Читать книгу Der Augenschneider / Das Liliengrab: Zwei Romane in einem Band - Valentina Berger - Страница 9

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Dem besten Ehemann der Welt

und meinen zwei wunderbaren Kindern

Prolog

Luisa starrte gebannt auf die Spinne an der Zimmerdecke. Früher hatte sie sich vor diesen Tieren geekelt. Doch diese war ihr eine willkommene Gesellschafterin, eine stumme Freundin, die einzige Gefährtin in diesem fensterlosen Raum.

Luisa hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Wie lange brauchte eine Spinne, um ihr Netz zu weben?

Beharrlich saß die Spinne da und wartete auf Beute. Voller Zuversicht hockte sie in ihrem Netz.

Luisa hatte sich geschworen, ebenso lange durchzuhalten, wie das Tier.

Er musste ihr irgendetwas verabreicht haben. Sie hatte sich anfangs kaum bewegen können. Alles, was nach der Modenschau passiert war, lag am Rande ihres Bewusstseins. Zu weit entfernt, um es zu fassen.

Sie betrachtete ihre wunden Knöchel. Sie hatte sich die Fäuste an der Stahltür blutig geschlagen, geschrien, bis sie heiser war, und geweint, bis ihre Augen so geschwollen waren, dass sie kaum noch etwas sehen konnte.

Luisa blickte erneut zu der Spinne hinauf. Sie konnte nicht untätig herumsitzen und warten. Sie musste etwas tun. Vielleicht hatte er etwas übersehen, eine Ritze, einen Spalt, irgendetwas, das sie für sich nutzen konnte, und sei es nur, um in Bewegung zu bleiben, um sich zu beweisen, dass sie noch lebte, atmete, dachte.

Ihre Augen wanderten über die kahlen Wände zu dem schmalen Bett. Sie hob die Matratze an. Das war gar nicht einfach. Sie wog viel schwerer, als die in ihrer Wohnung. Außerdem war sie alt, fleckig und so durchgelegen, dass sie nicht stehen blieb, als Luisa sie an die Wand lehnte. Nach zwei Versuchen ließ sie das verdammte Ding einfach auf dem Boden liegen.

Ihre Hilflosigkeit brachte sie erneut zum Weinen. Sie setzte sich auf das Bettgestell, die Arme fest um ihre Knie geschlungen und wippte leise summend vor und zurück.

Als ihr Schluchzen verebbt war, straffte sie die Schultern und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen und den Rotz aus dem Gesicht. Entschlossen bückte sie sich, um die schwere Matratze wieder auf den Bettrahmen zu hieven. Da fiel ihr auf, dass an einer Ecke die Naht aufgegangen war. Sie schob Zeige- und Mittelfinger in das Loch. Die Füllung war aus Rosshaar. Das erklärte auch das immense Gewicht. Wurden solche Matratzen heutzutage überhaupt noch hergestellt?

Auf einmal ertasteten ihre Finger etwas Metallisches. Sie klemmte das Ding zwischen ihre Finger und zog vorsichtig daran. Diese Aufgabe verlangte all ihr Feingefühl. Das Rosshaar schien sich um den Gegenstand gewickelt zu haben, wollte es nicht ohne Weiteres freigeben.

Endlich hielt sie ihn in der Hand. Es war ein goldenes Kettchen mit einem kleinen runden Schutzengelanhänger.

Ihre Hände zitterten, als Luisa ihren Fund genauer betrachtete. Das Beben erfasste ihren ganzen Leib und sie ließ sich kraftlos die Wand hinabgleiten.

Wahrscheinlich gab es von diesen Anhängern Zigtausende. Es war einer, wie ihn Kinder zur Taufe oder zum Geburtstag geschenkt bekamen. Aber auf diesem war auf der Rückseite der Name Vivian eingraviert.

