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2.1.3 Gesprächsanalyse und institutionelle Kontexte

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Die Kommunikation in Institutionen wie Schulen, Arztpraxen, Medienunternehmen, Gerichtshöfen etc. ist in der konversationsanalytischen Forschung dominant vertreten und wurde entsprechend in ausführlichen Darstellungen zum Thema gemacht (vgl. z.B. Arminen 2005; Boden & Zimmerman 1991; Drew & Heritage 1992b; Drew & Sorjonen 1997; Heritage 2004; Heritage & Clayman 2010; McHoul & Rapley 2001). Institutionen werden typischerweise als Orte des zweck- und zielorientierten Handelns beschrieben (vgl. z.B. Drew & Heritage 1992a: 22f.; Ehlich & Rehbein 1980: 338). Jedoch gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, wie institutionelle von alltäglicher Kommunikation abgegrenzt werden kann und inwiefern Asymmetrien typisch für institutionelle Interaktionen sind. Diese Aspekte werden im Folgenden beleuchtet. Zudem wird abschliessend gezeigt, wann der Einbezug von Kontextinformationen für die Analyse institutioneller Gespräche sinnvoll sein kann.

Grundsätzlich schlagen Drew und Heritage (1992a: 19) eine komparativ angelegte Untersuchung von institutioneller und alltäglicher Kommunikation vor und gehen dabei davon aus, dass Alltagsgespräche sozusagen als Standard angenommen werden können, während Gespräche in Institutionen typischerweise Einschränkungen auf die Möglichkeiten der Ausgestaltung der Gespräche erfahren.1 Jedoch lässt sich eine häufig als ‚Dichotomie von Alltag und Institution’ bezeichnete Aufteilung nicht ohne Weiteres vollziehen, denn einerseits gibt es eine Vielzahl alltäglicher Institutionen (z.B. Familie, Schule) (vgl. Koerfer 2013: 23) und andererseits lassen sich typische institutionelle Praktiken auch in nichtinstitutionellen Kontexten beobachten (z.B. schulische Belehrungsmuster am Mittagstisch) (vgl. Birkner 2011: 2). Um der Auflösung dieser Dichotomie Nachdruck zu verleihen, veröffentlichten Birkner und Meer (2011) unter dem Titel Institutionalisierter Alltag einen Sammelband zur Thematik und Meer (2011: 35) zeigt durch ihr Verständnis von Alltag als „praktiken- und positionsspezifisch graduell unterschiedlich institutionalisiert“ ihre Ablehnung einer generalisierenden Sicht auf vermeintliche Oppositionen Alltag versus Institution.

In Bezug auf schulische Beurteilungsgespräche haben wir es mit der Kommunikation zwischen den zwei alltäglichen Institutionen Schule und Familie zu tun. Als ‚alltäglich’ bezeichnet Koerfer (2013: 23) Institutionen dann, wenn sie für alle Zugehörigen einer Kulturgemeinschaft mindestens temporär zum Alltag gehören. Schulische Beurteilungsgespräche werden demnach als inter-institutionelle Kommunikation beschrieben und Studien konnten zeigen, wie sich die Vertretenden dieser alltäglichen Institutionen in ihren entsprechenden Rollen als Lehrpersonen bzw. als Eltern begegnen (vgl. z.B. Baker & Keogh 1995; Kotthoff 2012a; Zorbach-Korn 2015).

Eng verbunden mit der problematischen Aufteilung in alltägliche und institutionelle Kommunikation ist der Begriff Asymmetrie, denn nicht selten wird allgemein von einer symmetrischen Alltagskommunikation und einer asymmetrischen Kommunikation in Institutionen ausgegangen (vgl. kritisch dazu Meer 2011: 32f.). Allerdings sind Asymmetrien und Ungleichheiten auf unterschiedlichen Ebenen grundlegend für jegliche Art der Kommunikation:

[I]f there were no asymmetries at all between people, i.e. if communicatively relevant inequalities of knowledge were non-existing, there would be little or no need for most kinds of communication! (Linell & Luckmann 1991: 4)

