Читать книгу Familie, Seefahrt und ich - Uwe Knut Freiwald - Страница 16
Adeltrauts Eltern
ОглавлениеVater Walter war Fleischermeister in Gelbensande im Landkreis Rostock. Er hatte sich hier nach dem Krieg in die Erbengemeinschaft für ein Haus eingekauft, in dessen Anbau er seinen kleinen Betrieb führte und den er als Metzgerladen nutzte. Seine Frau Lotte arbeitete ebenfalls hier, als Verkäuferin. Er schlachtete die Schweine und Rinder und verarbeitete sie zu Fleisch und Wurst, welche seine Frau dann im Laden verkaufte. Der Aufkauf von Tieren wurde staatlich streng kontrolliert. Doch geschäftstüchtig, wie der alte Herr war, kaufte er auch mal ein Schwein unter der Hand, das nicht über die Bücher ging, schlachtete es und verkaufte es im Laden. So ging es der Familie wirtschaftlich zunehmend besser, was aber auch, gerade in den Anfangsjahren der Republik, Neid weckte. Anfang der fünfziger Jahre wurde Walter dann auch denunziert. Er kam vor Gericht, wurde verurteilt und enteignet. Der Staat übernahm sogar seinen Teil der Erbengemeinschaft, die Familie durfte zwar weiter in dem Haus wohnen, es wurde aber nun von der Gemeinde verwaltet.
Hausschlachtung
Danach arbeitete Walter im Faserplattenwerk in Ribnitz-Damgarten, wo er es bis zum Wirtschaftleiter brachte. In dieser Funktion war es ihm möglich, sich ein gutfunktionierendes Netzwerk aufzubauen, welches ihm durch die DDR-Mangelwirtschaft half, in der ein reger Tauschhandel gang und gäbe war, sowohl dienstlich als auch privat. Es gab nichts, was Walter nicht organisieren konnte, wiederum manchmal knapp an der Grenze der Legalität. Aber auch die Genossen aus der Führungsebene sahen darüber hinweg, da sie selbst oft Nutznießer waren.
Der Familie ging es wieder sehr gut, Walter fuhr sogar als einer der Ersten einen Kleinwagen, den P 70, Vorgänger des Trabants. Zudem erstand er in Dierhagen Strand eine Parzelle, auf der er begann, eine Datsche zu bauen, und zwar nur an den Wochenenden oder nach Feierabend. Dass er somit notgedrungen öfter auf der Baustelle als zu Hause war, missfiel nun aber Lotte und den Töchtern Adeltraut und Irmgard. Also verkaufte er auf ihr Drängen schließlich das Grundstück mit Haus an einen Professor aus Berlin. – Wenn er damals geahnt hätte, dass diese Grundstücke ein paar Jahre später einmal hochbegehrt und sehr teuer gehandelt würden …
Doch um sich ein Boot bauen zu lassen, dafür reichte der Erlös schon damals allemal, und dann wurde der „Seeadler“ zum Urlaubsquartier der Familie. Er verfügte über vier Schlafplätze und eine kleine Küche. Achtern gab es ausreichend Platz zum Essen oder Sonnen. Angetrieben wurde das Boot durch einen Dieselmotor, zu Walters Leidwesen fuhr es jedoch nicht schneller als fünf, sechs Knoten. Der Liegeplatz des Bootes befand sich im Jachthafen in Ribnitz-Damgarten. Zum Überwintern kam es aufs Grundstück nach Gelbensande und wurde mit einer Plane abgedeckt. Das war jedes Mal eine wahre Prozedur, zumal das Boot über eineinhalb Tonnen wog. So benötigte Walter für den Transport jeweils im Frühjahr und im Herbst einen Tieflader-Hänger, einen Traktor und einen Autokran. Diese Geräte unter DDR-Bedingungen zu organisieren und zeitgleich an einen bestimmten Ort zu bestellen, das war ein wahres Meisterstück. Doch es gelang ihm, jedes Jahr wieder, ohne Probleme mithilfe seines Netzwerkes.
