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2.1.2 Prinzipien der Gesprächsorganisation

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Gespräche verlaufen nach bestimmten Ordnungsprinzipien, die eine wechselseitige Interaktion überhaupt erst ermöglichen und verhindern, dass mehrere Beteiligte unkoordiniert durcheinander sprechen. Sacks, Schegloff und Jefferson (1974) definieren in ihrem zum Klassikertext avancierten Artikel A simplest systematics for the organization of turn-taking for conversation die grundlegende Organisation des sogenannten Sprecherwechsels (turn-taking). Es geht dabei zum einen um die Struktur von Redebeiträgen (turn-constructional component) und zum anderen um die Regelhaftigkeit der Verteilung von Rederechten und Redegelegenheiten (turn-allocation component).

Ein Redezug (turn) ist in Bezug auf die Länge nicht vordefiniert und kann ein einzelnes Wort, eine Phrase, einen Satz oder gar ein längeres konversationelles Projekt wie eine Erzählung umfassen (vgl. Sacks, Schegloff & Jefferson 1974: 702; Stukenbrock 2013: 230). Redezüge können aus mehreren kleineren Turnkonstruktionseinheiten (turn constructional units, TCU) bestehen, welche jeweils von den Gesprächsbeteiligten als redeübergaberelevante Stellen (transition relevance place, TRP) interpretiert und für Sprecherwechsel genutzt werden können (vgl. Gülich & Mondada 2008: 39; Sacks, Schegloff & Jefferson 1974: 703). Durch die syntaktische, prosodische und nonverbale Realisierung zeigen Gesprächsbeteiligte an, wann sie einerseits einen Turn beginnen möchten und andererseits ihn als (vorläufig) beendet betrachten (vgl. Gülich & Mondada 2008: 40; Stukenbrock 2013: 237). Diese Anzeigeleistung bezeichnet man als Projektion (vgl. Auer 2005: 8). Es kommt dabei an übergaberelevanten Stellen immer wieder zu Überlappungen, die aber wiederum bezeugen, dass sich Gesprächsbeteiligte an Turnkonstruktionseinheiten orientieren und basierend auf ihrer ständigen Verarbeitung der laufenden Interaktion Erwartungen bezüglich der Fortsetzung bilden und den Fortgang antizipieren (vgl. Gülich & Mondada 2008: 40f.). Grundsätzlich gilt aber die Regel „one party talks at a time“ (Sacks, Schegloff & Jefferson 1974: 700), die auch im interkulturellen Vergleich von Stivers et al. (2009) getestet wurde und die sich in einer generellen Vermeidung von Überlappungen sowie zu langen Pausen zwischen Redebeiträgen manifestiert.

In Bezug auf die Verteilung von Rederechten formulieren Sacks, Schegloff und Jefferson (1974: 704) die folgenden Regeln: An redeübergaberelevanten Stellen kann eine aktuelle Sprecherin durch Fremdwahl einen nächsten Sprecher auswählen (current speaker selects next), welcher sodann das Recht und die Pflicht hat, das Rederecht zu übernehmen. Wählt die aktuelle Sprecherin keinen nächsten Sprecher aus, können Gesprächsbeteiligte durch Selbstwahl einen Sprecherwechsel herbeiführen, wobei in der Regel der bzw. die Schnellere (first starter) das Rederecht erlangt. Falls es zu keiner Selbstwahl kommt, kann die aktuelle Sprecherin das Rederecht behalten. Diese Regeln kommen bei jeder redeübergaberelevanten Stelle erneut zum Tragen.

Die Funktionalität der Gesprächsorganisation zeigt sich insbesondere bei Paarsequenzen (adjacency pairs) wie Frage-Antwort, Gruss-Gegengruss etc., welche dadurch charakterisiert sind, dass der erste Teil der Paarsequenz (first pair part) einen zweiten Teil (second pair part) erwartbar macht und so konditionell relevant setzt (vgl. Schegloff 1968: 1083; Schegloff & Sacks 1973: 296). Diese Erwartbarkeit von Folgebeiträgen kann auch als Zugzwang beschrieben werden:

Aus den konditionellen Relevanzen ergeben sich für die Beteiligten Zugzwänge, die im Verlauf des Gespräches eingesetzt, bedient, aber auch außer Kraft gesetzt werden können. (Hausendorf & Quasthoff 2005: 115)

Es bedeutet also nicht, dass ein Zugzwang notwendigerweise eingehalten werden muss, jedoch zeigt sich beispielsweise beim Ausbleiben einer Antwort, dass ein Nichterfüllen der konditionellen Relevanz erklärt oder anderweitig (z.B. durch Nachfragen) weiter bearbeitet werden muss (vgl. Gülich & Mondada 2008: 51f.; Hausendorf & Quasthoff 2005: 115). Solche Abweichungen vom System zeigen wiederum, dass eine Regelhaftigkeit zugrunde liegt und Gesprächsbeteiligte sich an konditionellen Relevanzen orientieren.

Ebenfalls im Zusammenhang mit Paarsequenzen wurde das Konzept der Präferenzstrukturen in der Interaktion herausgearbeitet: In der konversationsanalytischen Forschungstradition besagt die Präferiertheit, dass bei Paarsequenzen eine Reaktion rasch und direkt erfolgt und demnach unmarkiert ist. Hingegen zeigen sich bei der dispräferierten Form einer Antwort diverse Verzögerungselemente, Abschwächungen etc. (vgl. Gülich & Mondada 2008: 52f.; Pomerantz 1984; Pomerantz & Heritage 2013). Es handelt sich also nicht um psychologische Präferenzstrukturen, sondern darum, ob eine Reaktion rasch und knapp auf die Frage folgt, oder ob ein kommunikativer Mehraufwand betrieben wird (vgl. auch Kotthoff 2015a). Typischerweise werden Übereinstimmungen, Bestätigungen und beispielsweise die Annahme einer Einladung in präferierter Form realisiert, während Dissens, Widerlegungen und Ablehnungen in dispräferierter Form, d.h. nach Verzögerungen, mit Abschwächungen, zusätzlichen Erklärsequenzen o.ä. hervorgebracht werden (vgl. zusammenfassend Pomerantz & Heritage 2013).

Nun kommt es in Gesprächen auch immer wieder zu Störungen, die u.a. mit der Organisation des Sprecherwechsels zu tun haben. Beispielsweise kann in der Mehrparteieninteraktion die Adressierung bei getätigter Fremdwahl unklar sein, sodass vor der eigentlichen Antwort ausgehandelt werden muss, wer gemeint ist. Andere Störquellen sind z.B. Artikulationsschwierigkeiten, akustische und inhaltliche Verständnisprobleme o.ä. und die setzen ähnliche Korrekturmechanismen in Gang. Man spricht bei solchen korrigierenden Handlungen von Reparaturen (repair), die einerseits selbst- oder fremdinitiiert und andererseits in Form von Selbst- oder Fremdreparatur bearbeitet werden können (vgl. Gülich & Mondada 2008: 59ff.; Sacks, Schegloff & Jefferson 1974: 723ff.; Schegloff, Jefferson & Sacks 1977; Selting 1987).

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