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6. Kapitel BÜRO JOSEPHA INNEN/TAG

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Eine hagere Gestalt mit langem, dunkelbraun gefärbtem Haar erscheint in Josephas Büro. Es ist Maria, neununddreißig dürre Jahre alt – natürlich ohne vorher angeklopft zu haben, denn sie ist Redaktionsleiterin und muss das täglich beweisen. Eine, die mehr einer Ameisenkönigin, manchmal mehr einer Spinne, konkret einem Weberknecht mit ausgebeulten Taschen von all den gestohlenen Espresso-Kapseln gleicht als einer Redaktionsleiterin. Sie ist relativ weit oben in der Nahrungskette und von einer besonders aggressiven Art: starker Paarungstrieb, grimmige Verteidigung ihrer Position und exzessive Ausreizung ihrer Macht. Angeblich hat sie früher als Model gearbeitet. Ihre meterlangen Beine erinnern an diese frühere Karriere. Josephas Redaktionskollege Kevin zum Beispiel findet Maria unendlich attraktiv und hat bereits alles versucht, um sie ins Bett zu bekommen – erfolglos.

»Hast du da vorher aufgeschrien?«, fragt Maria vordergründig besorgt.

»Ich hab’ mir nur das Bein angestoßen. Sehr lieb, dass du extra herkommst, um dich zu erkundigen«, antwortet Josepha mit einer möglichst neutralen Mimik. Josepha sieht schon das Insert vor sich, das sie bei einer Show als Einblendung am Bildschirm zu Maria schreiben würde:

Maria Weber, liebt Klatschpresse und Gerüchte

Eine ihrer vielen Arbeitskrankheiten ist es nämlich, ihr Gegenüber innerlich mit Inserts – also den bei Sendungen üblichen, eingeblendeten Bauchbinden – zu beschreiben. Eine Angewohnheit, die nach ihrem zweiten Jahr bei »MasterTV-Österreich« und etwa fünfhundert geschriebenen Inserts nicht mehr abzulegen ist.

»Ja, das hat sich ja ganz schlimm angehört.« Maria macht eine kurze Pause, in der Josepha hüstelt und wieder einmal nicht weiß, was sie darauf noch sagen soll.

»Du hast Musik gehört?«, fragt der Weberknecht misstrauisch.

»Ich hab’ mal in die Musik-CDs für die nächste Sendung reingehört.«

Josepha glaubt, damit Marias nächster Frage ausweichen zu können.

»Aber das ist doch gar nicht deine Aufgabe«, sagt Maria streng und zugleich lächelnd, wobei sie die Zähne fletscht.

›Noch so eine Belehrung und ich verpfeif’ dich und deine Espresso-Kapseln‹, denkt Josepha und nickt dabei ebenfalls lächelnd.

»Ich dachte, es wären ein paar gute Inputs für den Cutter, um die Sendung etwas aufzupeppen. Wegen der mageren Quote von »Cook your Cast« sollen wir doch jetzt verstärkt auf Kleinigkeiten achten«, entgegnet Josepha und denkt, dass diese Antwort nach Fleiß klingt.

»Ja, aber wie kommst du denn mit deiner Arbeit für »Ameisenhaufen« voran? Hast du dir schon neue Aufgaben überlegt? Vielleicht ausnahmsweise solche, die vom Jugendschutz bewilligt werden? Es hat ja nicht jeder junge Mensch eine so niedrige Hemmschwelle, wie du sie damals gehabt hast. Übrigens, hast du die Polizisten, die heute da waren, eigentlich von früher gekannt?«

Da ist sie also – die tägliche Anspielung auf Josephas kriminelle Vergangenheit. Sie schüttelt den Kopf und denkt:

›Wieso störst du mich, du blöde Kuh, geh und fröne deiner Espresso-Kapsel-Kleptomanie …‹

