Читать книгу Wie die Schwalben fliegen sie aus - Ursula Lüfter - Страница 6
Einleitung
ОглавлениеÜber Dienstmädchen bzw. weibliche Hausangestellte gibt es inzwischen sowohl im deutsch- wie auch im italienischsprachigen Raum eine breite Forschung und zahlreiche Publikationen. Der zeitliche Schwerpunkt liegt dabei in der Zeit vor der Jahrhundertwende, als die Anzahl der weiblichen Dienstboten in bürgerlichen Haushalten einen Höhepunkt erreichte. Das Augenmerk richtet sich vor allem auf die Hausarbeit als besondere Form der weiblichen Erwerbsarbeit, die den Frauen einerseits den Schritt in die ökonomische Selbstständigkeit eröffnete, gleichzeitig aber durch die meist enge Bindung an die Arbeitgeber die persönliche Freiheit auf ein Minimum reduzierte. Die Arbeit als Dienstmädchen fügte sich als Übergangszeit nahtlos in die Biografie der Frauen vom Land ein: vom Bauernmädchen zum Dienstmädchen und dann zur Hausfrau und Mutter – so zumindest wollte es die gesellschaftliche Norm.
Das Phänomen der Dienstmädchen in städtischen Haushalten war zudem mit Migration verbunden. Die Migrationsforschung hat in den letzten Jahren zwar sehr an Aufmerksamkeit gewonnen, wird aber nach wie vor als Themenbereich behandelt, in dem es vor allem um männliche Erfahrungen geht.
Die Verbindung von Migrations- und Dienstmädchenforschung und der zeitliche Schwerpunkt auf die für Südtirol politisch so bedeutsamen 30er Jahre des 20. Jahrhunderts machen die vorliegende Untersuchung zu einer Pionierarbeit. Obwohl die zeitweilige Emigration von jungen Frauen sowohl in der Zwischenkriegszeit als auch in der Nachkriegszeit verbreitet war,1 wurde dieses Phänomen von der historischen Forschung bisher kaum wahrgenommen.2 Für Südtirol gibt es diesbezüglich keine Untersuchungen. Dieses Versäumnis erklärt sich nicht zuletzt aus dem lange Zeit dominierenden ethnisch geprägten bzw. eingeengten Geschichtsbild. Innerhalb dieses Interpretationsrahmens konnte zwar die Arbeitsmigration der 50er Jahre in das deutschsprachige Ausland wahrgenommen werden. Die Tatsache, dass in Zeiten, in denen der italienische Staat das Feindbild der Südtiroler Politik schlechthin war – und dies gilt für die Zeit zwischen 1920 und 1940 natürlich noch mehr als für die 50er Jahre – Südtiroler/innen einen Arbeitsplatz in einer italienischen Stadt annahmen, musste jedoch mit einem Tabu belegt werden. Nur so ist es zu erklären, dass trotz der großen Anzahl von jungen Südtiroler Frauen, die in diesen Jahren in italienischen Städten gearbeitet haben, dieses Phänomen in der zeitgenössischen Presse kaum vorkommt und auch im Nachhinein höchstens in Nebensätzen in historische Untersuchungen Eingang gefunden hat.3 Im so genannten kollektiven Gedächtnis der Südtiroler/innen hingegen waren diese Frauen doch immer präsent. So haben in den 90er Jahren verschiedene Dorf- oder Bezirkszeitungen die Lebensgeschichten einiger Frauen veröffentlicht und damit deren Erfahrungen ansatzweise sichtbar gemacht.4
Die Geschichtsschreibung über das Südtirol der 30er Jahre ist bis heute vorwiegend ereignis- und politikgeschichtlich orientiert. Dies wurde schon des Öfteren als Defizit benannt. Die Forderung nach einer sozialgeschichtlichen Perspektive auf diese Zeit beinhaltet gleichzeitig die Forderung nach einer differenzierten Betrachtung der Ereignisse. Bis heute wurde dieses Postulat allerdings kaum durch empirische Untersuchungen eingelöst.
