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ОглавлениеKapitel 4
Wagner war noch nicht einmal in seinem Büro angekommen, als jemand seinen Namen rief. Er blieb stehen und ging zurück; aus einem Zimmer trat Acun Demir. Der junge Beamte war erst vor wenigen Monaten in das Dezernat Leib und Leben, wie die offizielle Bezeichnung statt des salopperen Wortes „Morddezernat“ lautete, versetzt worden.
Er hielt ein paar Ausdrucke in der Hand. „Herr Wagner, ich habe ein wenig über das Mordopfer recherchiert. Vielleicht können Sie damit etwas anfangen.“ Er hielt ihm die Papiere hin. Wagner blickte über Acuns Schulter hinweg in das verlassene Zimmer und dann auf den jungen Kollegen. „Danke, ich sehe es mir gleich an. Wo sind denn die anderen?“
„Reisner und Siegmann befragen die Nachbarn des Opfers, Drucker hat sich krank gemeldet. Hat sich bei seinem Sohn mit Windpocken angesteckt.“ Acun konnte nur mit Mühe ein Schmunzeln unterdrücken.
„Das heißt also, Sie haben derzeit keinen Partner?“
Der jüngere Kollege schüttelte den Kopf. „Eben deshalb dachte ich, ich kann mich anderweitig nützlich machen.“
Wagner brauchte nur einen Augenblick, um eine Entscheidung zu fällen. „Sagen Sie, Acun, haben Sie etwas über Fabós beruflichen Hintergrund in dieser Liste?“ Er hielt die Unterlagen hoch.
„Sicher. Alles, was ich herausfinden konnte.“
„Sehr gut, dann halten Sie sich bereit. Wir fahren zu Fabós Brötchengeber.“
Überrascht zog Acun Demir die Brauen hoch, dann lächelte er. „Mit dem Chef persönlich! Es ist mir eine Ehre.“
„Gut, wir sehen uns in dreißig Minuten. Bis dahin schaue ich mir die Unterlagen durch.“ Wagner nickte Acun zu, ehe er sich umwandte und in Richtung seines Büros ging.
Innerlich musste er über die Bemerkung des jungen Kollegen lächeln. So, es war also eine Ehre, mit ihm, dem Leiter der Mordkommission, zu arbeiten. Kein schlechter Ruf, den er da hatte. Acun war wirklich gründlich gewesen. Patrick Fabó hatte für R-W, eine der auflagenstärksten Tageszeitungen, gearbeitet, die im Gegensatz zu den anderen Gratiszeitungen an allen sieben Wochentagen unentgeltlich angeboten wurde. Sie hatte sich „richtig wichtig“ zum Motto gemacht – daher die Abkürzung, die in grüner Schrift am Deckblatt prangte. Für Wagners Geschmack war die Berichterstattung zu effekthascherisch, aber offensichtlich störte sich die Mehrheit der Österreicher nicht daran.
Acun hatte neben der Adresse und Telefonnummer der Redaktion noch den Namen des Zeitungsinhabers und des Chefredakteurs aufgeschrieben sowie eine Liste der Journalisten aus den anderen Ressorts erstellt. Fabó war laut Acuns Aufzeichnungen für Politik und Wissenschaft zuständig gewesen. Gerade in diesen zwei Bereichen gab es jede Menge Leute, die man sich schnell zu Feinden machen konnte – zu mächtigen Feinden.
Acun hatte sich an seine Seite geheftet. „Nehmen wir keinen Dienstwagen?“
„Nein, ich fahre lieber mit dem eigenen“, gab Wagner zurück und holte den Autoschlüssel aus seiner Jackentasche.
Eine ganze Weile hatte er ohne Auto zurechtkommen müssen, ehe er sich den Smart kaufte. Bei vielen seiner Arbeitskollegen hatte seine Wahl nur mitleidiges Kopfschütteln oder Belustigung hervorgerufen, doch damit konnte er leben. Für ihn war ein Auto kein Prestigeobjekt, es sollte ihn lediglich von einem Ort zum anderen bringen und nicht viel Treibstoff verbrauchen. Am wichtigsten war jedoch, dass er so gut wie immer eine Parklücke fand, in die sonst kein Auto hineingepasst hätte. Ein wenig eng war der Smart allerdings schon, musste er sich eingestehen, als er einstieg.
Acun verzog keine Miene, als er die Beifahrertür öffnete und sich setzte.
