Читать книгу Familie, Seefahrt und ich - Uwe Knut Freiwald - Страница 11
Schlieben, meine liebste Heimat
ОглавлениеMeine Oma Minna sagte immer, ich gehe mit dem halben Jahrhundert, weil ich 1950 geboren wurde. Ich bin auch getauft worden und wuchs in Buchhain und Nexdorf auf, kleine Dörfer in der Lausitz.
Oma Minna, Vaters Mutter, wohnte in einem Haus in der Martinsstraße zur Miete, welches einem Tischlermeister gehörte. Trotz ihrer Einfachheit war sie sehr gebildet. Ich sehe sie noch heute vor mir mit ihrem grauen Dutt, immer sauber akkurat gekleidet, die Wohnung blitzblank. Tante Hilde und Onkel Kurt hatten ihre Wohnung auf dem gleichen Flur wie sie, die beiden hatten keine Kinder. Später zog Oma Minna um in ein Altersheim in Luckau. Doch sie verstarb als über 90-Jährige bald nach dem Umzug, sie vermisste ihr Schlieben wohl zu sehr. Bei einem unserer letzten Besuche mit meiner Frau, konnten wir ihr noch erzählen, dass Adeltraut erneut schwanger war. Nils lernte sie leider nicht mehr kennen.
Ich liebte Schlieben und verbrachte auch später meine Schulferien hier bei Oma, Tante und Onkel. So verwundert es nicht, dass die drei neben meiner Mutter einen maßgeblichen Einfluss auf meine Entwicklung und Erziehung hatten. Mein Gästebett befand sich in ihrer Vorratskammer, die zwar nicht beheizbar war, aber im Herbst und Winter herrlich duftete von den dort eingelagerten Äpfeln und Birnen. Durch die Wand hörte ich aus Omas Stube ihr Chronometer leise die Stunden schlagen.
Kinderspaß in Schlieben
Hier bei ihr lernte ich gutes Benehmen und das Erfüllen kleiner Pflichten, etwa das stetige Hochtragen von Kohlen, Holz und Wasser. Die Wohnung hatte nämlich keinen Wasseranschluss, die Toilette befand sich auf dem Hof.
In ihrem großen Garten, den sie zusammen mit Tante Hilde und Onkel Kurt bewirtschaftete, gab es immer etwas zu tun für mich – was allerdings später zu meiner Abneigung gegen Gartenarbeit führte. Der Gerechtigkeit halber muss ich aber hinzufügen, dass die Liebe zum Gärtnern mich mit zunehmendem Alter doch noch erreichte. Heute beschäftige ich mich gerne in unserem Garten.
Oma war streng und vertrat die Meinung: „Wer etwas essen will, muss auch etwas dafür tun. Gebratene Tauben fallen nicht vom Himmel.“
In den Sommerferien war auch der Gang zum Friedhof Pflicht. Oma pflegte das Grab meines Opas und hatte weitere fünf oder sechs Gräber in Pflege, um ihre kleine Rente aufzubessern. Meine Aufgabe war es, ihr das Wasser zum Gießen heranzutragen. So lernte ich von ihr, das Andenken der Verstorbenen zu ehren.
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Meine Tante und mein Onkel bezogen bald eine schöne neue Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung. Sie hatten dafür viele AWG-Stunden gearbeitet. Ich nahm prompt das Kinderzimmer bei ihnen in Beschlag, zumal sie bereits ein Fernsehgerät besaßen, ein Schwarzweißgerät natürlich.
Schlieben, Nähe des Marktplatzes
Da beide tagsüber arbeiteten, nahm mich in der Zeit Oma unter die Fittiche. Abends um halb sieben musste ich mich bei Tante Hilde und Onkel Kurt einfinden. Dann wurde warm zu Abend gegessen. Die Aufgaben danach waren gerecht aufgeteilt: Einer machte den Abwasch, ein anderer trocknete ab und der dritte stellte das Geschirr weg. Stand die große Wäsche an, hatten mein Onkel und ich den Auftrag, die Wohnung zu säubern, also staubsaugen, wischen, putzen und die üblichen Hausarbeiten, während meine Tante in der Waschküche stand. Waschmaschinen gab es damals noch nicht und waren später auch nicht für alle erschwinglich. Wir beide, mein Onkel und ich, setzten unseren ganzen Ehrgeiz daran, alles perfekt zu reinigen, um nicht den Unmut der Tante zu erregen. – Dieser Fimmel für Hausarbeiten verfolgt mich bis zum heutigen Tag, kam mir aber später auf dem Lehrschiff als Matrosenlehrling sehr zugute.
Die Abende verbrachten wir zusammen. Fernsehen durfte ich nur bestimmte Sendungen wie die allseits beliebte „Willi Schwabes Rumpelkammer“, in der alte Filmausschnitte gezeigt wurden. Dann kam sogar meine Oma extra rüber. Auch die ARD-Eurovision-Sendungen im Westfernsehen sahen wir gemeinsam an und natürlich die Sportsendungen. Doch wir spielten auch viel miteinander, Ratespiele zum Beispiel, und ich lernte Kartenspiele wie Doppelkopf und Rommé, aber auch Brettspiele, zum Beispiel Mühle und Dame und Halma kennen. Das waren vergnügliche Abende.
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Meine Oma war eine fantastische Köchin alter Schule, sie hatte noch für Herrschaften in Berlin gekocht. Meine Tante stand ihr diesbezüglich in nichts nach und ich hatte jeden Sonntag die Wahl, wo ich zu Mittag essen wollte. Ich war ein guter Esser und Feinschmecker, nur was vom Schaf kam, mochte ich absolut nicht. Eines Sonntags hatte ich Wahl zwischen Schnitzel mit Blumenkohl bei Tante Hilde oder Omas Rehbraten. Da Wild etwas Besonderes war, zog ich guten Mutes zur Oma, um dort den Braten zu genießen. Es war wie immer sehr lecker und ich langte mächtig zu. Nach dem Essen fragte Oma scheinheilig:
„Na, mein Junge, hat es dir geschmeckt?“
„Ja, danke“, erwiderte ich begeistert.
„Was meinst du denn, was du gegessen hast?“, fragte sie lächelnd.
„Natürlich Rehbraten.“
„Ach was“, lachte sie, „das war eine Lammkeule!“
Au Backe, ich hatte es nicht bemerkt! Dank ihrer vorzüglichen Kochkunst …
Oma Minna mit ihrem Bruder