Diese Studie nimmt für sich in Anspruch, dieses sozialgeschichtliche Defizit zumindest teilweise aufzufüllen. Dies und die frauengeschichtliche Perspektive, die darüber hinaus eingenommen wird, führen tatsächlich zu einigen neuen und durchaus überraschenden Einsichten, was die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Südtiroler Bevölkerung in den 30er Jahren betrifft.
Wie viele Frauen aus Südtirol in der Zwischenkriegszeit in italienischen Städten gearbeitet haben, lässt sich nicht quantifizieren. Da gerade die Hausarbeit rechtlich kaum geregelt war und die meisten unserer Gesprächspartnerinnen nicht gemeldet waren, sind aus statistischen Quellen keine ausreichenden Informationen zu erwarten. Aus arbeitstechnischen Gründen mussten wir unser Interviewprojekt von vornherein auf bestimmte Dörfer bzw. Gebiete konzentrieren und können deshalb keine statistische Repräsentativität beanspruchen. Allerdings lässt sich aus den Aussagen der Interviewpartnerinnen schließen, dass es sich zumindest in bestimmten strukturschwachen Gebieten des Landes wie etwa im oberen Vinschgau um ein sehr verbreitetes Phänomen handelte.
Bedeutend war das Phänomen auf jeden Fall, und das gleich in mehrerer Hinsicht:
•Der volkswirtschaftliche Beitrag, den diese Frauen zur Ökonomie des Landes leisteten, darf nicht unterschätzt werden. Die meisten der befragten Frauen gaben an, den ganzen oder einen Teil ihres Lohns nach Hause geschickt und damit wesentlich zum Überleben der Familie beigetragen zu haben.
•Die weibliche Arbeitsmigration in die italienischen Großstädte sehen wir als einen besonderen Aspekt des Modernisierungsprozesses, der die europäische Zwischenkriegszeit insgesamt geprägt5 und der in Südtirol in dieser Form einen Ausdruck gefunden und zur Wandlung des hiesigen Frauenbildes entscheidend beigetragen hat.
•In den Erfahrungen und Erinnerungen der Südtiroler Dienstmädchen spiegelt sich außerdem ein interessanter Prozess der reziproken Kultur-Mentalitätsvermittlung wider, der bei Migrationsphänomenen immer von Bedeutung ist, in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts – geprägt nicht zuletzt von der faschistischen Entnationalisierungspolitik in Südtirol – aber natürlich eine besondere Rolle spielte. Die Integrationsleistung, die die Südtiroler Frauen erbrachten, reduziert sich nicht auf eine einfache Anpassung an die neuen Verhältnisse, sondern erschließt sich als komplexe Verknüpfungsleistung zwischen den Vertrautheiten und Dispositionen des Herkunftsmilieus und den Möglichkeiten, die sich durch die neuen sozialen, räumlichen und kulturellen Konstellationen ergaben.
•Die Publikation befasst sich darüber hinaus mit zentralen Fragestellungen der Frauengeschichte. Die Jahre von 1920 bis 1945, um die es hier vorrangig geht, sind in politischer Hinsicht ausgesprochen dichte und unruhige Jahre, in denen der Einfluss der politischen Brüche und Zäsuren auf das Leben der Menschen wahrscheinlich unmittelbarer war als in anderen „ruhigeren“ bzw. stabileren Zeiten. Die Art, wie die jungen Frauen diese Rahmenbedingungen wahrnahmen und auf sie reagierten, weist einige Kennzeichen und Besonderheiten auf, die wir als geschlechtsspezifische Wahrnehmungsmuster von Politik zu verstehen und zu interpretieren versuchen.