Auch Drew und Heritage (1992a: 48) argumentieren, dass es in dem Sinne in Gesprächen gar keine Symmetrie gebe, da sich auch in Alltagsgesprächen jeweils lokale Unterschiede, z.B. themenbezogene Unterschiede von Wissensständen, finden, die sich ständig wieder verschieben. Zudem ist alleine die lokale Unterscheidung der Beteiligungsrollen SprecherIn und HörerIn auf der Ebene einzelner Sprecherbeiträge asymmetrisch strukturiert (vgl. Linell & Luckmann 1991: 7). Mit Linell und Luckmann (1991: 4f.) gehe ich daher davon aus, dass Symmetrie auf lokaler Ebene eines einzelnen Sprecherbeitrags nicht sinnvoll beschrieben werden kann, sondern nur in Bezug auf längere Sequenzen untersucht werden soll. Von globalen Asymmetrien bezogen auf ein gesamtes Gespräch oder bezogen auf den Gesprächstyp kann allerdings erst gesprochen werden, wenn sich in institutionellen Kontexten lokale Asymmetrien an wichtigen Positionen im Gespräch (z.B. Eröffnung oder Beendigung) zugunsten der Institutionsvertretenden häufen (vgl. Brock & Meer 2004: 194). Es muss daher stets differenziert werden, ob es sich um lokale oder globale Ungleichheiten handelt und auf welcher Ebene sich die Asymmetrien manifestieren (z.B. Beteiligungsstrukturen, Wissensbestände). Brock und Meer (2004: 203) schlagen dann auch vor, Asymmetrien nicht voreilig mit globaler ausgerichteten Begriffen wie Macht, Dominanz oder Hierarchie gleichzusetzen, sondern neutral und lokal als „kommunikative Ungleichheit in Bezug auf ein spezifisches Kriterium oder Phänomen“ zu definieren.

Im Zusammenhang mit institutioneller Kommunikation und Asymmetrien wird auch häufig von der Experten-Laien-Kommunikation gesprochen. Gemäss Brünner und Gülich (2002: 20) verfügen dabei die ExpertInnen über professionelles, wissenschaftliches Wissen und die LaiInnen über nicht-professionelles Alltagswissen oder „subjektive Theorien“. Auch findet im Rahmen der Experten-Laien-Kommunikation typischerweise ein Wissenstransfer statt. In Bezug auf die inter-institutionelle Kommunikation zwischen Lehrpersonen und Eltern kann argumentiert werden, dass die subjektiven Theorien der Eltern ebenfalls strukturierter und professioneller Natur sein können, wenn es um erzieherische Fragen oder um Beobachtungen ihres Kindes geht, da sie sich dort auf ihr familiäres Expertenwissen stützen können. Ebenso können SchülerInnen als ExpertInnen für ihr eigenes Lernen betrachtet werden.