Eine Weile sagte keiner von ihnen etwas und Wagner dachte angestrengt über ein geeignetes Gesprächsthema nach. Doch dann war es Acun, der das Schweigen brach. „Ich habe die Tatortfotos gesehen. Sie waren schrecklich.“
Mit einem kurzen Seitenblick auf seinen jungen Kollegen antwortete Wagner: „Manchmal sind die Fotos schlimmer als der richtige Tatort, weil man jedes Detail genau sieht.“
„Verstehe.“
„In diesem Fall allerdings können die Fotos mit der Wirklichkeit nicht ganz mithalten.“
Acun schluckte. „Klingt grauenhaft. Gewöhnt man sich irgendwann daran?“
„Wenn es je so weit kommt, ist es Zeit, den Job zu wechseln.“ Die R-W hatte ihren Sitz in einem dieser hypermodernen Glasbauten, in denen Wagner sich sofort unwohl fühlte, wenn er sie betrat. Jedes Mal fragte er sich, wie viel Geld die Klimaanlage verschlang, die Reinigung der Fensterfronten kostete oder wie hoch die Heizkosten im Winter waren. – Abgesehen davon fand er sie einfach hässlich. Die Zeitungsräume lagen in der dritten und vierten Etage, außerdem hatten sich in den anderen Stockwerken eine Bank, eine große Immobilienfirma, mehrere Wirtschaftstreuhänder, eine Anwaltskanzlei und sogar ein Verlag, dessen Name Wagner nichts sagte, hier eingemietet.
Der Aufzug brachte sie hinauf. Die Vorzimmerdame, eine ziemlich aufgetakelte Frau Anfang fünfzig mit roten Kringellöckchen, blickte auf. „Willkommen bei R-W Print, was kann ich für Sie tun?“ Ihr Begrüßungstext wirkte wie auswendig gelernt.
„Helmut Wagner, Kriminalpolizei, Mordkommission“, stellte er sich vor. „Und das hier ist mein Partner, Acun Demir.“ Mit einer Kopfbewegung deutete er auf Acun, der neben ihm stand.
Schlagartig war die Langeweile von der Empfangsdame gewichen. „Oh!“, brachte sie schließlich hervor.
„Wir würden gerne mit Patrick Fabós Kollegen und Vorgesetzten sprechen.“
Die Dame sah von ihm zu Acun und wieder zurück. „Mordkommission? Oh!“
Wagner hörte Acun neben sich schnaufen. Die Frau schien seinem Partner ebenso auf die Nerven zu gehen wie ihm.
„Ja, also … Können Sie sich denn ausweisen?“, fragte die Empfangsdame. Wahrscheinlich war ihr gerade eine Dialogszene aus dem letzten Fernsehkrimi eingefallen.
„Natürlich. Wagner zückte seinen Dienstausweis und hielt ihn ihr hin, steckte die Geldbörse aber schnell weg, als sie die Hand nach ihr ausstreckte.
„Können wir jetzt … bitte … mit Fabós Kollegen sprechen?“ Wagner betonte absichtlich das „Bitte“.
„Was ist mit Patrick …? Ich meine … ist er …?“ Die Frau wirkte eher sensationslüstern als erschüttert, doch das wunderte Wagner nicht, schließlich arbeitete sie für eine Zeitung – und dann noch für diese!
„Fabó ist ermordet worden. Und zwar ziemlich brutal“, informierte er sie deshalb schonungslos. Sie machte den Mund auf, schnappte nach Luft und schloss ihre Lippen wieder, ohne ein Wort herausgebracht zu haben.
Als sie aufstand und ihnen bedeutete, ihr zu folgen, bemerkte er Acuns zustimmenden Blick. Auch wenn er, zugegeben, die Nachricht von Fabós Tod nicht sehr sensibel überbracht hatte: Die kleine Genugtuung, die er angesichts der Sprachlosigkeit der Frau, die vor ihnen herstöckelte, empfand, konnte ihm keiner nehmen. „Was sagen Sie? Fabó ist ermordet worden?“ Hermann Bolinsky, der Chefredakteur, blinzelte nervös. „Das ist … also, ich bin … erschüttert.“
„Hat ihn denn keiner vermisst, als er nicht zur Arbeit erschienen ist?“, fragte Wagner.