Maria unterbricht Josephas Gedankengang kalt lächelnd: »Deinem Schweigen entnehme ich, dass du das mit den neuen Aufgaben für »Ameisenhaufen« noch nicht erledigt hast. Du musst das unbedingt noch fertigkriegen. Ich weiß, das klingt jetzt vielleicht harsch, aber wir müssen da echt alle zusammenhalten.«

Beim Wort »zusammenhalten« kann Josepha nur lächeln. Sie hat sich natürlich noch keine Gedanken über die neuen, ihrer Meinung nach allesamt schwachsinnigen Aufgaben für »Ameisenhaufen« gemacht, und sie hat sich auch geschworen, dieser Firma keine weitere Gehirnzellenanstrengung mehr zu schenken.

»Ich, äh –«, Josephas Magen knurrt, »ich habe an Pizza gedacht.«

Maria leckt sich die dünnen Lippen.

»Pizza?«, fragt Maria leicht spöttisch nach.

»Ja, also, wenn der Kandidat mit den Kindern eine Pizza belegen müsste?«

Maria gähnt und blickt herablassend auf Josepha, die nervös wird und schnell weiterspricht:

»Aber nicht irgendeine Pizza«, Josephas Fantasie nimmt Fahrt auf, »sondern eine mit einem Schriftzug darauf. Stell dir vor, eine riesige Pizza, auf der mit Mozzarella ›KäSE‹ geschrieben steht! Stell dir einmal das Durcheinander vor, wenn man fünfzig Kinder dazu koordinieren müsste und wenn …«

»Eine Pizza, auf der mit Käse ›KäSE‹ geschrieben steht?« Maria unterbricht Josepha in fast jeder Konversation mindestens einmal. Der Weberknecht stülpt nachdenklich seine knochige Hüfte vor.

»Oder vielleicht steht es da auch mit Tomaten oder Oliven oder Balsamico.«

»Also, der ganze Witz an der Sache ist doch, dass mit Käse ›KäSE‹ geschrieben wird, oder etwa nicht?«

»Klar, natürlich.«

»Hast du schon mit den Autoren darüber gesprochen?«

»Nein, ich wollte diese Idee zuerst mit dir besprechen, damit die Autoren dann nicht wieder jammern, wenn sie die Idee umsonst ausarbeiten müssen.«

»Ja, das ist rücksichtsvoll von dir. Die Idee gefällt mir. Von mir aus geh zu den Autoren und gib ihnen den Auftrag!«

In diesem Moment geht der zwanzigjährige, gutaussehende Fahrradbote Marcello am Gang vorbei – in Richtung Marias Büro. Seit »Ameisenhaufen« in die Vorbereitungsphase gegangen ist, kommt Marcello fast täglich in ihr Büro, um Unterlagen zu bringen oder abzuholen. Es ist offensichtlich, dass sich Maria für seine Besuche jedes Mal besonders viel Zeit nimmt.

›Ob sie ihm dann einen Espresso anbietet?‹, fragt sich Josepha im Stillen.

»So, jetzt muss ich aber wieder«, sagt der Weberknecht in plötzlicher Eile, dreht sich weg und fährt sich dabei prüfend durchs Haar. In der Tür dreht sich Maria noch einmal zu Josepha um: »Sag mal, warum sitzt du eigentlich im Dunkeln?«

»Migräne.«

Die Redaktionsleiterin ist aber schon Richtung Fahrradboten abgerauscht. Josepha weiß, dass sie nur nachgefragt hat, um zu zeigen, dass ihr die heruntergelassene Jalousie sehr wohl aufgefallen ist.

Maria hat die Tür offengelassen. Diese Unart findet Josepha seit ihrem ersten Arbeitstag ärgerlich. Also stellt sie sich zum tausendsten Mal die Frage, warum sie ihr Leben von allen möglichen Ausgängen, das es hätte nehmen können, ausgerechnet zu »MasterTV-Österreich« führen hat müssen.

Der Ameisenhaufen

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