnadenwunder kann dich zurückbringen auf den rechten Weg. (…) Und sollte dieses Wunder wirklich an dir geschehen, so wird dir das Friedenssakrament zwar die Sünde wegnehmen, aber an vielen üblen Folgen wirst du tragen müssen, vielleicht bis an dein Ende: schwere sittliche Kämpfe, unwiederbringlich verlorene Lebenszeit, schlechte Erbanlagen, geschwächte Lebenssäfte und -kräfte, vielleicht ein frühes Dahinsiechen.“57

Dabei war es oft Unwissenheit über die biologischen Vorgänge der Fortpflanzung, die Mädchen in eine ungewollte Schwangerschaft geraten ließ. Antonia Auer, die einer Familie mit sechzehn Kindern entstammt und 16-jährig Mutter wurde, beklagt das bitter: „Mit meiner Mutter konnte man ja nie reden, die war sehr katholisch, und sich mal hinsetzen mit ihr und sie was fragen, das wäre nicht gegangen. Ich wusste damals ja gar nicht, wie ein Mann ausschaut, ich hab ja nicht gewusst, wie das Kinderkriegen geht.“

Trotz der schlechten Arbeitslage im Land versuchte die Kirche, die Mädchen davon abzuhalten, außerhalb des Landes eine Arbeit anzunehmen: „Wer darum in die Fremde reist, möge es nicht ohne einen sichtbaren, wegkundigen Schutzengel tun; wer dort einen Posten annimmt, möge sich zuvor verlässlich darüber erkundigen. Doch der beste Rat ist sprichwörtlich: ‚Bleibe im Lande und nähre dich redlich!‘“58 Mit diesem Aufruf schloss Bruder Reinhart im Sonntagsblatt einen Artikel seiner Rubrik „Lebenskunde für unsere Mädchen“ mit dem Titel „Moderne Verführung“.


Uneheliche Mutterschaft drängte manche Frauen an den Rand der Dorfgemeinschaft. Hier Hedwig Wallnöfer mit ihrer Tochter Erika. Geheiratet hat Hedwig Wallnöfer erst mit über 60 Jahren.


Von klein auf waren Kinder in das religiöse Leben eingebunden


Auf unverheiratete Mädchen warf die Kirche ein besonderes Augenmerk. So hatten etwa die „Jungfrauen“ bei Prozessionen ihren bestimmten Platz und ihre Aufgaben.

Wie die Schwalben fliegen sie aus

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