Bolinsky schüttelte den Kopf. „Er hatte die Woche Urlaub.“ Er griff sich mit einer Hand an den Hals. „Wie furchtbar, einen der besten Mitarbeiter auf eine solche Art zu verlieren.“
„Herr Bolinsky, wie kam Fabó mit seinen Kollegen und Kolleginnen klar? Hatte er Feinde?“ Diese Frage hatte Wagner natürlich schon Fabós Freundin gestellt, die einräumen musste, dass Fabó ein eher schwieriger Mensch gewesen war und sein Job ihn auch nicht gerade beliebter gemacht hatte.
„Also, ich hatte keine Probleme mit Patrick.“ Wieder ein Zwinkern. Der Chefredakteur strich sich mit einer schnellen Handbewegung über die Nase und runzelte die Stirn.
„Das heißt, andere schon.“ Wagner beugte sich in seinem Stuhl ein wenig vor und taxierte sein Gegenüber. Bolinsky hielt seinem Blick nicht stand.
„Nun, ich glaube, es gab gewisse Rivalitäten. Und Patrick … nun ja, sagen wir mal so … Er war nicht gerade für seine Empathie bekannt.“
Acun, der neben Wagner saß, beobachtete jede Regung des Mannes. „Und was genau heißt das?“, warf er nun ein.
Bolinsky seufzte. „Verstehen Sie mich nicht falsch. Patrick hatte diesen Biss, den ein guter Reporter braucht, aber das impliziert auch, dass er auf die Gefühle seiner Mitmenschen keine Rücksicht nehmen konnte. Er hatte einen guten Riecher – etwas, das heutzutage leider nicht mehr selbstverständlich ist. Wenn er eine gute Story witterte, war er wie ein Bluthund, er ließ nicht locker. Kann sein, dass damit nicht alle klarkamen.“
Übersetzt hieß das wohl, Fabó war ein Mistkerl gewesen, der für seinen Vorteil über Leichen gegangen war. Wunderbar, dachte Wagner, ein Mordopfer mit vielen Feinden war der Traum jedes Ermittlers.
„Danke vorerst. Ich brauche aber noch eine Liste ihrer Mitarbeiter.“
Bolinsky nickte, griff zum Telefon und beauftragte seine Sekretärin, eine solche auszudrucken. „Das dauert nur ein paar Minuten“, versicherte er, nachdem er aufgelegt hatte.
„Sehr gut, danke für Ihre Kooperationsbereitschaft“, antwortete Wagner und überlegte, ob Bolinsky nur deshalb so zuvorkommend war, weil er hoffte, sie schnell wieder loszuwerden. Ein Klopfen an der Tür unterbrach das Schweigen, ehe es unangenehm geworden wäre. Die Sekretärin legte die gewünschte Liste auf Bolinskys Schreibtisch und schwebte wieder hinaus.
Wagner nahm den Ausdruck und warf einen Blick auf die Namen. „Wir würden nun gerne mit diesen Leuten sprechen. Können Sie uns dafür einen Raum zur Verfügung stellen?“
Bolinsky überlegte einen Moment lang, dann nickte er eifrig. „Natürlich. Der Konferenzraum eignet sich dafür, denke ich.“Der Chefredakteur führte sie zu einem Raum, der von der Mitte des Flurs abging. Mehrere Tische waren zu einem großen U zusammengeschoben worden. „Ich lasse Ihnen Kaffee und ein paar Getränke bringen“, meinte er.
„Danke, und bitte schicken Sie uns“, Wagner griff zu der Namensliste, „Frau Abadai.“ Es sprach nichts dagegen, die Namensliste alphabetisch abzuarbeiten.
Kaum hatte Bolinsky die Tür hinter sich geschlossen, flüsterte Acun leise: „Der Mann war ziemlich nervös.“
Das war Wagner ebenfalls aufgefallen. „Nun ja, die meisten Leute reagieren so, wenn plötzlich die Kripo da steht und sie zu einem toten Mitarbeiter befragt“, gab er zurück.
„Schon klar, aber seine Körpersprache …“
„Das klingt interessant. Kennen Sie sich damit aus?“
Acun wurde ein wenig rot. „Na ja, ich habe da mal ein Seminar von einem FBI-Verhörspezialisten besucht. Das war sehr aufschlussreich. Das häufige Blinzeln – ein Zeichen für seine Angespanntheit. Ist Ihnen aufgefallen, dass er mit dem Finger über die Nase und später dann über die Wange gestrichen hat?“
Wagner nickte.
