Читать книгу Familie, Seefahrt und ich - Uwe Knut Freiwald - Страница 17
Wir gründen eine Familie
ОглавлениеIm Jahr 1970 delegierte mich die Reederei zum Abiturlehrgang an die Kreisvolkshochschule in Königs Wusterhausen, Bundesland Brandenburg, also gar nicht so weit von meiner alten Heimat entfernt. Adeltraut und ich entschlossen uns deshalb, für die Zeit des Lehrganges bei meiner Mutter einzuziehen.
Meine Mutter wohnte noch in Nexdorf, in einem Haus, in dem sich auch die Grundschule befand. Bei ihren Eltern hatte Adeltraut nur ein kleines Zimmer bewohnt. Sie staunte nicht schlecht und freute sich, dass wir hier ein größeres beziehen konnten, da mein Bruder bereits ausgezogen war. Da aber alles so schnell gegangen war, das Kennenlernen, die Schwangerschaft, die Verlobung, hatte ich sie meiner Familie noch gar nicht vorstellen können. In den kurzen Liegezeiten in Rostock hatten Adeltraut und ich, weil es bequemer war und die Zeit so knapp, immer ihre Eltern besucht und von einer Reise in die Lausitz abgesehen. Adeltraut und meine Mutter waren sich also noch fremd.
Unerschrocken, rigoros und zupackend wie sie war, kam Adeltraut hochschwanger allein bei meiner Mutter an, denn ich konnte erst am Wochenende dazukommen. Die beiden Frauen mussten sich nun ohne meine Hilfe kennenlernen und zunächst allein miteinander auskommen. Da trafen nun mecklenburgische und brandenburgische Mentalität aufeinander, zudem waren die beiden Frauen sehr unterschiedlich, deshalb entwickelte sich das Zusammenleben recht kompliziert, um es mal vorsichtig auszudrücken.
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Wenn ich an die Anfangszeit denke, als Adeltraut sich hier einleben musste, fällt mir immer eine Episode ein, die sehr deutlich macht, wie groß die Unterschiede waren.
Auf dem Dorf war – und ist es wahrscheinlich immer noch – üblich, dass man sich am Sonntag im Krug zum Frühschoppen trifft, außer während der Erntezeit. Aber auch wochentags war der Krug ab zehn Uhr geöffnet, falls jemand vorbeikam, der einen Kasten Brause oder Bier holen wollte. Ab und an kam auch einer auf ein schnelles Bier und einen Kurzen. Auch ich besuchte während meines Urlaubs gerne unseren Kneiper, um ein Bierchen zu trinken und einen Schwatz zu halten und so das Neuste aus dem Dorf zu erfahren. Eines seiner Rituale war, dass sich unser Kneiper Kurt nach dem Öffnen der Wirtschaft erst einmal ein Bier und ein bis zwei Kurze gönnte, um auf „Betriebstemperatur“ zu kommen. So auch an diesem Sonntag. Das Dorf erwachte, als Kurt seine große Flügeltür öffnete. Darauf gingen hier und da die kleinen Türen der mächtigen Hoftore auf und ein Bauer nach dem anderen machte sich auf den Weg zum Dorfkrug. Herrmann und seine Frau waren zufällig zu Besuch und wir alle konnten von unserem Wohnzimmerfenster aus diesen Vorgang genau beobachten. Schräg von uns traten nun aus einem Gehöft unsere, Herrmanns und meine, Freunde heraus. Also sagten auch wir Tschüss und machten uns auf den Weg in die Schenke. Nicht ohne vorher hoch und heilig zu versprechen, unbedingt pünktlich um zwölf zum Mittagessen zurück zu sein.
In der Kneipe wurde wie immer Skat gespielt und wer verlor, musste die Runde bezahlen. Wir waren damit einverstanden und setzten uns dazu. Mit der Zeit und dem zunehmenden Spielerglück rückte allmählich der Gedanke an das Mittagbrot in weite Ferne. Mutter und unsere Frauen warteten vergeblich auf uns. Unsere Mutter kannte ihre Pappenheimer ja und hielt eben wie immer in so einem Fall das Mittagsessen in der Ofenröhre warm. Das war allgemein so üblich hier. Dieser Service missfiel allerdings meiner Verlobten, so was kam für sie gar nicht infrage. Als die Zeiger der Küchenuhr die Ein-Uhr-Marke überschritten hatten und wir immer noch nicht erschienen waren, ging Adeltraut zum Zentralangriff über.
Während wir – schon leicht angesäuselt – fröhlich beim Skat saßen, wurde plötzlich die Tür aufgerissen und in der Gaststube standen Adeltraut und Marita. Doch sie beachteten uns gar nicht, sondern setzten sich demonstrativ an einen Nebentisch, wo sie nun ihrerseits bestellten und zu trinken begannen. Die anderen Gäste im Raum hatten dies beobachtet und fingen jetzt laut an zu lachen. Das war noch nie passiert! – Und ich dachte mir: So was kann nur meiner Braut einfallen, anderen Frauen aus dem Dorf hätten sich das nie gewagt. Es war ein glatter Affront, wie standen wir denn nun da? – Nun ja, wir nahmen es mit Humor, was blieb uns auch übrig? Zu Hause gab es dann heftige Diskussionen, mit dem Ergebnis: Wir Männer kamen von nun an pünktlich zum Mittag nach Hause oder wir gingen eben alle zusammen in die Gaststätte und aßen dann dort.
