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Mit der anderen Hand eine andere streicheln, sozusagen eine Frau zur linken Hand, nein, das könnte ich mit Penni nicht machen. Penni ist anders. Schon bei dem Busausflug von Kairo nach Memphis - da hatten wir die rund tausend Kilometer lange Schiffstour auf dem Nil ja noch vor uns - schon bei dieser ersten Exkursion war sie mir aufgefallen. Wie sie mich angestaunt hat. Zunächst wohl nur wegen meiner etwas ungewöhnlichen Art, der Gruppe von sogenannten Studienreisenden die Altertümer Ägyptens vorzustellen. Ich hatte so was gesagt wie: Als Alexander noch der junge Fant und nicht der Große war, hat er hier seine Herrschaft errichtet, in der uralten Königsstadt Memphis. Und er soll hier einen Ausspruch getan haben, mit dem er, wenn es denn wahr wäre, den Berliner Public-Relations-Trick von Kennedy vorweggenommen hätte: Ich bin ein Sohn des Amon-Re. Das hatte bei der jungen Münchnerin Eindruck gemacht, unübersehbar.

Und dann mein Kurzvortrag in Sakkara: Nein, vierzig Jahrhunderte schauen nicht auf uns herab, wie Napoleon beim Anblick der Pyramiden vor seinen Soldaten geprahlt haben soll. Sagen wir lieber ganz schlicht: Hier trampeln wir mit unseren Schuhen auf vierzig Jahrhunderten herum. Denn was hier zur tollen Touristenattraktion geworden ist, das ist eine altehrwürdige Nekropole. Der Sand auf und inzwischen auch in unseren Schuhen und zwischen unseren Zehen ist uraltägyptisches Gebein, von den Jahrhunderten feingemahlen. Jetzt von uns wieder in Bewegung gebracht. Wenigstens dazu sind wir nütze. Wir machen Geschichte spürbar.

Den zweiten Ramses habe ich als eine Hybridform der Spezies Pharao bezeichnet. Weil er das schöne deutsche Sprichwort bestätigte: Der Name der Jecken steht an allen Ecken. Was in seinem Falle aber mit Verständnis aufgenommen werden müsse. Soll der große Ramses doch ein Meter und zweiundvierzig kurz gewesen sein. - Wie sie mich angesehen hat. Das tat gut. Das ließ mich zu immer gewagteren Bildern greifen.

Beispielsweise in der sogenannten Teppichweberschulen, wo Kellerkinder mit ungeheuer flinken Händen vor riesigen Webrahmen hockten. Über ihre ausdruckslosen Augen mußte man hinwegsehen. Auch über die um so deutlicheren Hungergesten, die sie machten, sobald die Aufseher einmal wegsahen. Das als Schule zu bezeichnen, eine Unverfrorenheit. Raus aus dem Souterrain des Leidens und hinauf in die prächtigen Hallen, wo fleischkloßige Bosse zwischen Prachtstapeln von Teppichen thronten. Mineralwasser und Säfte wurden angeboten. Und niemand aus der Touristengruppe griff zu, obwohl wir mit dem mehrfachen Hinweis bedrängt wurden, die Getränke seien natürlich kostenlos und unverbindlich. Die Ägypter hatten kein Verständnis dafür, daß wir diese Erfrischungen ablehnten. Wo doch der Tag so heiß. Kein Verständnis für die schwachen Nerven von Touristen, die heimlich befürchteten, den Kellerkindern was wegzunehmen. Brave Leutchen, diese Touristen. Zu brav. Groß rauskommen werden sie damit nie, ins Fernsehen schon gar nicht. Auch die junge Münchnerin nicht. Penni, die mit nassen Augen hinauslief.

Die nächste nervende Konfrontation mit der ganz anderen Welt beim Mittagessen: In dem Restaurant nahe den Pyramiden schauten uns die Kellner vorwurfsvoll an, weil niemand von den bunten Salaten nahm, die so liebevoll zubereitet lockten. Aber diesmal war es die Angst vor dem Krankwerden. Sie war stärker als der Appetit. Die Devise, die um den Tisch lief, hieß: Koch es oder brat es oder laß es! Jeder hatte sie jedem anderen als guten Rat fürs Verhalten in exotischen Ländern serviert. Ein übler Aperitiv. Aber vermutlich hat er uns vor der ersten großen Übelkeit bewahrt.

Dann bei den Pyramiden, da hatte Penni auf einmal neben mir gestanden. Und ich hatte sie gefragt, nur sie, ganz leise: Was soll man mehr bewundern, die unverwüstlichen Pyramiden oder die wunderbar weichen Tatzen der Dromedare, wie sie um jeden Stein herumgreifen und dabei kleine Staubwölkchen aufpuffen lassen? Mir war schon am ersten Tag aufgefallen, daß die Münchnerin beim Gehen die Füße etwas stärker nach außen gewinkelt setzte. So etwa zehn nach zehn. Ein trockener Mediziner würde auf Senkfuß tippen. Für mich wirkte das eher erotisch. Weil es die gleichzeitige leichte Öffnung der Schenkel andeutete, die weichen, weißen Innenseiten nach vorne gekehrt, einladend. Aber darüber konnte ich da noch nicht mit ihr sprechen. Nur über die Tatzen der Dromedare, die weichen. Daß ich mir vorstellte, einmal liebevoll dromedarisch gestreichelt zu werden, mit den sanften Vorder- und Hintertatzen gleichzeitig, in unmöglicher Stellung. Ach, Penni, allzu deutlich zu sehen, wie recht es dir war, daß wir in dem Moment gestört wurden. So schön verwirrt, wie du warst.

