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Kapitel 9

Endlich! Er hatte schon befürchtet, Kritzbergers Tod würde sang- und klanglos untergehen, dabei hätte er bloß mehr Vertrauen in die aasfressenden Presse- und Fernsehfritzen haben müssen. Er lachte über das Paradoxon seiner Gedanken. Als ob Presse und Vertrauen je zusammenpassen könnten!

Offenbar war Kritzbergers Putzfrau in Urlaub gewesen, wie er den Berichten entnehmen konnte. Das hatte er natürlich nicht einkalkuliert. Dadurch war sein Plan durcheinander geraten. Stefan fühlte, wie das Feuer in seinen Adern pochte und nur darauf wartete, herausgelassen zu werden. Es wurde immer schwieriger, die Kontrolle zu bewahren. Noch nicht, sagte er sich mehrmals vor, es ist zu früh. Die Flammen seiner Wut wollte er sich für Oliver Zurner aufheben, der es verdiente, für immer in der Hölle geröstet zu werden.

Um sich abzulenken, betrachtete er den Zeitungsbericht, den er gerade aufgeschlagen hatte, und sah sich das Foto an, auf dem Kritzbergers Leiche in einem verschlossenen Metallsarg abtransportiert wurde. Im Hintergrund standen zwei Männer, der eine groß und blond, mit markanten Gesichtszügen. Er sah ein wenig mitgenommen aus, aber das konnte natürlich täuschen. Zeitungsfotos waren nie besonders schmeichelhaft. Doch wesentlich interessanter fand er den anderen mit der Brille, der sich mit dem Blonden unterhielt und nur im Profil zu sehen war. Stefan hätte ihn dennoch überall erkannt. In all den Wirren, dem Schmerz, der Wut, der Fassungslosigkeit, die Daniela und er nach Fabians Ermordung – und nichts anderes war es für ihn, auch wenn die Presse von einem tragischen Unfall gesprochen hatte – erleben mussten, hatte der dunkelhaarige, schlaksige Mann auf dem Foto dafür gesorgt, dass der Schuldige, der Fabian auf dem Gewissen hatte, nicht einfach davonkam. Sein Gutachten gab vor Gericht den Ausschlag dafür, dass Fabians Mörder verurteilt wurde. Stefan hatte gedacht, mit dem Schuldspruch wäre der Gerechtigkeit Genüge getan und Daniela würde endlich zur Ruhe kommen, trauern können, irgendwann über Fabian hinwegkommen und gemeinsam mit ihm wieder in die Zukunft sehen. Doch die Strafe war eine Farce. Wie konnten drei Jahre Gefängnis je den Tod eines Kindes abgelten? Danielas Tränen waren nach dem Urteil nicht versiegt. Lukas Mehred, dem Kerl, der ihr Leben – und damit auch seins – zerstört hatte, schadete die ganze Show nicht, im Gegenteil, seine Songs verkauften sich dadurch besser, die Zeitungen schrieben noch längere Artikel über den Rapper, die Fernsehsender rissen sich um Interviews, während Fabian am Anfang beiläufig in Nebensätzen erwähnt wurde, später nicht einmal mehr das. Irgendwann vergaß man auf ihn ganz. Für Daniela war es, als würde ihr Sohn ein zweites Mal sterben, diesmal getötet von der Ignoranz der Medien. Daran war sie vollends zerbrochen. Stefan riss die Seite mit dem Artikel und dem Foto aus der Zeitung und legte sie in die Lade zu den anderen Berichten, die er über die letzten Monate gesammelt hatte.

Er verstaute seine Unterlagen in dem Geheimfach, füllte den frisch aufgebrühten Kaffee in eine Thermoskanne und belegte zwei Brotscheiben mit Wurst und Käse. Selbst diese simplen Tätigkeiten erinnerten ihn an Daniela, denn es war ihre Aufgabe gewesen, sein Abendessen vorzubereiten. Seufzend packte er die Brote in eine Serviette und legte sie in eine Plastikdose. Früher hatte er die Nachtschichten gehasst, weil er seine Frau nachts nicht alleine lassen wollte. Wann immer es ging, hatte er mit einem seiner Kollegen getauscht. Aber nun war er froh darüber, weil ihm so tagsüber Zeit für seine anderen Tätigkeiten blieb. Außerdem bot die Nachtschicht einen weiteren entscheidenden Vorteil: Meist gab es wenig zu tun und er konnte sich in aller Ruhe seinen Vorbereitungen widmen, an seinen Plänen tüfteln, an ihnen feilen, sie gedanklich durchspielen. Heute Nacht würde er sich mit zwei Personen beschäftigen. Mit seinem nächsten Ziel, Oliver Zurner. Und mit Heinz Martin, dem einzigen Menschen, von dem er das Gefühl hatte, dass er ihn verstand.

