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8. Kapitel VORPLATZ AUSSEN/TAG

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Die leichenblasse Praktikantin – ihr ist auf dem Weg zum Meeting auf einmal übel geworden – bekommt langsam wieder Farbe im Gesicht. Obwohl Sami eigentlich bei der Konferenz sein sollte, wartet er, bis sich das Mädchen wieder besser fühlt. Schluck für Schluck trinkt sie das Cola, das ihr Sami in aller Eile besorgt hat. Eine SMS von seinem älteren Sohn Patrick aus erster Ehe erreicht ihn. Patrick hat ihm erst gestern mitgeteilt, dass seine Freundin ein Kind von ihm erwartet. Sami wird also Großvater! Das Problem an der Sache ist nur, dass Patrick noch studiert und neben dem Ingenieursstudium nicht für eine Familie aufkommen kann. Er hat Sami also um Unterstützung gebeten und das, obwohl er immer noch Alimente für Gregor, seinen Sohn aus zweiter Ehe, zahlen muss. Frische Scheidungskosten hat er auch noch zu tragen. Seinen eigenen Vater, Mahir Gün, um Unterstützung zu bitten, kommt nicht infrage. Obwohl sich die beiden sehr schätzen, haben sie ein schwieriges Verhältnis zueinander. Mahir betreibt das kleine, türkische Restaurant »Evet« in Eisenstadt. Er ist Mitte siebzig und steht noch immer jeden Tag von früh bis spät in seinem Lokal. Letzteres bringt gerade genug ein, um Mahir selbst über die Runden zu bringen. »Evet« zu verkaufen und endlich in Pension zu gehen, kommt für ihn, den Wirt aus Leidenschaft, nicht infrage. Seit dem Tod von Samis Mutter ist das Restaurant sein Lebensinhalt.

Für Mahirs Stammklientel ist er zudem so etwas wie eine wandelnde Lebenshilfe, die man in jeder Situation um Rat fragen kann. Manchmal erinnert sein Ratschlag tatsächlich eher an Orakelsprüche, die erstaunlich nah an dem dran sind, was tatsächlich eintreten wird. Als Sami klein war, hat sein Vater einmal zu ihm gesagt: »Sohn, du wirst ein großer Mann werden.« Damit hatte Mahir wohl nicht Samis heutigen Köperumfang gemeint. Sami weiß, dass es Mahirs Wunsch gewesen ist, ihn eines Tages als seinen Nachfolger das Lokal vergrößern zu sehen, um es später an seinen eigenen Sohn weiterzugeben, es vielleicht sogar zu einer wichtigen Einrichtung in Eisenstadt zu machen, zu einem Lokal, das es in jeden Reiseführer schafft. Obwohl Sami dem Wunsch seines Vaters nicht nachgekommen ist, hat sein Vater ihm das nie offen zum Vorwurf gemacht, dennoch weiß Sami, dass er für das Fernsehleben die Erwartungen seines Vaters enttäuscht hat. Das macht ihm zu schaffen. Im Gegenzug – so Samis Theorie – soll er zumindest versuchen, in der Fernsehwelt möglichst weit zu kommen, um dort »ein großer Mann« zu werden. Jedoch würde das bedeuten, nicht mehr ständig am Set stehen zu können, und genau zu diesem Schritt hat sich Sami noch nie entschließen können.

Die Praktikantin nickt ihm zu und steht auf, doch ihr wird wieder schwindlig und ihre Lippen werden blutleer. Schnell setzt er sie wieder hin und fächelt ihr Luft zu. Zwei Polizistinnen tauchen vor ihm auf.

»Sind Sie Sami Gün?«, fragt die Jüngere der beiden. Sami nickt und bemerkt, dass die Polizistin in seinem Alter ist und ihn eindringlich ansieht. Wäre die Dame nicht in einer Polizeiuniform, würde er aus ihrem Blick schließen, dass sie Interesse an ihm hat.

»Wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«

»Ja bitte?«

»Sind Sie verheiratet?«, fragt die Polizistin und Sami muss unweigerlich lächeln.

Die Konferenz wird Sami wohl vollständig verpassen …

Der Ameisenhaufen

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