•Schließlich geht es um das Leben der Frauen selbst und insgesamt um die Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen weiblicher Lebensplanung in Südtirol in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wir haben zwar nur eine ganz bestimmte Gruppe von Frauen befragt, nämlich jene, die für eine mehr oder weniger lange Zeit in einer italienischen (Groß-)Stadt gelebt haben, in ihren Erzählungen begegneten wir jedoch häufig einem Grad von Autonomie und auch Widerständigkeit gegen zeitgenössische gesellschaftliche Normen, die uns erstaunt hat. Es war nicht immer einfach, die Selbstwahrnehmung dieser Frauen und unsere Sicht auf ihre Erfahrungen und Erzählungen auf einen Nenner zu bringen. Es war aber auf jeden Fall ein sehr spannendes Unterfangen, aus dem wir auch persönlich viel lernten.
Unsere Gesprächspartnerinnen waren Frauen im Alter zwischen 60 und 95 Jahren aus allen Teilen Südtirols, die eine mehr oder weniger lange Zeit in einer italienischen Stadt im Haushalt beschäftigt waren. Der Großteil unserer Gesprächspartnerinnen arbeitete dort in den 20er, 30er und 40er Jahren; wir haben aber auch einige Frauen befragt, die erst nach dem Krieg eine Stelle in einer italienischen Stadt annahmen. Wir wollten uns damit die Möglichkeit verschaffen, einen genaueren Blick für Kontinuitäten und Unterschiede zu gewinnen.
Insgesamt haben wir mit über sechzig Frauen themenzentrierte, lebensgeschichtliche Interviews geführt. Das Auffinden dieser Frauen war einfacher, als wir es uns vorgestellt haben. Im oberen Vinschgau hatten wir auf Grund persönlicher Bekanntschaften schon einige Kontakte, von denen wir ausgehen konnten. Für die anderen Landesteile suchten wir über Anzeigen in Lokalblättern ehemalige Dienstmädchen in italienischen Städten. Die Resonanz auf diese Inserate war unerwartet groß: Viele Frauen meldeten sich selber, sehr oft waren es die Kinder, meist die Töchter, die uns den Kontakt mit der Mutter vermittelten. Falls die Mutter schon verstorben war, erzählten uns die Kinder deren Lebensgeschichte und stellten Fotos, Briefe und andere Unterlagen zur Verfügung. Namen von ehemaligen Dienstmädchen wurden uns dann auch immer wieder im Gespräch genannt. Viele Menschen, denen wir von unserem Forschungsvorhaben erzählten, wussten uns weitere Namen zu nennen. Auch das ein deutlicher Hinweis darauf, dass es sich dabei tatsächlich um ein sehr verbreitetes Phänomen gehandelt hatte.
Im Allgemeinen sind wir auf sehr große Gesprächsbereitschaft gestoßen. In einigen Fällen waren die Frauen auf Grund ihres hohen Alters aber nicht mehr in der Lage sich zu erinnern bzw. von ihren Erfahrungen zu erzählen. Nur in Ausnahmefällen verweigerten uns Frauen ein Interview mit dem Hinweis, dass sie darüber nicht reden wollten oder dass sie nichts mehr wüssten. Die meisten Frauen waren allerdings sehr erstaunt darüber, dass sich jemand für ihre Erfahrungen interessierte, freuten sich jedoch darüber, ihre Geschichte erzählen zu können.
Die Offenheit, mit der uns die meisten Frauen begegnet sind, war außergewöhnlich. Wir vermuten, dass sich die Spontaneität und Flexibilität dieser Frauen nicht zuletzt durch ihre Erfahrungen in der „Fremde“ erklären lassen.
Bei der Wiedergabe der Interviews haben wir uns einige Freiheiten genommen. Die Übertragung vom Mündlichen ins Schriftliche erfordert immer gewisse Eingriffe, den Dialekt der Frauen haben wir zugunsten der Verständlichkeit in die Umgangssprache übertragen, auch haben wir manchmal in die Reihenfolge der Erzählung eingegriffen und nachträglich eine chronologische Ordnung hergestellt. Insgesamt ist es uns darum gegangen, die Authentizität der Aussagen möglichst zu erhalten und zu vermitteln.
