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Kapitel 5

Auf dem Weg zum Auto rief Wagner seinen Freund an, um ihm Bescheid zu geben, dass er sich verspäten würde.

„Ich bestelle schon mal was zu essen, sonst findest du nur noch mein Skelett vor.“

„Mach das“, sagte Wagner lachend und sperrte seinen Smart auf. Acun setzte sich auf den Beifahrersitz und zog die Tür zu.

„Hast du den Brief mit?“, fiel Wagner ein.

„Du meinst die Abschrift des Briefes, die mir Laura mitgegeben hat? Ja, ich habe den Zettel dabei.“

„Sag, hast du etwas dagegen, wenn ich noch wen mitbringe?“ Ganz spontan war Wagner der Einfall gekommen, Acun zu fragen, ob er ihn begleiten wolle.

„Wenn’s jemand Hübsches ist, gern.“

Wagner betrachtete Acuns Profil hinter der Autoscheibe. „Lass dich überraschen.“

Wagners Idee stieß bei Acun auf eine Mischung aus Verlegenheit und Freude. „Ich komme gerne mit, wenn ich nicht störe.“

„Wenn ich das Gefühl hätte, du würdest stören, hätte ich dich gar nicht erst gefragt. Heinz hat auch nichts dagegen. Mach dich auf die beste Pizza Wiens gefasst.“

„Heinz? Ich dachte … okay.“

Als Wagner Acuns irritierten Blick bemerkte, beeilte er sich zu versichern: „Das ist nur so eine Art Arbeitsessen, weißt du?“

Sein Partner nickte. „Es hätte ja sein können …“

Wagner grinste. „Nein, Heinz ist nicht mein Typ. Und, Acun …“

Der sah ihn fragend an.

„… wir haben ein ungeschriebenes Gesetz“, fuhr Wagner fort. „Der Fall ist tabu.“

„Aber ich dachte, das wäre ein Arbeitsessen.“

„Darauf läuft es hinaus, allerdings warten wir damit, bis wir mit dem Essen fertig sind. Heinz und ich halten das schon immer so, nach dem Motto: Erst das Vergnügen, dann die Arbeit.“ Heinz saß im hinteren Raum, in dem man etwas ungestörter reden konnte. Vor ihm standen ein Glas Rotwein und ein Teller, ein leerer Brotkorb und eine kleine Schüssel mit gerade noch zwei Oliven darin.

„Wie ich sehe, hast du schon geschlemmt“, sagte Wagner anstelle einer Begrüßung.

Heinz fuhr herum. „Mensch, du solltest dir abgewöhnen, mich so zu erschrecken.“ Sein Blick fiel auf Wagners Begleiter und er streckte ihm die Hand entgegen. „Heinz Martin“, stellte er sich vor.

Der junge Mann schüttelte sie. „Acun Demir – und ich weiß natürlich, wer Sie sind.“

Auch Heinz hatte Acun schon einige Male im Präsidium gesehen, mit ihm aber noch nie näher zu tun gehabt. Offenbar war er Wagner aus irgendeinem Grund positiv aufgefallen, sonst hätte er ihn bestimmt nicht mitgebracht – aber bei Gelegenheit musste er mit Wagner unbedingt mal über seine Definition von „hübsch“ sprechen. Auf Acun trafen einige Adjektive zu: schlank, gepflegt, adrett, höflich, sogar attraktiv – wenn man das als Mann über einen anderen Mann überhaupt sagen konnte –, nur die Bezeichnung „hübsch“ passte gar nicht zu ihm.

„Du hättest uns ruhig etwas Brot übrig lassen können“, maulte Wagner und setzte sich Heinz gegenüber, während Acun auf dem Stuhl neben der Wand Platz nahm.

„Immerhin warte ich schon seit eineinhalb Stunden, und irgendwie musste ich die Zeit ja rumbringen“, gab er zurück.

Die Bedienung kam und brachte Speisekarten. Wagner schlug seine gar nicht erst auf. „Eine Provinciale und ein kleines Bier, bitte“, gab er seine Bestellung auf.

Heinz bestellt sich eine Salamipizza, nur Acun blätterte die Speisekarte von vorne bis hinten durch und konnte sich nicht entscheiden.

Schließlich, nach einem weiteren Mal Durchsehen der Karte, orderte er Penne arrabiata, die Spezialität des Hauses, und eine Flasche Mineralwasser.

„Trinken Sie wegen Ihres Glaubens keinen Alkohol?“, fragte Heinz Acun, um mit irgendeinem unverfänglichen Thema ein Gespräch anzufangen.

„Nein, ich trinke keinen Alkohol, weil er mir nicht schmeckt“, gab Acun zur Antwort.

Heinz grinste. Okay, das hatte er verdient. Er hatte aufgrund Acuns Aussehen vermutet, er wäre Moslem, und wo er schon dabei war, gleich weiter angenommen, dass das als Grund ausreichte, um auf Alkohol zu verzichten.