Wie in Kapitel 2.1.1 dargelegt wurde, versteht man in der klassischen Konversationsanalyse Kontext nur dann als relevant, wenn im Gespräch selbst darauf referiert wird. Hingegen wird davon abgesehen, weitere gesprächsexterne Informationen in die Analyse einzubeziehen, da die Gefahr besteht, dass Kontextfaktoren deterministisch für das Gesprächsverhalten betrachtet werden und so Erwartungen bezüglich typischer institutioneller Rollen und Abläufe mitbewertet werden. Trotz diesen Grundsätzen werden in Studien zur institutionellen Kommunikation häufig ergänzend zu den reinen Gesprächsdaten noch ethnografische Daten erhoben, um durch diese zusätzlichen Kontextinformationen ein ganzheitlicheres Verständnis der Institution zu erzielen. Diese methodische Erweiterung findet in der neueren Forschung zu institutionellen Bereichen vermehrt Zuspruch und wird im Rahmen dieser Arbeit ebenfalls als wichtig und nötig erachtet. Es muss allerdings jederzeit transparent sein, welchen Stellenwert den zusätzlich erhobenen Daten beigemessen wird. So zeigt beispielsweise Maynard (2003: 65), dass unter Umständen ethnografische Analysen die Hauptanalyse ergänzen können, jedoch keineswegs als gleichwertige Daten zu betrachten seien. Denn das Hauptinteresse der Analyse bleibt die Aktivität des Gesprächs selbst und nicht das Setting. Dabei sieht Maynard insbesondere bei den folgenden ethnografischen Daten das Potenzial für die ergänzende Analyse: (1) die Beschreibung von Setting und Teilnehmenden; (2) Erklärungen zu spezifischen Abläufen und Termini, die LeserInnen nicht unbedingt geläufig sind (beispielsweise fachspezifisches oder institutionelles Wissen); (3) Erklärungen von ‚seltsamen’ Mustern in den Daten anhand von Zusatzwissen aus Interviews oder teilnehmender Beobachtung (Maynard 2003: 73ff.). Maynard begründet diese Wahl ethnografischer Daten folgendermassen: Wenn wir die Möglichkeit haben, anhand von ethnografischen Informationen das Setting und die Teilnehmenden minimal und im Hintergrund zu beschreiben, erleichtert das den Forschenden die Entscheidungen zu treffen, welche Phänomene für das Setting relevant sind und im Vordergrund diskutiert werden sollen. Ohne diese Hilfe müssen bei der Analyse theoretisch vorerst alle Aktivitäten – alle ‚doings’ – als relevant erachtet werden (vgl. Maynard 2003: 74). Weiter sei ein gewisses Fachvokabular nötig, um die Prozesse im Gespräch verstehen und analysieren zu können. Auch gibt es spezifische Muster oder Abläufe, die nicht alleine aus der Sequenzanalyse erschliessbar sind, sondern erst anhand von Zusatzwissen zu Abläufen in diesem Setting verstanden werden können (vgl. Maynard 2003: 74f.). Wichtig sei hier aber zu erwähnen, dass es sich um ein nachträglich vertieftes Verstehen der Analyse handelt, wenn die Sequenzanalyse an ihre Grenzen kommt. Keinesfalls sollen jedoch ethnografische Daten als Basis der Analyse genommen werden (vgl. Maynard 2003: 75f.). Auch Arminen (2005: 1) betont, dass ethnografisches Wissen insbesondere in institutionellen Settings notwendig sei, um die Besonderheiten der Interaktionen zu verstehen und die Relevanz einer spezifischen kommunikativen Praxis richtig einordnen zu können. Insgesamt kann festgehalten werden, dass es sich bei der Gesprächsanalyse primär um eine detailgetreue Analyse der Gespräche handelt und der Fokus auf dem lokalen Kontext liegt. Da die vorliegende Arbeit einen spezifischen institutionellen Gesprächstyp untersucht, werden ethnografische Daten in ergänzender Art und Weise einfliessen, wo dies zu einem vertieften Verständnis führt. Zu diesem Zweck sowie um einen umfassenderen Eindruck der Gesprächssettings zu ermöglichen, werden im Rahmen der Methodenreflexion und Datenpräsentation ergänzende ethnografische Daten diskutiert (vgl. Kap. 3).

In konversationsanalytischen Studien zu institutionellen Kontexten liegt der Fokus also auf den Praktiken, die als konstitutiv für eine spezifische Institution oder einen spezifischen institutionellen Gesprächstyp gelten (vgl. Arminen 2005: XV; Boettcher et al. 2005: 5). In diesem Kontext ist auch die von Heritage (1984a: 290) geprägte Beschreibung von Institutionen als ‚talked into being’ zu verstehen, wozu er weiter ausführt:

It is thus through the specific, detailed and local design of turns and sequences that ‚institutional’ contexts are observably and reportably – i.e. accountably – brought into being.

Heritage betont dabei das grundlegende Erkenntnisinteresse der ethnomethodologischen Konversationsanalyse, das darin liegt, die soziale Ordnung aufzudecken. Wenn Praktiken einer spezifischen Institution untersucht werden sollen, so muss beobachtet werden, wie die institutionellen AkteurInnen handeln und interagieren. In den institutionellen Interaktionen wird also aktiv mitgestaltet, was eine Institution ausmacht.

Beurteilungsgespräche in der Schule

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