In diesem Moment begann Luisa zu dämmern, dass er es nicht auf Lösegeld abgesehen hatte. Sie wünschte, sie hätte diese Kette nie gefunden. Ihr Blick flog durch ihr Gefängnis, auf der Suche nach einem geeigneten Versteck für das Schmuckstück. Aber es gab keins. Sie stellte sich vor, wie Vivian gesucht haben musste. Und ihren Triumph, als sie den Platz in der Matratzenfüllung ersonnen hatte. Ein Akt der Rebellion gegen ihren Widersacher, eine kleine Genugtuung, aber auch gleichzeitig ein Zeichen, dass sie keine Hoffnung gehabt hatte, jemals freizukommen.

Luisa kannte die Fotos von Vivis Leichnam aus der Zeitung, wusste, wie er zugerichtet gewesen war. Und sie wusste, dass sie die Nächste sein würde.

Sie stopfte die Kette in die schäbige Matratze zurück und schloss die Augen. Sie zwang sich, ruhig zu atmen. Auch sie musste sich mit dem Unvermeidlichen abfinden, so wie Vivian vor ihr.

Er stieg die steile Treppe zum Keller hinunter und schloss die Stahltür auf.

In dem Raum saß Luisa auf dem Bett und hatte die Arme eng um die angezogenen Beine geschlungen. Mit riesigen Augen starrte sie ihn an und begann zu schreien, als er die Tür hinter sich schloss.

Leise sagte er: „Scht! Es wird alles gut.“

Sie rückte näher an die Wand, als böte sie ihr Schutz. „Nein! Rühr mich nicht an!“, kreischte sie. Er hasste es, wenn sie hysterisch wurden. Dabei hatte er sein Messer hinter dem Rücken versteckt, um sie nicht zu beunruhigen.

„In der Bibel steht geschrieben: Teile mit deinem Nächsten. Sieh es so: Ich verhelfe dir zu einem besseren Leben. Deine gute Tat bringt dich geradewegs ins Paradies.“

So hatte er sich noch nie betrachtet. Er als Seelenretter. Das gefiel ihm.

„Was willst du? Sex? Geld? Kannst du alles haben, nur lass mich gehen“, bettelte sie. Er verstand sie kaum, weil ihre Worte von Schluchzern zerrissen wurden, trotzdem erschloss sich ihm der Sinn dessen, was sie sagte. Wie vermessen von ihr zu denken, er wäre hinter Geld oder Liebe her. Aber es war ein nettes Spiel. Warum sollte er ein Spielverderber sein?

„Gut! Zieh dich aus.“

Sie starrte ihn an, als könne sie es nicht glauben, dass er auf ihren Vorschlag einging. Als sie die Hoffnung zuließ, sie würde womöglich tatsächlich lebend hier herauskommen, hakte sie mit fliehenden Fingern die zierlichen Verschlüsse ihres Kleides auf und ließ es zu Boden fallen. Wäre es nicht so absurd gewesen, hätte er sich einreden können, sie sei eine ungeduldige Geliebte, die es vor Lust nicht erwarten konnte. Auffordernd nickte er ihr zu.

Luisa war so begierig, sich seinen Wünschen zu fügen, dass sie hastig den Verschluss ihres BHs löste und danach sogar unaufgefordert aus dem Slip schlüpfte. Ihre Unterwürfigkeit, ihr Anbiedern und vor allem ihre Einschätzung seiner Person, nur an Sex oder Geld interessiert zu sein, waren ihm unerträglich. Er unterdrückte den aufkeimenden Groll. Betont ruhig, als spräche er mit einem Kind, sagte er: „Ich will das alles nicht. Schon gar nicht das, was du mir so freizügig anbietest. Ich brauche nur deine Augen.“ Er trat einen Schritt näher und lächelte über ihren Versuch, den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern. Dummes, dummes Mädchen!

Er holte seine neueste Errungenschaft hinter dem Rücken hervor. Ein besonderes Messer, erst einmal verwendet, ein Liebhaberstück. Zärtlich drehte er es in der Hand, berührte sacht die Klingenspitze.