Einmal lag das Boot den Sommer über in dem kleinen Hafen von Althagen zwischen Wustrow und Ahrenshoop. Zu der Zeit studierte ich an der Seefahrtschule in Wustrow. Adeltraut und ich nutzten die Gelegenheit und verbrachten gemeinsam meine Semesterferien auf dem Boot. Das war ein wunderschöner Urlaub. Zum Boot gehörte ein kleines Beiboot, welches mit einem 5-PS-Forelle-Bootsmotor angetrieben wurde, mit dem wir Bade- und Angeltouren unternahmen. Sonntags machten wir bei gutem Wetter eine Kaffeefahrt mit dem großen Boot. Walter brachte uns dann oft ein Verpflegungspaket mit, was wir dankbar annahmen.
Ein kleines Urlaubsparadies
* * *
In dem Haus, aus dessen Erbengemeinschaft Walter nach seiner Enteignung ausgeschieden war, lebte die Familie trotzdem weiter, musste nun aber Miete an die Gemeinde zahlen.
Da die Besitzer der anderen Erbteile sich im Westen befanden, wurde das Haus unter sogenannte „Vorläufige Verwaltung“1 gestellt, die in diesem Falle die Gemeinde übernahm und die Miete auf ein Sperrkonto einzahlte. Diese Praxis wurde für viele Häuser und Mietshäuser auf dem Gebiet der DDR angewendet, deren Eigentümer in Westdeutschland oder Berlin-West lebten. Die Mieten reichten allerdings bei Weitem nicht, um den Erhalt der Häuser zu gewährleisten. Es wurde nur das Nötigste getan, damit sie nicht völlig verfielen. Die Besitzer in Westdeutschland hatten auch gar kein Interesse daran, da die Häuser keine ordentliche Rendite abwarfen. Der Staat hingegen investierte nicht in Privateigentum.
Als dies über die Jahrzehnte eine verheerende Wirkung zeitigte und sich ein gewaltiger Reparatur- und Werterhaltungsstau aufbaute, änderte die DDR ihre Praxis, nur eben viel zu spät, und nahm Kredite auf – ohne Zustimmung der Eigentümer –, die in den Grundbüchern eingetragen wurden, um die Häuser zu retten und Mietwohnungen zu erhalten. Oft waren die Besitzer vorher angeschrieben worden, sich an den Werterhaltungsmaßnahmen zu beteiligen. Sie winkten in der Regel ab, da ihr Haus ja sowieso keinen Gewinn erbrachte. – Nach der Wende hingegen beklagten sich viele von ihnen bitterlich, in welchem Zustand ihnen „ihre ach so geliebten“ Häuser oder Wohnungen zurückgegeben wurden.
Drei Generationen – Adeltrauts Eltern, Oma Stock mit Adeltraut in der Mitte
Viele Häuser und Wohnungen wurden aber auch aufgrund des Einsatzes der Mieter vor dem Verfall gerettet. Sie investierten über die Jahre viel Arbeit, opferten Zeit und Geld, um die Häuser und Wohnungen zu bewahren, genau wie meine Schwiegereltern. Um den völligen Verfall zu vermeiden, wurde extra ein Gesetz erlassen, um solche Häuser enteignen zu können. Es ging schließlich um Wohnraum für die Menschen. Nachdem ein Gutachter ihren Zustand bewertet hatte, wurden die Häuser an DDR-Bürger verkauft. Der Erlös kam wiederum auf das Sperrkonto.
Undank ist der Welten Lohn: Nach der politischen Wende sollten alle, die dies getan hatten – den Wert erhalten, ohne Besitzer zu sein –, dafür keine Entschädigung oder gar Dank erhalten. Im Gegenteil, sie wurden manchmal sogar mit recht zweifelhaften Methoden von den Alteigentümern aus den Wohnungen und Häusern vertrieben. Über Nacht waren es nämlich auf einmal wieder wertvolle Immobilien geworden, besonders in den Großstädten.
1 s. § 6 Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten in der DDR vom 17. Juli 1952.