„Ein typisches Verhalten, wenn man seinem Gegenüber weismachen will, dass alles in Ordnung sei, es aber nicht ist; der Griff an den Hals bedeutet, dass ihn etwas massiv stört, mit dem angewinkelten Knie über dem Bein wollte er uns auf Abstand halten.“
Wagner legte den Kopf schief. „Aber das sind alles Gesten, die ich schon bei Menschen beobachtet habe, die nichts zu verbergen hatten.“
Acun zuckte mit den Schultern und ging nicht weiter auf Wagners Skepsis ein.
Gegen halb fünf betrat Miriam Jockel den Raum. Selbstbewusst setze sie sich auf einen der Stühle und drehte den Oberkörper zu Wagner, während sie locker die Hände auf dem Tisch verschränkte. „Frau Jockel, Sie kannten Patrick Fabó, nehme ich an.“ Sie nickte. „Natürlich. Wir alle kennen einander.“
„Und wie kamen sie mit Fabó aus?“
Sie schürzte die Lippen. „Ganz gut“, war ihre Antwort. Nun mischte sich Acun ein. „Heißt ‚ganz gut‘, dass Sie sich privat getroffen haben? Gemeinsame Aktivitäten? Gemeinsamer Freundeskreis?“
Miriam Jockel betrachtete ihre blutrot lackierten Fingernägel. „Früher haben wir ab und zu etwas miteinander unternommen.“
„Und jetzt nicht mehr?“, hakte Wagner nach.
Frau Jockel schüttelte den Kopf. „Es … hat sich nicht mehr ergeben.“
„Woran lag es?“, wollte Acun wissen.
Miriam spielte mit der Kette um ihren Hals. „Keine Ahnung, es … wir waren beide ziemlich beschäftigt.“
„Es gab also keinen Auslöser? Vielleicht eine Meinungsverschiedenheit, ein Streit, eine Kränkung? Manchmal reicht ja schon ein kleines Missverständnis.“
Miriam Jockel biss sich auf die Lippen und schüttelte den Kopf.
Acun beugte sich zu ihr. „Frau Jockel, ich glaube, da war doch etwas. Etwas, das Ihre vorherige gute Beziehung zu Fabó beeinträchtigt hat. Wollen Sie uns nicht darüber erzählen?“
Die Frau seufzte laut. „Also gut. Es ist … er und ich … hatte eine kurze Affäre.“ Sie blickte zu Acun, der ihr aufmunternd zunickte. „Ich … Sie dürfen nicht denken, ich wäre eifersüchtig gewesen oder so. Ich wusste ja, dass er eine Freundin hatte und noch etliche andere Frauen neben ihr. Mir war immer klar, dass ich nur eine unter mehreren war, das hat mich nie gestört. Im Gegenteil, eigentlich war es mir ganz recht. Uns beiden, also Patrick und mir, ging es dabei bloß um ein bisschen Spaß.“
Acun lächelte unverbindlich. „Und wer hat diese Affäre beendet?“
„Eigentlich keiner, sie hat sich irgendwie totgelaufen.“ Im selben Moment legte sie ihre Hand auf den Mund. „Entschuldigen Sie, das war wohl gerade etwas unpassend.“
Acun winkte ab. „Schon gut. Meinen Sie, dass Fabós Freundin von den Affären wusste?“
So, so, das Gespräch bekam eine interessante Wendung, fand Wagner.
Frau Jockel hob die Schultern. „Keine Ahnung, ich habe ihn nie gefragt.“
Wagner lehnte sich zurück und überließ Acun das Feld, der mit seinen Fragen offensichtlich ein bestimmtes Ziel verfolgte. Im Grunde war es egal, ob Fabós Freundin von den zahlreichen Affären wusste, denn sie hatte ein unerschütterliches Alibi, das natürlich bereits überprüft worden war. Als Mörderin schied sie definitiv aus.
„Sie sagten, sie seien nicht eifersüchtig gewesen, aber womöglich waren es andere“, sagte Acun eben zu Frau Jockel.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ja, das kann ich mir gut vorstellen.“
Acun wartete eine kleine Weile, ob ihre Zeugin von selbst fortfahren würde, doch nachdem von ihr nichts mehr kam, hakte er nach: „Und wer zum Beispiel?“
Frau Jockel drehte ihren Kopf zur Tür, wie um sich zu vergewissern, dass niemand sie hören konnte. „Frau Haltmayer, um nur eine zu nennen. Die hat sich an Patrick rangeschmissen, dass es schon fast peinlich war.“ Ihre Stimme hatte sie zu einem Flüstern gesenkt.
