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Kapitel 6

Ewa Jalowy hatte ihren Urlaub in Polen verbracht. Wie immer war eine Woche zu wenig gewesen, um ihre Eltern und die restliche Verwandtschaft zufriedenzustellen. Sie hingegen war froh, dass sie wieder ins Auto steigen und nach Wien zurückkehren konnte. Ihre Kinder hatten die ganze Zeit über genörgelt und an allem etwas auszusetzen gefunden. Ihr Mann hatte dem ständig und überall angebotenen selbst gebrannten Schnaps reichlich, und mehr als ihm gut tat, zugesprochen, sodass Ewa sich nicht nur für ihn geschämt, sondern auch all die Tage versucht hatte, die Wogen zu glätten. Erholt fühlte sie sich bei Gott nicht. Und sie dachte, dass sie das nächste Mal eine gute Entschuldigung brauchte, um einfach daheim bleiben zu können, auch auf die Gefahr hin, dass sich dann ihre Verwandten vor den Kopf gestoßen fühlen und tödlich beleidigt sein würden.

Seufzend kramte sie nach dem Wohnungsschlüssel. Bei Herrn Kritzberger gab es meistens nicht viel zu tun, aber immerhin war sie eine Woche weg gewesen. Sie kam immer montags und donnerstags zum Putzen. Adrian Kritzberger lebte allein und war ein ordnungsliebender Mensch. Er war sich nicht zu schade, selbst zum Staubsauger zu greifen.

Der Schlüsselbund fiel Ewa aus der Hand. Mit einem leisen Fluch bückte sie sich und hob ihn auf. Sie schob den Wohnungsschlüssel ins Schloss und drehte ihn um. Gerade als sie die Tür aufschieben wollte, lugte die Nachbarin heraus.

„Guten Morgen, Ewa.“

„Guten Morgen, Frau Rothmann“, antwortete Ewa.„Und? Haben Sie einen schönen Urlaub gehabt? – Sagen Sie mal, finden Sie nicht, dass aus der Wohnung ein … eigenartiger Geruch kommt? Weiß der Geier, was Herr Kritzberger gemacht hat, vielleicht musste er wieder mal überraschend weg und hat was liegen gelassen. Das heißt, letzten Freitag war er noch da, da habe ich ihn gehört. Einen Lärm hat er gemacht, als ob er die Möbel verschoben hätte. Ich sagen Ihnen …“

Wenn Frau Rothmann erst mal in Fahrt geriet, würde Ewa die nächste halbe Stunde vor der Tür verbringen, um sich den neuesten Tratsch anzuhören. Dazu hatte sie weder Lust noch Zeit, deshalb unterbrach sie den Redeschwall. „Frau Rothmann, tut mir leid, aber ich muss wirklich anfangen, sonst werde ich nicht fertig.“

„Ja, ja. Natürlich. Aber richten Sie ihm aus, das nächste Mal soll er mich vorwarnen, wenn er vorhat, die Wohnung auf den Kopf zu stellen.“

„Ich sag’s ihm. Auf Wiedersehen!“

Ewa schob die Tür auf und flüchtete hinein. Sie atmete erleichtert auf. Gott sei Dank! Diesmal war sie noch glimpflich aus Frau Rothmanns Fängen entkommen.

Das Erste, was Ewa auffiel, war der Geruch. Frau Rothmann hatte recht, er war unangenehm.

Sie würde alle Fenster aufreißen, um frische Luft hereinzulassen. So oft hatte sie ihrem Arbeitgeber schon gesagt, er müsse zwischendurch öfter lüften. Wahrscheinlich hatte er es wieder mal vergessen.

Sie hängte ihren Mantel in der Garderobe auf den Haken, nahm ihren Kittel aus ihrer Tasche heraus und zog ihn über.