Helmut Wagner rieb sich über die schmerzenden Augen. Er hatte wieder einmal viel zu lange vor dem Computer gesessen. Vielleicht sollte er sich auch einfach mal die Zeit für einen schon lange fälligen Kontrolltermin beim Augenarzt nehmen. Er hatte sich durch Berichte und Artikel geklickt, die Adrian Kritzberger geschrieben hatte. Einige waren durchaus provokant; Wagner konnte sich sehr gut vorstellen, dass der Reporter sich damit keine Freunde gemacht hatte.

Er konnte natürlich nicht jeden einzelnen Bericht auf dessen Wahrheitsgehalt überprüfen, doch es schien ihm, als hätte Kritzberger gewusst, was er tat, im Gegensatz zu vielen seiner anderen Kollegen.

Recherche stand nun nicht unbedingt bei jedem Journalisten ganz oben auf der Beliebtheitsskala der anstehenden Arbeiten. Wagner wusste aus eigener leidvoller Erfahrung, dass einige Pressevertreter dazu neigten, das zu schreiben, was sie auf die Titelblätter brachte – je reißerischer, desto besser. Er wollte niemanden beschuldigen, Lügen zu verbreiten – so weit gingen die Reporter nun doch nicht. Aber oft genug hatte er erlebt, dass die Wahrheit so weit gedehnt wurde, wie sie es gerade noch zuließ. Nicht bloß einmal waren seine Aussagen auf Pressekonferenzen aus dem Kontext gerissen oder falsch zitiert worden. Kein Wunder, dass er die Begegnung mit den Medien mied, so oft es ging. Außerdem, räumte Wagner ein, trug Lauras Verhältnis mit eben solch einem Pressetypen auch maßgeblich zu seiner Abneigung bei. Für einen kurzen Moment fragte Wagner sich, ob er diese Fälle nicht abgeben konnte – wegen Befangenheit oder einfach aus persönlichen Gründen. Doch er wusste jetzt schon, dass seine Antipathie Reportern gegenüber als Erklärung nicht ausreichen würde. Abgesehen davon konnte er schon Heinz zuliebe keinen Rückzieher machen. Oft genug hatte der ihm geholfen, beruflich und auch privat. Nun war sein bester Freund offensichtlich mehr in Fabós Tod verstrickt, als er von Berufs wegen sein sollte.

Deshalb würde Wagner seine Aversion zurückstellen, schließlich war er ein Profi.

Wagner streckte sich, seufzte tief und wandte sich erneut dem Computer zu.

Laura stand unter der Brause und seifte sich bereits zum dritten Mal ein. Dennoch blieb das Gefühl, der Verwesungsgeruch aus Kritzbergers Wohnung würde trotz der Schutzkleidung und der Dusche, die sie im Umkleideraum der Dienststelle genommen hatte, an ihr haften. Selbst Kasimir, ihr Kater, war vor ihr zurückgewichen, obwohl er ihr sonst nicht von der Pelle rückte, sobald sie in die Wohnung kam. Er hatte sein Fell gesträubt, sie mit einem verständnislosen, vorwurfsvollen Katzenblick angesehen und sich unter die Couch verzogen.

Mit einer Handbürste schrubbte sie sich die Nägel und die Fingerzwischenräume – ähnlich, wie es Chirurgen vor einer Operation taten – bis die Haut brannte. Lass gut sein, sagte sie sich, mehr kannst du nicht machen.

Sie stellte das Wasser ab, stieg aus der Duschwanne und hüllte sich in den Bademantel, den sie bereit gelegt hatte. Über ihr langes Haar wickelte sie ein Handtuch. Wolfgang würde in einer halben Stunde hier sein und sie sollte sich anziehen, die Haare trocknen, doch sie hatte keine Energie mehr, also blieb sie einfach sitzen. Nun endlich kam auch Kasimir unter dem Sofa hervor und setzte misstrauisch einen Fuß vor den anderen. Sie hielt ihm ihre Hand hin, er schnupperte daran, zuckte nur noch mit einem Ohr und sprang schließlich mit einem Satz auf ihren Schoß.