Luisa schien das Messer nicht zu gefallen. Sie begann, schrille Schreie auszustoßen. Sie taten ihm in den Ohren weh. „Hör auf damit“, aber sie schrie weiter. „Hör auf“, brüllte er. Für einen kurzen Augenblick zeigte sein Befehl Wirkung. Doch als er weiter auf sie zuging, begann sie erneut zu kreischen. Verfluchtes Weibsstück! Wie gut, dass kein Laut nach außen dringen konnte. Niemand würde sie hören, genauso wenig wie irgendwer Vivian gehört hatte. Mit einem letzten Schritt war er bei ihr und zog sie mit einem Ruck zu sich heran. Mit dem Messer ganz nah an ihrem Gesicht wurde sie schlagartig still. Welch eine Wohltat für sein gepeinigtes Gehör. Er brauchte keine Kraft anzuwenden, um sie auf den Boden zu zwingen. Sie folgte jeder Bewegung der Klinge.

Sie lag. Er saß auf ihrem Becken, nun doch fast wie ein Liebhaber. Aber anstatt ihren nackten Körper mit seinen Händen zu liebkosen, fuhr er mit dem Messer über ihren Leib. Sie bäumte sich auf und hätte wieder geschrien, wenn er ihr den Mund nicht zugehalten hätte. Ihre Augen waren riesig. Ausdrucksstark. So, wie er sie haben wollte. Rinnsale ihres Blutes bildeten einen schönen Kontrast zu der weißen Haut. Er schnitt noch einmal. Ein bisschen tiefer. Sie versuchte sich unter ihm hervorzuwinden. Warf sich hin und her. Erstaunlich, welche Kräfte sie trotz der Drogen, die er ihr eingeflößt hatte, entwickelte. Ein unachtsamer Moment und nun war er es, der aufschrie.

Weniger aus Schmerz, eher aus Überraschung. Das Biest hatte ihn gebissen! Reflexartig riss er seine Hand von ihrem Mund, und sie nutzte die Gelegenheit, um lauthals loszuheulen. Er holte aus und ließ seine Faust auf ihren Wangenknochen sausen. Da war sie ruhig. Endlich.

Er betrachtete die Bisswunde, die sie ihm zugefügt hatte. Sie tat weh, aber es hätte schlimmer sein können. Na warte! Das wirst du büßen, kleine Schlampe. Normalerweise hob er sich die Augen auf, bis sie bewusstlos waren. Ein kleiner Akt der Gnade. Aber die hier hatte sich das nicht verdient. Er nahm sein Messer fester in die Hand, genoss den Moment, als der Griff mit seiner Hand verschmolz, als wäre er mit ihr zusammengewachsen. Dann senkte er die Klinge und schnitt. Blut troff aus der Wunde und hinterließ eine rote Tränenspur auf Luisas Wange. Sie rührte sich nicht mehr. Er hoffte, sie lebte, denn er war noch nicht fertig mit ihr. Er schälte das zweite Auge heraus, bewunderte das rote Muster auf ihrem Gesicht. Vorsichtig hielt er seine Beutestücke in der freien Hand. Ihr Blut vermischte sich mit seinem. Dort, wo sie ihn gebissen hatte, brannte die Wunde. Das, was er brauchte, hielt er in nun in Händen. Doch der Schmerz erinnerte ihn an ihre Verfehlung. Nein, so einfach würde er sie nicht davonkommen lassen. Er legte ihre Augen zwischen ihre Brüste, rückte weiter nach unten, sodass er nun auf ihren Unterschenkeln saß. Er war bereit, ein neues Kunstwerk zu schaffen. Der Körper unter ihm war die Leinwand, sein Messer der Pinsel, ihr Blut die Farbe.

Als er fertig war, blickte er auf sein Bild hinab. Er war zufrieden.

Schwer atmend kniete er sich neben die Gestalt am Boden, umfasste ihren schlanken Hals und drückte zu.

Der Augenschneider / Das Liliengrab: Zwei Romane in einem Band

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