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1.1 Schulische Beurteilungsgespräche als Forschungsgegenstand
ОглавлениеDie gesprächsanalytische und ethnografische Erforschung von Schul- und Unterrichtskommunikation hat in der Linguistik, der Soziologie und der Pädagogik eine längere Tradition und wurde ab den 1970er Jahren u.a. durch Arbeiten von Ehlich und Rehbein (1983; 1986), Kalthoff (1995), Mehan (1979), McHoul (1978; 1990) und neuere Beiträge von Becker-Mrotzek und Vogt (2009) sowie Vogt (2002) geprägt. Auch zur Nebenkommunikation innerhalb und ausserhalb des Unterrichts gibt es einige empirische, mehrheitlich ethnografische, Forschungsarbeiten (vgl. z.B. Baurmann, Cherubim & Rehbock 1981; Breidenstein & Kelle 1998; Breidenstein 2006), jedoch bleibt die Kommunikation an der Schnittstelle von Schule und Familie zunächst unerforscht. So stellt Sucharowski (2001) in einem Handbuchartikel zu Gesprächen in der Schule zwar verschiedene Gesprächskontexte inner- und ausserhalb des Unterrichtsgeschehens vor, erwähnt Beurteilungsgespräche aber nur kurz im Rahmen von Beratungsgesprächen. Bis vor Kurzem gab es erst vereinzelte Fallstudien aus dem angelsächsischen Raum sowie aus Schweden, weshalb auch die empirische Zuwendung zur Thematik des schulischen Beurteilungsgesprächs als Forschungsdesideratum erklärt wird (vgl. auch Kotthoff 2012a: 292). In der Zwischenzeit gibt es verschiedene laufende Projekte zu Beurteilungsgesprächen, die einen dezidiert empirischen Zugang verfolgen und so ist zu hoffen, dass in den kommenden Jahren neue Erkenntnisse über den Gesprächstyp erlangt werden können.
Während die Erforschung des Beurteilungsgesprächs also noch eine relativ junge Disziplin darstellt, ist der Gesprächstyp aber im Bereich der Ratgeberliteratur mit regelmässigen Neuerscheinungen dominant vertreten (vgl. aus den letzten Jahren z.B. Beier 2012; Richter 2011; Roggenkamp, Rother & Schneider 2014). Jedoch verfolgen ratgebende Texte grundlegend andere Interessen als gesprächsanalytische Studien. In Ratgebern wird in der Regel eine problemorientierte Perspektive eingenommen und es werden Lösungen und praktische Tipps vermittelt. Das bedeutet auch, dass gewisse Normvorstellungen darüber existieren, was ‚gute’ oder ‚gelungene’ Gespräche sind (vgl. auch Hauser & Mundwiler 2015a: 10). In der gesprächsanalytischen Forschungsrichtung hingegen wird ein Gesprächsereignis nicht normativ bewertet, sondern das Erkenntnisinteresse liegt auf der Frage nach den tatsächlich vorkommenden Praktiken in authentischen Gesprächssituationen: „Es geht also nicht darum, danach zu fragen, wie gut die Interagierenden ihre kommunikative Aufgabe lösen, sondern wie sie sie lösen“ (Hauser & Mundwiler 2015a: 12, Hervorhebung im Original).
Im Folgenden werden Ergebnisse aus den neuesten empirischen Forschungsarbeiten vorgestellt. Dabei geht es einerseits um Studienergebnisse aus der pädagogischen Forschungsliteratur (Kap. 1.1.1) und andererseits sollen erste Ergebnisse aus gesprächsanalytischen Studien diskutiert werden (Kap. 1.1.2), um den derzeitigen Forschungsstand abzubilden.