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Unsere Tochter Sylke wurde im Oktober 1970 geboren. Da wir nicht verheiratet waren, erkundigte sich das Jugendamt bei uns. Wir erklärten, dass es ohnehin schon lange Zeit unsere Absicht sei, alsbald zu heiraten.
Nun war ich zwar mit den Gepflogenheiten einer Hochzeit auf dem Dorfe vertraut, doch war uns beiden, Adeltraut und mir, klar, dass wir uns eine große Hochzeit einfach nicht leisten konnten. Schließlich machte ich noch das Abitur und wollte anschließend jahrelang studieren. Was also tun? Nach einigem Hin und Her entschlossen wir uns zu einer abgespeckten Variante: eine Eheschließung vor dem Standesamt, wo wir uns ohne Familienbeteiligung trauen lassen wollten. Damit keine der beiden Familien sich benachteiligt fühlte.
Als wir unsere Vorstellung von der Heirat meiner Mutter und Herrmann, der zufällig gerade bei ihr zu Besuch war, mitteilten, waren sie sehr empört, so etwas war in der Familie partout nicht üblich.
„Das könnt ihr doch nicht machen. Was sollen die Leute im Dorf über uns denken? Solch ein Ereignis wird groß in der Familie gefeiert!“
Trotzdem, wir blieben bei unserem gemeinsam gefassten Entschluss.
Der Termin der Trauung war der 30. Dezember 1970 auf dem Standesamt in Finsterwalde. Adeltraut bereitete alles vor. Zum Glück hatte sich meine Mutter inzwischen beruhigt und nahm gerne unsere Tochter in dieser Zeit in ihre Obhut. Zumal nach der Zeremonie noch ein Kurzbesuch bei meinen – dann – Schwiegereltern anstand. Für die Hochzeit kleideten wir uns neu ein. Wir wollten eigentlich etwas kaufen, das wir noch später tragen konnten, deshalb entschieden wir uns für die damals übliche Garderobe zur Hochzeit: schwarzer Anzug, dunkles Kostüm. Allerdings war das nun ein Aufzug, welcher ausschließlich bei Feierlichkeiten getragen werden konnte. Na ja: gut gedacht – schlecht gemacht.
Da wir bereits einen Tag vor der Trauung anreisen wollten, mussten wir für eine Nacht ein Hotelzimmer in Finsterwalde buchen. Ein Kuriosum war, dass Adeltraut, da wir ja noch nicht verheiratet waren, im Hotel „Sängerstadt“ zwei Zimmer buchen musste. Ja, ja, strenge Sitten waren das damals. Natürlich haben wir diese Nacht nur ein Zimmer genutzt.
Weil wir am nächsten Morgen allein bei der Eheschließung waren, wurden die zwei erforderlichen Zeugen vom Amt benannt und gestellt, trotzdem war es sehr feierlich. Als Musik hatte Adeltraut den Triumphmarsch aus Aida gewählt. Bezüglich klassischer Musik war ich zu damaliger Zeit noch ein Ahnungsloser. – Nach der Zeremonie gingen wir beide den kurzen Weg zum Hotel, nur einige Passanten wunderten sich über unsere festliche Kleidung. Im Hotelrestaurant hatten wir vorher einen Tisch bestellt, um mit einer Flasche Sekt und festlichem Essen unsere Vermählung zu feiern. Viel Zeit blieb uns nicht, denn am späten Nachmittag ging unser Zug nach Rostock. Letztendlich kostete uns diese Hochzeit alles in allem etwas über 150 Mark, was wir von meinem Ersparten abzweigten.
Bei den Schwiegereltern gab es dann noch ein Festmahl, diesmal mit Familie, wenn auch im engsten Kreis. Ebenfalls ein Festessen hatte nach unserer Rückkehr, nun schon im neuen Jahr, meine Mutter für uns ausgerichtet, auch hier kam die Familie zusammen. Es wurden so doch noch zwei schöne Feiern, zwar jeweils im engsten Familienkreis, aber immerhin. Vor allem freuten sich alle über unsere Tochter Sylke, auch wenn sich die Familien selbst erst später untereinander kennenlernten.