Wagner richtete sich auf. „Frau Haltmayer, das ist doch die Empfangsdame, nicht wahr?“
Sowohl Acun als auch Frau Jockel nickten.
„Und sonst noch wer, der Ihnen einfällt?“, fragte Acun.
„Na ja, ich glaube, Patrick hatte was mit Bolinskys Frau“, sagte Miriam Jockel.
„Eine Vermutung oder wissen Sie es?“, mischte sich nun doch Wagner ins Gespräch ein.
Die Zeugin druckste ein wenig herum, schließlich meinte sie: „Ich habe sie natürlich nicht … also gesehen habe ich die beiden nicht, wie sie … Sie wissen schon – aber so gut wie. Aber erst vor zwei Wochen war Frau Bolinsky hier und hat auf den Chef gewartet. Die Blicke, die sie und Patrick getauscht haben, waren ziemlich eindeutig. Dann ist sie hinausgegangen, zehn Minuten später ist Patrick ihr gefolgt. Eine Viertelstunde später kam er zurück. Den Gesichtsausdruck, den er hatte, den kenne ich nur allzu gut. Weitere zehn Minuten später kam Frau Bolinsky wieder herein. Sie hatte frischen Lippenstift aufgelegt, das konnte ich sehen.“
„Ihre Beobachtungsgabe ist hervorragend“, lobte Wagner.
Frau Jockel zuckte mit den Schultern. „Das ist Voraussetzung für eine Journalistin.“
„Für uns Polizisten auch“, warf Acun lächelnd ein. „Meinen Sie, dass Ihr Chef was davon mitbekommen hat?“
Frau Jockel griff zu ihrer Kette und ließ sie durch ihre Finger gleiten. „Möglich. Er und sie haben sich unlängst lautstark gestritten, das hat man sogar durch die geschlossene Bürotür gehört. Wenig später ist sie total verheult aus dem Büro geflohen. Aber ob es jetzt dabei um Patrick gegangen ist, weiß ich nicht.“
„Danke, Frau Jockel“, sagte Wagner, stand auf und reichte ihr die Hand. „Sie haben uns sehr geholfen.“ Sie erhob sich ebenfalls. „Soll ich den nächsten reinschicken?“, fragte sie an der Tür.
Wagner blickte auf seine Uhr und beschloss, es für diesen Tag gut sein zu lassen. „Nein, danke. Wir kommen dann morgen wieder.“ Er und Acun hatten etwa die Hälfte von Fabós Kollegen befragt und schön langsam kristallisierte sich heraus, dass Wagner mit seiner Einschätzung, was Fabós Charakter anging, richtig lag. Ihr Mordopfer war ein Mistkerl gewesen und obendrein einer, der nichts anbrennen ließ und jede Menge Leute vor den Kopf gestoßen hatte.
„Das heißt“, sagte Acun, nachdem Frau Jockel gegangen war, „wir stellen Bolinsky jetzt nicht zur Rede?“
„Nein, für heute reicht es. Wenn ich mir noch einmal anhören muss, was für ein Widerling Fabó war, kriegt der Mörder bei seiner Verhaftung einen Orden.“
Acun hob fragend die Brauen. Offensichtlich konnte er mit Wagners Humor nichts anfangen. „Ach, war nur ein blöder Scherz. Aber im Ernst, dieser Fabó war kein Engel. Das macht unsere Arbeit nicht unbedingt leichter.“
Gemeinsam verließen sie den Konferenzraum. Wagner wunderte sich, dass es hier kurz vor fünf noch immer so rege zuging. Offenbar folgten Zeitungsmenschen anderen Arbeitszeiten als gewöhnliche Angestellte. Nur der Empfang sah verwaist aus. Beim Warten auf den Aufzug fragte Acun: „Und was haben Sie heute noch vor?“ Wagner gab sich einen Ruck. „Da wir jetzt so etwas wie Partner sind, lassen wir doch die Förmlichkeiten. Ich bin Helmut. Und ich habe eine Verabredung zum Abendessen.“
Er reichte Acun die Hand, der sie überrascht drückte. „Darf ich trotzdem Wagner zu dir sagen?“
Wagner brach in schallendes Lachen aus. „Sicher, es spricht mich ja ohnehin kaum wer mit meinem Vornamen an.“
„Eben“, erwiderte Acun lächelnd. Wie es aussah, besaß der Junge doch Humor.