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2.1 Gesprächsanalyse
ОглавлениеDer theoretische und methodische Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird durch die ethnomethodologische Konversationsanalyse gegeben, wie sie in den 1960er Jahren entwickelt und massgeblich durch die Soziologen Sacks, Schegloff und Jefferson geprägt wurde (vgl. einführend in die Konversationsanalyse bspw. Auer et al. im Druck; Brinker & Sager 2010; Deppermann 2008a; Gülich & Mondada 2008; Henne & Rehbock 2001; Hutchby & Wooffitt 2008; Psathas 1995; Schegloff 1995; Schwitalla 2012; Sidnell 2011; Sidnell & Stivers 2013; ten Have 2007). Der Begriff Ethnomethodologie1 geht dabei auf Garfinkel (1967) zurück und wird allgemein definiert als „open-ended reference to any kind of sense-making procedure“ (Heritage 1984a: 5). Es sind dabei im Wesentlichen Methoden und Praktiken gemeint, die in einer sozialen Gemeinschaft verwendet werden, um Bedeutung herzustellen. Diese Praktiken werden als Ressourcen verstanden, die den Mitgliedern einer Gesellschaft für ihr Handeln zur Verfügung stehen und Forschende können wiederum durch Analysen der Praktiken Einblick in Handlungsweisen erlangen. Die Methoden und Praktiken sind gemäss Garfinkel accountable, was von ihm beschrieben wird als „observable-and-reportable, i.e. available to members as situated practices of looking-and-telling“ (Garfinkel 1967: 1). Damit wird davon ausgegangen, dass in einer sozialen Gruppe zumindest implizites Wissen über soziale Praktiken vorherrscht und dieses Wissen durch die AkteurInnen selbst in der situierten Praktik hervorgebracht wird.
Während es in der breiter soziologisch ausgerichteten Ethnomethodologie um jegliche soziale Prozesse geht und methodisch mehrheitlich mit teilnehmender Beobachtung oder Garfinkels berühmten breaching experiments2 gearbeitet wurde (vgl. Hutchby & Wooffitt 2008: 28f.), liegt der Fokus der Konversationsanalyse im Speziellen auf der sprachlichen Interaktion. Um genaues Hinhören und mehrfaches Abspielen zu ermöglichen, wurde seit den Anfängen der Konversationsanalyse mit Audio- und später dann auch Videodaten gearbeitet (vgl. z.B. Hutchby & Wooffitt 2008: 69ff.). Was die Interessen der Gesprächsanalyse sind, wird sehr treffend bei Deppermann (2008a: 9, Hervorhebung im Original) erläutert:
[Die Gesprächsanalyse] will wissen, wie Menschen Gespräche führen. Sie untersucht, nach welchen Prinzipien und mit welchen sprachlichen und anderen kommunikativen Ressourcen Menschen ihren Austausch gestalten und dabei die Wirklichkeit, in der sie leben, herstellen. Diese Gesprächswirklichkeit wird von den Gesprächsteilnehmern konstituiert, d.h. sie benutzen systematische und meist routinisierte Gesprächspraktiken, mit denen sie im Gespräch Sinn herstellen und seinen Verlauf organisieren.
Das Ziel der Gesprächsanalyse ist es also, die verschiedenen kommunikativen Ressourcen und Gesprächspraktiken von Gesprächsteilnehmenden zu untersuchen, um besser zu verstehen, wie Gespräche verlaufen. Wie auch bei der Ethnomethodologie liegt das Erkenntnisinteresse darin nachzuvollziehen, wie Bedeutung und Sinn im Gespräch hergestellt werden und folglich wie die Gesprächsteilnehmenden diese bedeutungsvolle Gesprächswirklichkeit konstituieren und interaktiv aushandeln. Diese gemeinsame Herstellung oder Hervorbringung der Gesprächsrealität, welche Garfinkel (1967: 11) als accomplishment oder achievement bezeichnet, gilt als zentraler Grundgedanke der ethnomethodologischen Konversationsanalyse (vgl. z.B. Gülich & Mondada 2008: 13; Stukenbrock 2013: 222). Der hergestellte Sinn wiederum kann in der Analyse nachvollzogen werden, indem beobachtet wird, wie die Teilnehmenden interaktiv auf das Gesagte reagieren und Bezug nehmen und dadurch den weiteren Verlauf prägen. Die Gesprächsbeteiligten orientieren sich dabei an der grundlegenden Sequenzialität (vgl. Stukenbrock 2013: 231) bzw. Prozessualität (vgl. Deppermann 2008a: 8) von Gesprächen, d.h. an zeitlich nacheinander realisierten Gesprächsbeiträgen. Ausgehend von der sequenziellen Organisation von Gesprächen versteht sich die konversationsanalytische Methode auch als Sequenzanalyse (vgl. Kap. 3.1.3).
Wichtig ist bei der Analyse von Gesprächen, dass nicht die Frage im Zentrum stehen soll, welche Beweggründe eine Person zur einen Sprachhandlung und nicht zur anderen motivieren, sondern die Frage nach den verwendeten Ressourcen und Praktiken, die zur Ausgestaltung von Sinn und Bedeutung beitragen. So hält Sidnell (2011: 18) fest: „Rather than asking what is going on in the speaker’s head (or mind, or brain) we should be asking […] what is being accomplished in interaction by speaking in just this way“. Deppermann (2013a: 35) spricht in diesem Zusammenhang auch vom mentalen Agnostizismus und bringt so dezidiert zum Ausdruck, dass in der Gesprächsanalyse nur die beobachtbare Interaktion im Fokus des Interesses steht und alle Erklärungen und Interpretationen in der Interaktion selbst verankert sein müssen.
Welche Prämissen der Gesprächsanalyse zugrunde liegen und das analytische Vorgehen massgebend beeinflussen, soll in Kapitel 2.1.1 dargestellt werden. In Kapitel 2.1.2 werden einige grundlegende Prinzipien der Gesprächsorganisation vorgestellt, die sich auf Erkenntnisse aus Studien stützen und die in späteren Analysen vorausgesetzt und nicht mehr speziell eingeführt werden.