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Da Adeltraut nicht so richtig warm mit der Brandenburg-Lausitzer Mentalität und ihrer Schwiegermutter wurde, war sie sehr froh, als wir nach meinem bestandenen Abitur in ihr Heimatdorf, ins Haus ihrer Eltern in Gelbensande zogen. Dort bekamen wir ihr kleines Kinderzimmer. Die erste Zeit blieb Adeltraut zu Hause, bis sie endlich einen Krippenplatz für Sylke erhielt. Nun konnte sie wieder arbeiten gehen. In der DDR waren so gut wie alle Frauen berufstätig. Meine Schwiegermutter, die gerade Rentnerin geworden war, übernahm es dann, unsere Tochter vom Kindergarten abzuholen und zu betreuen, bis Adeltraut von der Arbeit aus Rostock zurückkam.
Endlich bekamen wir von der Gemeinde eine eigene kleine Wohnung zur Miete in einem Privathaus zugewiesen. Diese bestand aus einer Stube und einer winzigen Küche. Das Plumpsklo war auf dem Hof. Wasser holte ich von meinen Schwiegereltern, die auf der anderen Straßenseite wohnten, da sich die einzige Pumpe mit Trinkwasser in der Küche der Vermieterin befand.
Meine Tochter schlief im Kinderbettchen in der Küche. Hier gab es einen winzigen Küchenherd mit Kohlefeuerung, der aber nie lange die Wärme hielt, sodass sich im Winter oft in den danebenstehenden Wassereimern eine Eisschicht bildete. Doch Sylke wurde davon nicht krank und bekam kaum eine Erkältung. Unsere Sorge war jedoch, dass sich eventuell giftige Gase entwickelten, bis die Kohlen durchgebrannt waren. Deshalb schauten wir immer wieder besorgt nach der Kleinen. – Trotzdem, wir waren glücklich, endlich unsere eigenen ersten vier Wände zu besitzen, und blieben hier während meines ganzen Studiums wohnen.
Was mich allerdings bald neben der Tatsache, dass die Wohnung so klein war, ärgerte, war, dass ich als Fußballfan nie am Sonnabend die Oberliga im Fernsehen im „Sport aktuell“ verfolgen konnte. Denn ich war damit beschäftigt, Wasser hoch und runter zu tragen, weil genau zum Sendezeitpunkt Sylkes Bad anstand. Auf die Frage von Adeltraut, was denn für mich wichtiger sei, hatte ich keine Antwort. – Sie hegte eine tiefe Abneigung gegenüber der Sportsendung. Ihr Vater, als ebensolcher Fußballfan wie ich, hatte nämlich immer das Wohnzimmer blockiert und keinen Senderwechsel geduldet. – Ich musste mich am folgenden Montag mit der Lektüre des Sportechos begnügen. Auch später kämpfte ich mit ihr darum, die Bundesliga anschauen zu können. Das Thema erledigte sich erst, als wir zwei Fernsehgeräte besaßen.
Die Wohnungsmisere der DDR betraf insbesondere junge Ehepaare. Deshalb begannen Partei- und Staatsführung Anfang der 70er-Jahre mit dem sogenannten Wohnungsbauprogramm, um den Missstand zu beheben – was jedoch nie vollständig gelang. Es entstanden die damals heiß begehrten und geliebten Plattenbauten. Auch meine Frau, die den organisatorischen Teil der Familie in der Hand hatte, stellte den Antrag für eine solche AWG-Wohnung. Sie war ein hervorragendes Organisationstalent und hatte auch das nötige Durchsetzungsvermögen, wovor ich immer den Hut gezogen habe. Dazu lag die Erziehung der Kinder fast vollständig in ihrer Hand, abgesehen von den wenigen Wochen, die ich im Urlaub zu Hause verbrachte. Adeltraut war eben eine echte Seemannsfrau.
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Unsere damalige finanzielle Situation gestaltete sich schwierig. Meine Frau verdiente etwa 370 Mark und ich bekam ein Stipendium von 190 Mark vom Staat, das nicht zurückgezahlt werden musste. Das war unser gesamter Familien-Etat, die Ersparnisse waren aufgebraucht. Zudem mussten wir einen Genossenschaftsanteil von 4000 Mark für unsere beantragte AWG-Wohnung in Raten bezahlen, weshalb von meinem Stipendium 100 Mark abgingen, also hatte ich nur noch 90 Mark für An- und Abreise, Unterkunft und Verpflegung an der IHS. Meine Frau beklagte sich bitter, dass sie all die Jahre in ihren alten Sachen rumlaufen musste. Wenn Geld übrig war, wurde es für Sylke verwendet. Um die finanzielle Lage aufzubessern, arbeitete ich an den Wochenenden im Hafen, machte Schichten als Hafenarbeiter. Für die körperlich harte Achtstundenschicht im Umschlag gab es 32 Mark. Später ergatterte ich in Warnemünde an der Seefahrtschule einen Posten als Hilfsassistent. Besonders ertragreich war die Teilnahme als Kleindarsteller bei der damals beliebten Sendung „Klock 8, achtern Strom“, an der ich mehrmals mit Kanne mitwirkte. In den Semesterferien arbeitete ich als Matrose meist auf Werftschiffen, da ich als Brillenträger nicht die Tauglichkeitsstufe I besaß, um als Matrose auf den Schiffen zu fahren.