Die zahlreichen Fotos in diesem Buch stammen zum Großteil von unseren Gesprächspartnerinnen. Jedes Bild hat eine ganz eigene Bedeutung. Sie drücken in ihrer Gesamtheit – manchmal viel besser als viele Worte – ein Lebensgefühl aus, das diese Frauen damals geprägt hat. Die Frauen hängen meist sehr an diesen Fotos und haben sie immer sorgfältig aufbewahrt, umso mehr danken wir ihnen für das Vertrauen, uns diese für einige Zeit zur Reproduktion zu überlassen.
Die Gespräche mit den Frauen waren die zentrale Quellenbasis für diese Publikation. Wir haben allerdings versucht, durch die Hinzuziehung von Archivmaterialien die Erfahrungen der Frauen in einen größeren sozialen und politischen Kontext einzubetten und zu verorten.
Im Aufbau des Buches orientieren wir uns am Konzept der „kollektiven Biografie“6, das heißt wir begleiten die Frauen auf ihrem Lebensweg von der Kindheit im meist bäuerlichen Milieu über die ersten Arbeitserfahrungen in Südtirol bis hin zu ihrer Stelle in einer italienischen Stadt und den damit verbundenen Erfahrungen. Ebenso fragen wir danach, wie sie die Rückkehr nach Südtirol erlebt haben und wie ihre Erfahrungen ihren weiteren Lebensweg geprägt haben.
Auch wenn jede Lebensgeschichte etwas Besonderes ist, so lassen sich doch zentrale gemeinsame Themen ausmachen, die die Erfahrungen der Frauen kennzeichnen.
Die Arbeitsmigration der Frauen war wirtschaftlich notwendig. Es gibt einen kausalen Zusammenhang zwischen Nachkriegs- und Weltwirtschaftskrise und der Entscheidung, einen Arbeitsplatz in einer italienischen Großstadt anzunehmen. Es war für sie aber auch eine Möglichkeit, die Enge ihrer Herkunftsverhältnisse zu verlassen, neue Erfahrungen zu sammeln, eine gewisse Selbstständigkeit zu erlangen und etwas von der Welt zu sehen. Sie interpretieren ihre Erlebnisse als wichtige und auch meist schöne Zeit ihres Lebens. Auch jene mit schlechten Erfahrungen möchten die Jahre oder Monate meist nicht missen, denn „so hat man wenigstens etwas von der Welt gesehen“.
Die Lebensgeschichten dieser Frauen passen nicht so recht in das Bild der stabilen bäuerlichen und sesshaften bzw. heimatverbundenen Südtiroler Bevölkerung, welches die Literatur und die Geschichtsschreibung über dieses Land dominiert.
Das Buch erzählt von der Herkunft der Frauen aus meist kleinbäuerlichen Verhältnissen über die Möglichkeiten und Formen der Kontaktaufnahme mit den zukünftigen Arbeitgebern bis hin zur aufregenden Reise an den neuen Arbeitsort.
Der Kontakt mit der Stadt und das Leben dort waren für die meisten eine vollkommen neue Erfahrung, der sie sehr unterschiedlich begegnet sind. Da gab es jene, die wissbegierig durch Museen streiften, ins Kino gingen oder mit Freundinnen Ausflüge in die Umgebung machten, während andere kaum allein das Haus verließen und wenn, dann höchstens zu den angebotenen Treffpunkten in den örtlichen Klöstern gingen.
Das „Freizeitverhalten“ der Frauen hing natürlich auch davon ab, wie sich das konkrete Arbeitsverhältnis und die Beziehung zu den Dienstgebern gestaltete. Die Hausarbeit war den meisten Südtirolerinnen durchaus vertraut, und doch gestaltete sie sich in den bürgerlichen Haushalten oft in einer völlig neuen und ungewohnten, oft auch unverständlichen Weise.