Acun schien ihm seine Frage nicht krumm zu nehmen, denn von sich aus erzählte er, sein Vater, ein Österreicher, habe seine Mutter, eine Türkin, geheiratet, nachdem sie sich beim Studium kennen- und lieben gelernt hatten. Religion hatte in seiner Familie nie einen besonderen Stellenwert gehabt. Die türkischen Großeltern waren zuerst skeptisch dem österreichischen Schwiegersohn gegenüber gewesen, und um diese Bedenken etwas zu zerstreuen, habe sein Vater bei der Heirat den türkischen Namen seiner Frau angenommen.

Dann wurde das Essen gebracht, und obwohl Heinz bereits Knoblauchbrot mit Oliven, Mozzarella und Tomaten als Vorspeise gehabt hatte, machte er sich heißhungrig über seine Pizza her. Auch Wagner und Acun widmeten sich mit großem Appetit ihren Speisen, sodass für eine Weile jedes Gespräch überflüssig wurde.

Erst nachdem die leeren Teller abserviert worden waren, nahm Heinz Lauras Zettel mit der Nachricht aus seiner Brusttasche, faltete ihn auseinander, legte ihn in die Mitte auf den Tisch und strich ihn glatt. Seit Laura ihm dieses Stück Papier überreicht hatte, dachte er kaum an etwas anderes. Für ihn sah die Nachricht nach einer willkürlichen Anordnung von Buchstaben und Zahlen aus. Ihm war klar, dass es sich um eine verschlüsselte Botschaft handeln musste.

„Darf ich?“, fragte Acun und deutete auf den Zettel. Mittlerweile hatte Heinz dem jungen Beamten, der außerordentlich kompetent wirkte, ebenfalls das „Du“ angeboten.

Heinz nickte. „Bitte, sieh es dir ruhig an. Vielleicht hast du eine Ahnung, was für ein verdammter Code dahinter steckt.“

Gespannt beobachtete Heinz Acuns Miene, während dieser den Zettel studierte. Vielleicht war es in Wirklichkeit ganz einfach und er hatte bloß zu kompliziert gedacht. Ein paar Minuten verstrichen, ohne dass einer von ihnen etwas sagte. Schließlich gab Acun Heinz das Papier wieder zurück. „Tut mir leid, aber mit solchen Dingen kenne ich mich auch nicht aus. Gibt es denn keine Verschlüsselungsexperten im Dezernat?“

Heinz hob die Schultern und sah Wagner fragend an. Der kratzte sich am Kopf und überlegte eine Weile. Schließlich richtete er den Blick auf Heinz. „Kannst du dich noch an diese hübsche Leiche erinnern, die Edelprostituierte, die mit Zwillingen schwanger gewesen war?“

Heinz hatte schon viel zu viele Leichen gesehen, um sich an jede einzelne erinnern zu können. Doch diese hatte er im Gedächtnis behalten. Sie hatte selbst tot noch wie ein Model ausgesehen. „Ja, warum?“

„Da hat uns eine junge Kollegin geholfen, wie hieß sie noch mal? Du hast dich mit ihr ziemlich gut verstanden.“

„Claudia Sprenger“, sagte Heinz sofort. Ja, an Claudia konnte er sich ebenfalls erinnern. Sie waren ein paar Mal aus gewesen, hatten aber gemeinsam beschlossen, dass der berühmte Funke wohl nicht übergesprungen war. Nur kurze Zeit später hatte sie dann tatsächlich ihren jetzigen Ehemann kennengelernt, danach war der Kontakt ganz abgebrochen.

„Genau, die meine ich. Soweit ich weiß, hatte sie ein Händchen für solche Rätsel.“

Stimmt! Daran hatte Heinz gar nicht mehr gedacht. Claudia hatte es innerhalb kürzester Zeit geschafft, verschlüsselte Namen in einem Notizbuch des Opfers zu decodieren, und mit diesem Wissen hatten sie den Mörder der jungen Frau gefunden.

„Arbeitet sie denn noch bei euch?“, fragte Heinz.

Wagner schüttelte den Kopf. „Leider nein, sie ist in Elternzeit. Aber vielleicht hast du Lust, sie mal anzurufen, um zu sehen, wie es ihr geht.“

Heinz schüttelte den Kopf. „Ich will sie nicht stören. Sie hat bestimmt keine Zeit, wo sie sich doch um ihr Kind kümmern muss.“

„Heinz, ruf sie einfach an. Kinder schlafen manchmal, hab ich mir sagen lassen. Und wahrscheinlich ist Claudia sogar froh, wenn sie mal was anderes zu tun hat als Milchfläschchen zu geben oder Windeln zu wechseln. Und falls sie wirklich total ausgelastet ist oder keine Lust hat, sagt sie einfach Nein und du hast es wenigstens versucht.“

Immer noch hatte Heinz Zweifel. „Und wenn die Telefonnummer nicht mehr stimmt?“

Wagner seufzte laut und tief. „Heinz, ehrlich. Manchmal könnte ich dich schütteln. Du benimmst dich wie ein Hornochse. Ich muss genau einen Anruf tätigen, um ihre Nummer herauszufinden. Also?“

„Okay“, gab sich Heinz geschlagen. „Ich ruf sie an. Aber erst morgen.“

Der Menschennäher

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