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Leben und feiern auf dem Dorf

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Am Anfang aber war das Leben auf dem Dorf noch sehr einfach, aber auch anstrengend. Ich erinnere mich beispielsweise gut daran, dass wir Schulkinder in den Ferien Ende September bis Anfang Oktober, auch Kartoffelferien genannt, wiederholt bei der Ernte helfen mussten. Dann sammelten wir die Kartoffel ein, die übersehen worden oder von den damals neuen Kartoffelvollerntemaschinen aufgrund ihrer geringen Größe durchs Sieb gefallen waren. Die wurden später an die Schweine verfüttert. Es war ziemlich hart, bei Kälte, Wind oder Nieselregen mit einem Sack über der Schulter über den Acker zu laufen, die Augen starr auf den Boden gerichtet. Ja, aber dabei lernten wir auch, wie viel Mühe es macht, sich das tägliche Brot zu erarbeiten. – Als ich schon etwas größer und kräftiger war, trug ich die vollen Kartoffelkörbe zum Anhänger zurück und mir blieb das mühselige Aufsammeln der Erdäpfel erspart.

Lohn der oft bis zum späten Nachmittag währenden Anstrengung war die Brotvesper. Sie wurde auf einem der größeren Bauernhöfe vorbereitet, meist auf dem Bauernhof, auf dessen Feldern wir gearbeitet hatten. Dann gab es selbstgebackenes Landbrot mit Leberwurst, Blutwurst, manchmal auch Schinkenscheiben oder frischem Gehackten, dazu eingelegte Gurken. Als Getränk erhielten wir Muckefuck, ein Ersatzkaffee, oder Brause.

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Eine der schönsten Zeiten auf dem Dorfe war die Fastnachtszeit, in der Lausitz auch Zempern genannt. Es gab Kinder-, Jugend-, Männer- und Weiberfastnacht, sodass das ganze Dorf mehr als eine Woche feierte. Begonnen wurde vormittags mit einem Umzug, der jedes Haus im Dorf ansteuerte. Vorne weg marschierte die Kapelle, dahinter die jeweilige Gruppe in Faschingskostümen. Bei den Höfen wurde um eine Spende gebeten, das konnten Naturalien wie Eier, Speck und Würste sein, oder auch Geld. Alle Gaben wurden eingesammelt und für einen Festschmaus und kleinere Feiern ausgegeben, welche an den nächsten Wochenenden stattfanden.

Während des Umzugs gab es an jeder Tür meist gleich einen Begrüßungsschluck, sodass alle – zumindest die Erwachsenen – am Ende mehr oder weniger angetrunken waren. So kam die anschließende Pause gerade recht. Abends trafen sich dann alle in der Dorfgaststätte – damals hatte jedes Dorf seinen Dorfkrug. Im Gasthof „Zur Linde“ wurde zum Tanz aufgespielt. Wir Kinder drückten uns an den Saalfenstern die Nase platt, wenn die Großen feierten. Ab und an kam es zu einer handfesten Schlägerei, meist aus Eifersucht, wenn einer der Liebsten eines anderen zu nahe kam. Auch das war gang und gäbe. Nach dem Scharmützel waren alle wieder eins, der Streit war beigelegt und manchmal gaben sich die Kampfhähne sogar die Hand.

Die „Linde“ war jedes Mal proppenvoll, Gaststube und Theke zum Saal für alle geöffnet. Vor dem Saal standen zwei, drei Reihen Bänke, meist Turnbänke, denn der Saal diente auch der Schule als Sporthalle und zudem als Kinosaal. Auf diesen Bänken hatten die älteren Damen des Dorfes ihren Platz. Die Herren der Schöpfung standen selbstverständlich an der Theke oder waren in der Gaststube. Bei solchen Anlässen wurde stets kräftig zugelangt. Auf der Saalbühne spielte die Kapelle, meist eine Drei- bis Fünf-Mann-Combo mit Saxophon, Trompete, Ziehharmonika, Schlagzeug und Klavier. Einer oder eine sang dazu. Schon zu Beginn, wenn die Musik einsetzte, war die Saalfläche voll.