Erleichtert kraulte sie sein Fell, lehnte sich zurück und schloss die Augen, nur für einen Moment. Doch der anstrengende Tag und die heiße Dusche forderten ihren Tribut; wenige Atemzüge später war Laura eingeschlafen.

„Guten Abend, Dornröschen.“

„Wurde Dornröschen nicht wach geküsst?“, murmelte Laura verschlafen. Wie sie diese Stimme liebte!

Wolfgang lachte leise. „Doch, aber von einem Prinzen. Ich bin nur ein einfacher Herold.“

Laura streckte die Arme aus, legte sie um Wolfgangs Nacken und zog ihn zu sich hinunter. Kasimir sprang auf und maunzte empört. „Und ich bin kein Dornröschen, sondern eine müde Frau, die geküsst werden will.“

Er neckte sie, indem er ihr Küsschen zuerst auf die Nasenspitze und dann auf jeden Mundwinkel gab, ehe er seine Lippen auf ihre legte.

„Dein Haar ist noch ganz feucht“, sagte er schließlich, nachdem er sich von ihr gelöst hatte, er strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Das Handtuch, das sie vorhin um ihren Kopf geschlungen hatte, lag mittlerweile auf dem Boden.

„Mhm.“

„Du wirst krank werden.“

Laura zuckte die Schultern. „Pflegst du mich dann?“

„Natürlich. Mit Tee, Zitrone, Wadenwickeln …“

Laura verzog das Gesicht, seufzte und stemmte sich von der Sitzbank hoch. „Dann doch lieber föhnen.“

„Gut, hast du Hunger? Ich könnte uns in der Zwischenzeit was kochen“, bot Wolfgang an.

„Ich glaube, das schaffst nicht einmal du“, gab Laura zurück und steckte den Föhn an. „Außer Katzenfutter ist nichts da.“

Nicht einmal eine halbe Stunde später saß Laura immer noch im Bademantel, aber mit trockenem Haar am Tisch und aß Hühnerfleisch mit Bambussprossen und Reis. Wolfgang hatte zehn Minuten lang ihre Küchenschränke durchsucht und kapituliert. Er war in ihren Augen ein Meisterkoch, der aus wenigen Zutaten ein ganzes Menü zaubern konnte, doch diesmal hatte er keine Chance. Es fehlte einfach an den grundlegenden Nahrungsmitteln. Also hatte er seine Jacke angezogen und gemeint, er sei gleich wieder da, er würde ihr vom Chinesen die Straße runter was holen. Schließlich könne er nicht riskieren, sie verhungern zu lassen. Aber dafür nahm er ihr das Versprechen ab, gleich am nächsten Tag mit ihm einkaufen zu gehen. Schließlich müsse jeder Haushalt eine Auswahl an haltbaren Lebensmitteln haben und Küchenschränke seien nicht nur zu Dekorationszwecken angebracht, sondern um darin unter anderem Mehl, Zucker und Nudeln aufzubewahren.

Weil Lauras Magen laut knurrte und Wolfgang überdies recht hatte, was die Küchenschränke anging, hatte sie zugestimmt und sich gedacht, dass man wohl lange nach einem Mann suchen musste, der mit seiner Freundin freiwillig einkaufen ging, ja mehr noch, sie sogar dazu drängte. Zumindest ihr war bisher noch keiner untergekommen.

Nachdem sie alles restlos verputzt hatten, lehnte sich Laura zurück und seufzte zufrieden.

„Geht es dir jetzt besser?“, fragte Wolfgang. Er stand auf und begann den Tisch abzuräumen. Laura gab sich einen Ruck und half ihm, obwohl sie am liebsten sitzen geblieben oder gleich ins Bett gegangen wäre. Sie war schon vorher müde gewesen, aber nun, mit vollem Magen, fühlte sie sich träge und faul. Nur ihr schlechtes Gewissen drängte sie dazu, Wolfgang nicht die ganze Arbeit zu überlassen, zumal er schon das Essen geholt hatte.