„Herr Kritzberger? Ich bin’s, Ewa.“

Keine Antwort. Vielleicht war er tatsächlich unterwegs. Dann würde er ihr Geld auf der Kaffeemaschine deponiert haben, wie immer. Er war ihr noch nie ihren Lohn schuldig geblieben, da war er sehr gewissenhaft. Ein Blick in die Küche genügte Ewa, um zweierlei zu bemerken: Erstens lag kein Geld auf dem Kaffeevollautomaten. Und zweitens, es musste irgendetwas passiert sein. Geschirr stand auf der Arbeitsfläche, der Geschirrspüler war geöffnet, und wie Ewa sah, auch voll, ohne eingeschaltet worden zu sein. Kein Wunder, dass es hier so unangenehm roch. Sie holte einen Tab aus dem Schrank, gab ihn in die vorgesehene Öffnung und schaltete die Spülmaschine ein. Mit einem Gurgeln begann die Maschine den Waschgang.

Ewa stellte die Töpfe in die Spüle und ließ heißes Wasser hineinlaufen, damit sie weichen konnten. So eingetrocknet würden sie nicht mal im Geschirrspüler sauber werden. Sie schüttelte den Kopf. Kritzberger war doch sonst nicht so unordentlich.

Mein Gott, vielleicht war er krank! Ja, eine andere Erklärung gab es dafür nicht. Sie würde nach ihm sehen. Womöglich lag er mit Fieber im Bett. Sie könnte ihm Tee kochen oder was zu essen machen. Suppe. Suppe war immer gut. Sie hatte da ein Rezept von ihrer Mutter. Dafür würde sie allerdings einkaufen müssen. Kritzberger hatte bestimmt nicht alle Zutaten im Haus.

„Herr Kritzberger, sind Sie da?“, versuchte Ewa es noch einmal, als sie von der Küche ins Wohnzimmer ging.

Im Vorbeigehen öffnete sie die Fensterflügel, bis sie einrasteten. Einen kurzen Moment ließ sich Ewa vom Ausblick ablenken. Am Horizont konnte sie den Sendeturm am Kahlenberg erkennen. Sie dachte an die triste Häuserfront, auf die sie von ihrer Wohnung aus sah. Der 10. Wiener Gemeindebezirk war nun mal keine Nobelgegend, zumindest nicht der Teil, wo Ewa wohnte. Klar, es gab auch dort Grün. Viel Grün. Allerdings musste man dafür bis zum Stadtrand nach Oberlaa fahren.

Tja, das war der Lauf der Dinge. Sie würde sich wohl nie solch eine Unterkunft leisten können, genauso wenig, wie sie jemals etwas anderes machen würde, als für andere Leute zu putzen.

Ewa drehte sich vom Fenster weg, und erst jetzt fiel ihr auf, dass auch das Wohnzimmer für Kritzbergers Verhältnisse untypisch durcheinander war. Die Decke, die sonst zusammengelegt auf der Couch lag, war zusammengeknüllt am Boden zurückgelassen worden, daneben zwei Kissen, die dort nicht hingehörten.

Ewa hob auf ihrem Weg zum Schlafzimmer alles auf und warf es auf die Sitzbank. Dann ging sie die paar Schritte bis zur geschlossenen Schlafzimmertür und klopfte an.

Nichts rührte sich. „Herr Kritzberger?“ Sollte sie noch einmal klopfen? Vielleicht schlief er. Wecken wollte sie ihn nicht. Schon gar nicht, wenn er wirklich krank war.

Leise öffnete sie die Tür einen Spalt breit. Der Gestank war kaum auszuhalten, Ewa hielt sich die Hand vor den Mund. „Herr Kritzberger, ich bin’s. Geht es Ihnen gut?“, flüsterte sie und drückte die Tür weiter auf. Herr Kritzberger lag in seinem Bett. Überall war Blut. Das Kissen, die Zudecke, alles vollgespritzt. Es brauchte drei Sekunden, bis Ewa reagierte, dann begann sie zu schreien.

Sie schrie, als sie rückwärts aus dem Raum taumelte, sie schrie noch, als sie aus der Wohnung auf den Gang flüchtete und bei Frau Rothmann Sturm läutete. Als die Nachbarin endlich öffnete, brachte Ewa zuerst kein Wort heraus. Erst als Frau Rothmann sie beruhigend an den Armen tätschelte, stammelte sie stockend: „Wir müssen die Polizei … Herr Kritzberger … er ist tot.“

Der Menschennäher

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