An solchen Tanzabenden bahnte sich schon mal eine neue Beziehung an, eine andere ging dafür in die Brüche. Was auch geschah, alles wurde von den Damen auf den Bänken aufmerksam registriert und am nächsten Tag ausgewertet: Wer mit wem? Wo und wann? Wie und wohin?

Die Mütter hingegen versuchten, ihre Töchter und Söhne auf dem Heiratsmarkt zu platzieren und sie in die ihnen genehme Richtung zu dirigieren. „Nun tanz doch mal mit dem oder der“, hörte man es an den Tischen bisweilen hilfreich raunen oder gar ungeduldig zischeln. – Als ich als Jugendlicher meinen Urlaub in der Fastnachtszeit hier verlebte, wäre ich so beinahe auch bei einer Bauerntochter gelandet.

Meine Mutter erzählte mir, dass meine Großmutter auch immer mit dabei war, wenn sie zum Tanz ging, und genau aufpasste, mit wem sie sich abgab. Als sie dann mit meinen Vater zusammenkam, rügte ihre Mutter sie streng: „Entweder du tanzt jetzt mit Hermann oder wir gehen gleich nach Hause.“

Mutter hatte, wie sie mir mal anvertraute, auch eine Jugendliebe. Er war Eisenbahner und arbeitete auf der Bahnstation im Nachbardorf Kolochau. Memmi war er jedoch nicht gut genug, ihre Tochter sollte eine bessere Partie machen. – Sie hat nicht mehr erleben müssen, wie sehr ihr auserwählter Schwiegersohn ihre Tochter später enttäuschte. – Mutter musste ihren Eisenbahner bald schon fahrenlassen, da sie von Herrmann schwanger wurde. Doch er blieb ihr treu und half ihr immer aus dem Zug, wenn Mutter mit dem Kinderwagen aus Schlieben nach Polzen kam. Später wanderte er nach Kanada aus, als die Grenze zu West-Berlin noch offen war. Er hat aber nie geheiratet und kam als alter Mann in seine Heimat zurück.

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Ebenfalls ein Großereignis auf dem Dorf war die Hochzeit, besonders wenn Sohn oder Tochter eines Altbauern oder ehemaligen Großbauern heiratete. Dann ließen sich die Brauteltern nicht lumpen und veranstalteten eine große Feier. Natürlich wurde kirchlich geheiratet. Für uns Kinder war vor allem der Weg, den das Brautpaar mit seinen Gästen nach der Trauung zum festlich geschmückten Elternhaus zurücklegte, wichtig. Denn es war der Brauch, dass die Taschen der Hosen und Jacke des Bräutigams mit Kleingeld gefüllt waren, welches er händevoll in den begleitenden Zug zu den wartendenden Kindern warf. Da gab es immer einen Riesentumult, jeder wollte eine Münze erhaschen. Zu jener Zeit gab es für einige Pfennige, für Fünfer oder Groschen oder gar ein Fünfzig-Pfennig-Stück, noch etwas zu kaufen. Für ein Eis aus dem Konsum reichte es allemal.

Den Bauern ging es im Gegensatz zu vielen LPGs finanziell recht gut. Hielt doch jeder noch privat sein Vieh auf dem Hof und mästete Schweine, Bullen, Hühner, Gänse oder züchtete Enten. Sowohl zum Selbstverbrauch als auch zum freien Verkauf, sodass Bauern trotz Kollektivierung als wohlhabend galten. Ein Spruch ist mir noch geläufig: „Wenn der normale Bürger sein Bad fliest, hört er bei etwa ein Meter zwanzig auf, während bei den Bauern die Fliesen bis an die Decke reichen.“

Der Verkauf von Vieh lohnte sich, da der Staat die Aufkaufpreise stützte. Für einen gut gemästeten Bullen, der sogar für den Export, meist in die BRD, geeignet war, bekam der Bauer schon mal 7000 DDR-Mark. – Ein Trabant kostete fast genau so viel.

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