Damals konnte ich dir das ja noch nicht erklären. Diesen sonderbaren Zwiespalt in mir, dieses Hin- und Hergerissensein zwischen dem Positiven und dem Negativen. Einerseits möchte ich meinen Leuten alles geben, ihnen ein wirkliches Erlebnis vermitteln, andererseits finde ich diesen ganzen Krampf, diese touristische Welteroberung so lächerlich, daß ich mich nur in dieses Ironisieren und Kritisieren retten kann. Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust? Ja, so kann man es auch nennen. Oder ich nenne es einfach das weibliche und das männliche Element in meiner Psyche. Ist doch jeder mehr oder weniger androgyn. Aber dann ist in mir die ironische Kritik das Männliche. Diese Seite möchte lieber anders erobern. Diese Seite war es damals, die Penni gleich für mich eingenommen hatte. Unübersehbar. Und Ägypten bot mir ja genügend Gelegenheiten zum Mich-Drüber-Stellen.

Im Papyrus-Institut genau wie zuvor in der sogenannten Webereischule nur eine knappe Demonstration des Herstellungsverfahrens, dann aber schnell zu den Produkten. Etliche Räume voll von bunten Bildern. Göttinnen mit kess entblößten Brüsten oder im Tanga oder mit bis über den Bauch hinauf aufklaffendem Kleid. Wer da nicht zugreift, ist kein richtiger Tourist, hatte ich mir nicht verkneifen können zu sagen. So schön bunt alles. Mir wurde es schnell zu bunt.

Das um die liegende Ramses-Il-Statue gebaute Haus war für mich ein Exzeß der Nüchternheit. Doch halt, so hatte ich die Gruppe um mich versammelt, hier, gleich neben dem steinernen Pharao enthält die Halle immerhin noch etwas Bedeutendes: einen Feuerlöscher, einen genauso altehrwürdigen. Und niemand außer mir konnte darüber lachen. Ein Feuerlöscher. Wenn auch nichts Brennbares in diesem Museumsbau zu finden war, absolut nichts, nur Stein auf Stein und Stein um Stein. Bis auf den Stuhl des Aufsehers neben dem Eingang.

Das ist noch kein ganzes Jahr her, und doch gilt er schon nicht mehr, der treuherzige Satz, den ich meinen Leuten damals aus dem Uralt-Baedeker vorgelesen hatte. Daß die schändliche Neigung zu Gewalttätigkeiten, die in vielen zivilisierten Ländern vorherrsche, in Ägypten völlig unbekannt sei. Jetzt sind Gewaltakte gegen Touristen in Ägypten zur Methode politischer Agitation geworden. Jetzt möchte ich nicht noch einmal diese Reise machen müssen. Jetzt muß ich von der Erinnerung zehren. Und je unfriedlicher es wird in Ägypten, um so wertvoller wird mir dieser hirngespeicherte Schatz.

Ist doch dieses uns allen gegebene Reisebedürfnis in erster Linie der Versuch - neben der Flucht aus dem Alltag, neben der Renommierlust, neben der Partnersuche -, uns mit Erinnerungen zu munitionieren. Für den langen letzten Stellungskrieg, den Ruhestand, Lebensabend und was nicht alles an schönenden Ausdrücken uns für das geboten wird, was schlicht heißen muß: Das Verenden als Rentner.

Gleich zu Beginn der Schiffsreise auf dem Nil die Gruppenbesprechung mit dem ägyptischen Reiseführer. Die von ihm angekündigten Weckzeiten halb sieben und manchmal sogar schon halb sechs stießen auf ungläubiges Staunen. Daß man hier so mit der Zeit zum Ausruhen geizen müsse. Aber alle Zwischenbemerkungen wurden von ihm energisch unterdrückt. Uralte Herrenmentalität.

Beim ersten Aufwachen auf dem Nil - ist das nicht schon fast eine Tautologie? - sah ich einen Esel am Ufer. Der Fleck, auf dem er stand, auf dem er etwas rupfte, mit seinen grausam kurz aneindergebundenen Vorderbeinen ein bißchen zu hoppeln versuchte, dieser Fleck war sein Platz auf dieser Welt. Auf keinem Globus mit noch so feiner Nadel zu markieren. Laß das, hatte ich mir sagen müssen. Das bringt nichts. Wie auch der Blick auf die Wellen nichts bringt. Schon seit Jahrtausenden versuchen die Menschen, den Wellen etwas Besonderes abzusehen. Marinestücke en masse. Stets vergebens. Erst recht, wenn die Menschen selbst die Wellen machen. Es nützt nichts, die Welle zu mythologisieren. Die Deutung rückwärts bleibt bloß illustrativ, weil uns der Glaube der Alten fehlt. Poseidon passé. Und es nützt auch nichts, ständig neue Wellen zu entdecken: Lichtwellen, Ätherwellen, Magnetwellen, Radiowellen, Cyberwellen und was weiß ich. Die Welle ist eine Welle ist eine Welle. Und bleibt belanglos. Das ist überhaupt das einzig Bleibende an ihr, an diesem Sekundenoder Millisekundenphänomen. Und deshalb bringt es auch nichts, unser Leben mit einer Welle gleichzusetzen. Romantische Dichterei. Alles Quatsch. Das Leben ist zwar ein Wellenreiten, aber das findet auf der Oberfläche statt.

Mensch in Menschenmassen - Ein Chinaroman

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