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Von Säugetier zu Säugetier

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Für ein Pferd ist es schlichtweg unmöglich, in die Welt und die Sprache des Menschen einzutauchen, wohingegen es für einen Menschen sehr leicht ist zu lernen, wie ein Pferd zu denken, zu handeln und zu fühlen. Dazu müssen wir uns zunächst den wesentlichen Unterschied, aber auch die Gemeinsamkeiten zwischen Pferden und Menschen bewusst machen:

Pferde sind Fluchttiere: Ihr Gehirn arbeitet instinktgesteuert. Nimmt ein Pferd eine (vermeintliche) Gefahr wahr, ist die erste Reaktion die Flucht. Darauf ist der gesamte Körper des Tieres ausgerichtet: die seitlich am Kopf liegenden Augen, die ein möglichst breites Sichtfeld ermöglichen; die Ohren, die in alle Richtungen und separat voneinander bewegt werden können und Dinge vernehmen, lange bevor Menschen sie hören können; der außerordentlich feine Geruchssinn, der ihnen nicht zuletzt verrät, dass wir Menschen Fleischfresser sind; die Muskulatur sowie die langen, schlanken Beine, mit denen die Tiere sozusagen von null auf hundert durchstarten und sich so einer Gefahrensituation entziehen können.

Menschen sind Raubtiere: In einer Gefahrensituation sagt unser Instinkt: Kampf. Unsere Augen liegen vorne am Kopf, wir haben eine gute Tiefenwahrnehmung und können sehr gut fokussieren, müssen gleichzeitig aber Abstriche in puncto Flächenüberblick machen. Unsere Ohren liegen flach an, sind kaum beweglich und unterstützen eher die Fokussierung unserer Augen. Für das Pferd ist die Botschaft, die unser Körperbau und Geruch aussenden, klar: Vorsicht, Raubtier!

Pferd und Mensch sind Säugetiere: Und hier sind wir bei der wesentlichen Gemeinsamkeit, die Pferde und Menschen verbindet: Beide verfügen über eine angeborene Körpersprache, die im Kern aus drei Elementen besteht:

 Streicheln: Die Mutterstute, die ihr Neugeborenes ableckt – und eine freundliche Berührung zwischen Menschen.

 Schubsen: Der physische Druck, mit dem die Stute ihr Fohlen mit der Nase schubst – und die Mutter ihr Kind an die Hand nimmt, um es zu leiten.

 Vertreiben: Der mentale, rhythmische Druck der Mutterstute, die mit angelegten Ohren und drohend schwingendem Schweif ihr Fohlen bewegt – oder die Mutter, die mit fuchtelnden Armen ihr Kind zurechtweist.

Haben wir die wesentlichen Unterschiede und die wesentlichen Gemeinsamkeiten verinnerlicht, und berücksichtigen wir diese in unserer Arbeit mit dem Pferd, ist die Basis dafür geschaffen, mit unserem Pferd so zu kommunizieren, dass es uns versteht und akzeptiert.

Im Natural Horsemanship geht es aber nicht nur darum, ein Pferd unter Pferden zu werden, sondern auch darum, die höhere Position in der Rangordnung einzunehmen. Nicht zuletzt aufgrund unseres – im Verhältnis recht schmächtigen –Körperbaus ist dies für die eigene Sicherheit zwingend notwendig. Es muss also geklärt werden: Wer führt und wer fühlt? Wer den anderen bewegt, ist der Chef. An den beiden Säulen »Vertrauen und Respekt« wird zunächst am Boden gearbeitet. Denn es gilt: Den Respekt deines Pferdes bekommst du auf dem Boden oder gar nicht! Und das bedeutet schlichtweg: Arbeite mit deinem Pferd auf Augenhöhe. Dabei kann man mit Knotenhalfter und Seil beginnen oder mit der Freiheitsarbeit im Roundpen.


Buck Brannaman (geb. 1962), Schüler von Ray Hunt, ist einer der führenden Pferdeflüsterer weltweit.

Der Pferdeversteher

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