Eine wichtige Fragestellung für uns war auch jene nach der Wahrnehmung des Politischen. Wie erlebten diese Frauen den unmittelbaren Kontakt zu Italienern in den Jahren des italienischen Faschismus, wie nahmen sie das Regime selber wahr? Dazu kamen von unseren Gesprächspartnerinnen nur vereinzelt direkte Hinweise, aber zwischen den Zeilen glaubten wir doch eine ganz spezifische Haltung zu dieser Dimension des Politischen ausmachen zu können. Die Politik beeinflusste den Lebensweg der Frauen auch in unmittelbarer Weise, insbesondere die Option im Jahre 19397 und der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.
Eine Sprache zu finden, die den Erfahrungen und den Wahrnehmungen der Frauen gerecht wird, war nicht immer ganz einfach. Die Sprache als solche ist nicht geschlechts- und wertneutral8, das wurde uns bei dieser Arbeit in besonderer Weise bewusst. Wir mussten uns immer wieder um eine Balance zwischen Alltagssprache und historisch-politischer Korrektheit bemühen und sahen uns mit unbewussten Wahrnehmungen konfrontiert, die sich in sprachlichen Figuren niederschlagen.
Es ging auch um eine Balance zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, um ein Verständnis der zeitgenössischen Wahrnehmung und das Bemühen um einen analytischen und theoretischen Blick aus der Distanz der Historikerin.
Unsere Gesprächspartnerinnen, die zum Zeitpunkt ihres Dienstes zwischen 18 und 25 Jahre alt und unverheiratet waren, bezeichneten sich selber immer als „Mädchen“. In unserer Wahrnehmung hatten wir mit der Verwendung dieses Begriffes oft Schwierigkeiten und bevorzugten die Bezeichnung „Frauen“.
Die Beschreibung eines Verhältnisses, welches zwischen Familie und Arbeitsmarkt angesiedelt ist, und die Bezeichnung seiner Protagonisten führte schon zu Beginn dieses Jahrhunderts in den entsprechenden Presseorganen zu einer Diskussion über die angemessenen Begriffe.9 Die unterschiedlichen Benennungen spiegeln unterschiedliche Grade von Abhängigkeit bzw. Unterwürfigkeit wider. Beim „Dienstmädchen“ kommt die Abhängigkeit in beiden Wortteilen zum Ausdruck, während „Hausmädchen“ im ersten Teil neutraler ist. Dienstmädchenzeitungen plädierten am Beginn des 20. Jahrhunderts für die Bezeichnung „Hausangestellte“. Auch die Bezeichnung „Herrschaften“ für die Arbeitgeber wurde als nicht angemessen abgelehnt, als Alternativen wurden „Hausfrau“ und „Hausherr“ vorgeschlagen. Auch die Bezeichnungen „Dienstgeber“ und „Dienstnehmer“ seien irreführend, „weil die Herrschaft in Wirklichkeit die Dienste des Dienstmädchens in Anspruch nehme, der Dienstbote aber seine Arbeitskraft gebe“.10
Dienstmädchen, Hausmädchen, Hausangestelle, Hausgehilfin, Dienstbote – diese Begriffe sind außerdem sehr allgemein und sagen wenig über konkrete und oft sehr unterschiedliche Arbeitsrealitäten aus. Trotzdem haben wir sie, in Ermangelung von Alternativen, verwendet. Einige Tätigkeitsfelder lassen sich genauer definieren und auch entsprechend bezeichnen, wie eben Köchin oder Kindermädchen. Meist aber waren die Frauen für Haushalt und Kinder zuständig und im Haushalt wiederum in unterschiedlichem Ausmaß für die verschiedenen Bereiche. Wir haben uns für eine pragmatische Vorgangsweise entschieden: Wir hätten dieses Buch nicht schreiben können, hätten wir uns über jeden verwendeten Begriff genau Rechenschaft abgegeben. Ein wesentliches Kriterium, an dem wir uns orientiert haben, war der Sprachgebrauch der Frauen selber. In der Wiedergabe ihrer Erinnerungen haben wir die Bezeichnungen übernommen, die sie selbst gewählt haben, und haben diese in unseren Kommentaren zu den Erinnerungen auch nicht in Frage gestellt.
