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Leonhard

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Als Faith nach der zweiten Schulstunde das Klassenzimmer betrat und sich neben Lisa setzte, sah diese sie forschend an.

„Was war los?“ Faith schüttelte nur abwehrend den Kopf und flüsterte: „Wahrscheinlich ist mir schlecht geworden vom Gestank deiner Spiegeleier heute Morgen.“

Lisa verkniff sich eine Antwort, da in diesem Moment ihr Lieblingslehrer den Raum betrat.

Leonhard war der einzige Lehrer, der von fast allen Schülern beim Vornamen genannt wurde. Das lag zum einen daran, dass er noch sehr jung war, aber auch an seiner lockeren Art mit den Schülern umzugehen, was das Kollegium gelegentlich gar nicht gern sah.

Er besaß unbestritten eine gehörige Portion Charme. Obwohl kein wirklich gut aussehender Mann, wirkte er mit seinem Strubbelkopf und den großen grauen Augen, die hinter den Brillengläsern klug und gleichzeitig fast kindlich-neugierig hervorblitzten, sehr anziehend.

„Guten Morgen.“

Er stutzte kurz, als er Richard wahrnahm.

„Ich bin Leonhard“, stellte er sich vor, „und du bist?“ „Richard, Richard Baum“, präzisierte Richard. „Gut Richard, dann fangen wir mal an.“

Noch einen Moment lang blieb der Blick des Lehrers an dem Jungen hängen, dann wandte er sich wieder der Klasse zu.

„Ich will heute mit euch über Naturgeister in der Literatur sprechen. Ich dachte, wir fangen mit einem ganz unbedeutenden Autor an, der fast in Vergessenheit geraten ist. Sein Name ist Goethe, Johann Wolfgang von Goethe“, präzisierte nun auch Leonhard, während sein Blick zurück zu Richard schweifte, mit einem kleinen ironischen Unterton.

Faith folgte dem Blick ihres Lehrers und fragte sich verwundert, wieso Richards Gesicht einen Ton dunkler wurde.

War es die Ironie des Älteren, konnte es sein, dass er mit Ironie nicht umgehen konnte, oder war er schon bei dem Wort „Naturgeister“ rot angelaufen?

Die anderen amüsierten sich jedenfalls über den „unbekannten Dichter“ und hatten von dem kleinen Zwischenspiel nichts mitbekommen.

„Nach den Elfen oder Elben hat auch der Erlkönig seinen Namen. Der Erlkönig ist ein Elf, der die Menschen in die Anderswelt führt, einer, der ihre Seelen aus dieser Welt führt.“

Mit diesen Worten beendete Leonhard die Stunde, in dem Moment, als die Schulglocke die große Pause einläutete.

Da alle Schüler zur gleichen Zeit in den verschneiten Innenhof drängten, war das Geschubse auf der breiten, gewundenen Treppe nach unten entsprechend groß.

Faith bemerkte zufrieden die Vorsicht, mit der Patricia die letzten Stufen nahm. Die Ratte vom Vortag war offenbar noch nicht ganz in Vergessenheit geraten.

FAITH

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