„Ja, danke. Ich fühl mich rundum wohl. Mit der Betonung auf rund.“

Wolfgang lachte. „Na, davon bist du wohl noch weit entfernt.“

Laura grummelte: „Wenn ich von dir weiterhin so gemästet werde, dauert das aber bestimmt nicht mehr lange.“ Wolfgang nahm sie in den Arm. „Was ist eigentlich los? So brummig bist du doch sonst nicht.“

Laura seufzte. Sie hatte Wolfgang kennengelernt, weil er eine Reportage über forensische Kriminalistik schreiben wollte. Damals hatte sie gerade an einer Reihe von Babymorden gearbeitet und Wolfgang dazu veranlasst, einen Artikel zu veröffentlichen, der schließlich dafür sorgte, dass die Mörderin überführt werden konnte. Wagner war stinksauer gewesen, weil sie gegen seine Anweisung gehandelt hatte, und allein die Tatsache, dass ihre Eigenmächtigkeit die Mordserie beendete, bewahrte sie vor einer Suspendierung. Seither war Laura sehr vorsichtig, obwohl sie Wolfgang vorbehaltlos vertraute. Niemals würde er eine Information, die sie ihm im privaten Gespräch erzählte, verwenden.

Sie blickte ihn ernst an. „Es sind … diese Fälle.“

Er hob fragend die Brauen, drang aber nicht weiter in sie. Laura nahm Wolfgang bei der Hand und führte ihn zu der Couch. Sie setzten sich, er legte den Arm um ihre Schulter und sie kuschelte sich an ihn.

„Wir haben zwei Männer, die brutal ermordet wurden. Der Täter hat beiden die Zunge herausgetrennt und den Mund zugenäht, sie sind an ihrem eigenen Blut erstickt.“

Wolfgang streichelte Lauras Haar und ließ sie reden. Sie drehte sich zu ihm und sah ihn an. „Ich bin ja einiges gewöhnt, aber was mir wirklich zu schaffen macht, ist, dass die Opfer, Adrian Kritzberger und Patrick Fabó, gewissermaßen Kollegen von dir waren.“

„Oh, das sind also deine Fälle.“

Laura nickte und biss sich auf die Lippen. Sollte sie fragen, ob Wolfgang die Opfer gekannt hatte? Die Welt war schließlich klein, Wien regelrecht winzig im Vergleich zu anderen Großstädten. Irgendwie begegnete man sich auf Partys, Events oder zu anderen Gelegenheiten immer wieder. Einen Versuch war es wert, fand Laura. „Wolfgang, findest du es vermessen von mir, zu fragen, ob du eines der Opfer gekannt hast? Ich meine, immerhin …“

Er unterbrach sie: „Nein, die Frage ist berechtigt.“ Er dachte einen Moment lang nach, ehe er antwortete: „Adrian Kritzberger bin ich ein-, zweimal begegnet, aber ich kann mich nicht erinnern, je mit ihm gesprochen zu haben. Er war beinahe eine Legende in der Branche. Fabó hingegen habe ich nie getroffen. Aber trotzdem sprechen sich Namen und Personen herum. Ich habe von ihm gehört.“

„Und was sagt man über ihn?“

„Nichts Gutes. Er ging über Leichen.“ Und als Laura ihn sanft in den Oberarm knuffte, setzte er hinzu: „Entschuldige die Ausdrucksweise, wahrscheinlich findest du sie im Zusammenhang mit Fabó nicht passend. Doch sein Ruf war wirklich nicht der beste.“

„War er denn ein skrupelloser Reporter?“, wollte Laura wissen.

„Nein, ein mieser. So etwas wie Ethos kannte er nicht, das sieht man, wenn man ein paar seiner Artikel liest. Mit seriöser Berichterstattung hat das nichts zu tun. Außerdem war er ein Weiberheld.“

„Ehrlich?“

„Nun, das sind natürlich Gerüchte.“

„Hm, trotzdem bietet uns das immerhin einen Ansatz für die Ermittlungsarbeit.“

„Ich weiß, deshalb erzähle ich dir ja davon.“

Laura schlang die Arme um Wolfgangs Nacken und küsste ihn. „Würdest du dich für mich umhören, was diese Gerüchte betrifft?“, fragte sie ihn.

„Alles, was du willst, mein Herz, wenn du mich noch mal so küsst.“

„Küsse und noch mehr, ganz ohne Gegenleistung“, gab Laura zurück, öffnete ihren Bademantel und ließ ihn von den Schultern gleiten.

Der Menschennäher

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