„Wir haben in Italien gearbeitet“, sagten unsere Gesprächspartnerinnen einfach. Für uns war es nicht so einfach. Auch Südtirol gehörte seit 1920 formell zu Italien, der Ausdruck „in Italien“ ist deshalb historisch irreführend. Andererseits unterschied sich die Realität in Südtirol in sprachlich-kultureller Hinsicht in diesen Jahren zweifellos grundlegend vom restlichen Staatsgebiet. Von italienischen Städten zu sprechen, schien uns daher am ehesten angemessen, wenngleich die Formulierung damit oft etwas umständlich wurde.
Mit dieser Arbeit wird nicht nur ein historisch wichtiger Abschnitt der Südtiroler Geschichte aus einer neuen Perspektive thematisiert, sie enthält auch einige Anregungen für die Wahrnehmung der Gegenwart. Auch in einem kleinen Land wie Südtirol ist die Einwanderung von Menschen aus Nicht-EU-Ländern seit geraumer Zeit eine sichtbare Realität. Menschen kommen aus Ländern des Südens bzw. aus den ehemaligen Ostblockländern nach Südtirol, um hier zu arbeiten und zu leben. In der Anfangsphase waren die Migranten eher Männer, aber seit einigen Jahren gibt es immer mehr Frauen, die ihre Herkunftsländer verlassen, um hier vorübergehend bessere Arbeitsmöglichkeiten zu finden oder sich eine neue Existenz aufzubauen. „Fremde sind umso fremder, je ärmer sie sind“, schreibt Hans Magnus Enzensberger11 und weist damit auf die unterschiedliche Wahrnehmung und Behandlung von armen und reichen Einwanderern und Einwanderinnen hin.
Migration weist auch geschlechtsspezifische Merkmale auf. Die Erwerbsmöglichkeiten für die Frauen sind im Wesentlichen – wenn wir die Prostitution nicht dazuzählen wollen – auf das Gastgewerbe und die Billiglohnjobs in den privaten Haushalten beschränkt. In Letzteren übernehmen sie vielfach anspruchsvolle und anstrengende Alten- und Krankenbetreuung. Nahezu ausschließlich von Ausländer(inne)n verrichtet werden die marktwirtschaftlich organisierten Hausarbeiten wie etwa bei Putzfirmen. Diese Arbeitsperspektiven mögen uns vielleicht wenig attraktiv erscheinen. Trotzdem kommen sehr viele junge Frauen in die reichen europäischen Länder, auch nach Südtirol, weil sie hier Möglichkeiten zu finden hoffen, die sie in ihren Heimatländern offensichtlich nicht haben. Ein etwas aufmerksamerer Blick in unsere eigene Vergangenheit kann für das Verständnis von Migration und ihrer menschlichen Dimension sehr erhellend sein. Er führt uns zu der Erkenntnis, dass soziale Mobilität bzw. Arbeitsmigration von Frauen nicht nur gegenwärtiger Ausdruck einer krisenhaften Realität in anderen Ländern ist, sondern dass es dieses Phänomen auch in Südtirol gegeben hat. Es ist für jedes Land – insbesondere für Südtirol, wo der Heimatbegriff so sehr mit Sesshaftigkeit verknüpft wird und eine besondere gesellschaftliche Rolle spielt – heilsam, sich an die eigene Migrationsgeschichte zu erinnern und sich bewusst zu machen, dass Heimathaben durchaus nicht selbstverständlich, sondern abhängig ist von sozialen und politischen Rahmenbedingungen und deshalb auch ein fragiles Konzept darstellt.
Hans Magnus Enzensberger interpretiert „das Fehlen jeder Empathie mit den Neuankömmlingen, die mit denselben Widerständen zu kämpfen, dieselbe schwierige Situation vor sich haben, der sich ihre Vorgänger unterziehen mussten“, als „eigentümlich rasche Vergesslichkeit, mit der das eigene Herkommen verdeckt und verleugnet wird“.12