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12. Kapitel KLEINES STUDIO »SPIEGEL MIT EI« INNEN/TAG

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»Willst du es statt mir versuchen?«, fragt Sami Astrid, die er zu ihrem Büro begleitet hat. Er würde alles tun, um Astrid glücklich zu machen.

»Danke, Sami«, sagt Astrid und öffnet ihre Bürotür, »aber du weißt ja, wie der Herrschler ist. An seinen Personalentscheidungen ist nicht zu rütteln. Bis morgen.«

»Bis morgen.«

Sie nickt ihm zu und verschwindet in ihrem Büro. Seine Aufregung, seine Nervosität, all das hätte er gerne weiter mit Astrid besprochen, aber sie ist immer beschäftigt und Reden bedeutet für sie in der Arbeitszeit nur Informationsaustausch. Sami ist davon überzeugt, dass sie gewusst hat, dass er reden wollte, und einem längeren Gespräch aber tunlichst aus dem Weg gehen wollte, um ja keine falsche Vertrautheit wieder aufflackern zu lassen. ›Dabei hat sie mich überhaupt erst in diese Situation gebracht!‹, denkt Sami bitter. Vor mehreren Jahrzehnten schien sein zukünftiger Weg als Gastronom eigentlich vorgezeichnet. Küchenarbeit und Service hatte er mit der Muttermilch aufgesogen. Alles schien daraufhin zu deuten, bis Mahir eine Aushilfskellnerin für stark frequentierte Wochenenden einstellte: Astrid. Sie erzählte in einem fort von ihrem bevorstehenden Praktikum beim Fernsehen und davon, dass sie einmal selbst Produzentin werden wollte … Wegen Astrid war es um Sami und seine Zukunft als Gastronom geschehen. Sie hatte ihn mit ihrem Fernsehfieber angesteckt. So kam er schließlich zu seinem ersten Job als Setrunner. Fünf Jahre später war er Aufnahmeleiter. Das ist er auch heute noch. In der Wiener TV-Szene gibt es kaum jemanden, sei es ein Komparse, ein Regisseur oder ein Kameramann, der nicht zumindest einmal schon mit ihm gedreht hat. Er wird geschätzt, er ist geachtet und es sind ihm oft schon besser bezahlte Stellen angeboten worden. Man wollte ihm größere Aufgaben in der Herstellungsleitung übertragen, doch Sami hat jedes Mal abgelehnt. Das Leben am Set ist seine Sucht, eine Sucht nach dieser Gemeinschaft, die während des Drehens wie ein eingeschworenes Team wirkt, sich aber nach dem letzten Drehtag erstaunlich schnell wieder auflöst. Jene Gemeinschaft bindet einen nicht an einen Ort, sie setzt sich zusammen aus immer neuen Geschichten, Gesichtern und Kunden.

Sami weiß, was ein Team braucht, um glücklich zu sein: Frisches Obst oder ein Eis am Stiel bei heißen Sommerdrehs, im Winter dann Punsch als Alternative zum Drehschlussbier. Neben einem reibungslosen Ablauf garantiert er psychologische Hilfe am Set. Er hört sich die Privatsituation desjenigen an, der kurz vorm Weinen steht und bringt Paare, die sich am Set gefunden haben, bei Außendrehs in einem Doppelzimmer unter. Mancher Moderator oder Schauspieler kennt ihn zwar nur unter seiner Funktion als »Set-AL«, hört nur seine Ansagen, sein »Bitte Ruhe«, sein »Mittagspause« und sein langersehntes »Dreeehschluss!«, aber das verletzt Sami nicht. Hauptsache, alles läuft so, wie es die Tagesdisposition, kurz »Dispo«, für den Drehtag vorsieht.

Für seine Tätigkeit hat Sami Privatleben, Freunde und Hobbys, die außerhalb der TV-Szene liegen, weitestgehend aufgegeben. Diese Arbeitssucht hat mit Astrid angefangen. Wenn sie bei einem Projekt gemeinsam am Set standen, waren das für Sami goldene Tage. Aber Astrid verliebte sich dann in den Mann mit der Tonangel, den »Angler«. Der hatte neben der langen Tonangel auch starke Arme und konnte Saxophon spielen … Sami gab auf. Am Tag seiner ersten Hochzeit erfuhr er, dass sich Astrid von dem Angler mit den starken Armen getrennt hatte.

Als Astrid sich dann mit ihrer eigenen Produktionsfirma versuchte, verlor Sami sie absichtlich aus den Augen. Er sah sie zwar immer wieder auf diversen Szeneevents, versuchte dann aber in hoffnungslosen Unterfangen, seiner jeweils aktuellen Ehefrau auch in Gedanken treu zu bleiben, so wenig wie möglich mit Astrid zu sprechen. Erst viele Jahre später kam es wieder zu einem längeren Gespräch zwischen ihnen. Er war gerade von seiner zweiten Frau, Maxi Gün, geschieden und Astrids Konkursverfahren war bereits im Gang. Aus einer Unterhaltung wurden viele und aus Küchengesprächen wurden endlich Bettgespräche. Sami ergriff seine Chance, Astrid festzuhalten und ihr nach so vielen Jahren einen Antrag zu machen. Eineinhalb Jahre später wollte sie die Scheidung. Zwei Monate nach dem Gerichtsverfahren arbeitete sie – wie zum Hohn – für dieselbe Sendung wie er, für »Spiegel mit Ei«, Astrid in der Herstellungsleitung, Sami als Set-Aufnahmeleiter. Über zwanzig Jahre hatten sie nicht mehr für dieselbe Sendung gearbeitet. Doch jetzt war es wieder so weit – die Fernsehwelt folgt eben undurchsichtigen, eigenwilligen Regeln.

Der Ameisenhaufen

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