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Busausflug über flaches Land. Vorbei an Lehmhütten und Feldern mit in Lumpen gekleideten Kindern. Und immer wieder Männer, die einfach nur dasaßen, reglos. Dabei brüllte unser ägyptischer Führer seinen Fahrgästen über Lautsprecher die ganze Ökonomie seines Heimatlandes in die Ohren. Er nahm das mit der Studienreise etwas zu ernst, fanden die Phonmalträtierten. Immer wieder die Bewässerung und die verschiedenen Arten von Pumpen. Immer wieder Zuckerrohr, Baumwolle und Datteln. Und immer waren die Produkte die besten der Welt. Dabei wahnsinnige Überholmanöver des ägyptischen Fahrers. Wohl auch er einer der besten der Welt. Wer hinguckte, war selbst schuld, wenn ihm schlecht wurde. Aber ich mußte hingucken, ich wollte dem Tod ins Auge sehen. Dieses ägyptische Roulette auf Rädern, es hatte seine unabweisbaren Reize.

Damals auf Jamaika hatte ich das noch nicht so gesehen. Auch so ein Wahnsinnsfahrer, der uns mit seinem Kleinbus über die Insel schleuderte. Vor sich am Innenspiegel hatte er ein Spruchbändchen hängen: ,Lieber Gott, es kann sein, daß ich einmal nicht die Zeit finde, an dich zu denken. Aber ich weiß, daß du immer an mich denken und mich beschützen wirst.‘ Damals fand ich das beruhigend.

Nun, wir sind heil angekommen. Da wie dort.

Dann im Tempel von Abydos wieder gehen dürfen, zwischen Säulenreihen hindurch, so hoch, daß sie einen fast auf den Rücken fallen lassen. Hinein ins Allerheiligste, wo auf der Wand Pharao Seti I. sein Opfer darbringt: Mit einer Art Kratzhändchen reicht er von der Tür aus das Räucherzeugs hinein. Aber dort, auf dem Bug der Heiligen Barke, von unserem ägyptischen Führer wortreich erklärt, stand etwas, das für mich alles übertraf: Ein Grammophon, mit dem großen Schalltrichter von der Stimme seines Herrn, und unten auf dem Boden des Tempels eine ganze Reihe von Feuerlöschern mit breiten Düsen. Ich konnte es ja keinem sagen. Konnte mich nur fragen, ob mich die Busfahrt wohl zu sehr angestrengt habe? Jedenfalls war es richtig, daß man im alten Ägypten das Volk nicht ins Allerheiligste hineingehen ließ. Die heiligen Dinge dort waren so gefährlich mißverständlich wie das Alte Testament.

Die Beschriftungen abschreiten, immer an der Wand lang, und einmal verstohlen hinlangen, beglückt abtasten, was vor Jahrtausenden geschrieben wurde, und plötzlich wissen, daß die Augenkrankheiten, die Geißel des heutigen Ägypten, schon in pharaonischer Zeit weit verbreitet waren. Hätten die alten Ägypter sonst alles in Blindenschrift schreiben müssen? Das hatte ich nur leise zu sagen gewagt, nur zu Penni, die gerade neben mir stand, vermutlich sogar nur zufällig. Sie warf ihre aufgebogenen und geschwärzten Wimpern hoch und sah mich mit ihren hellblauen Augen so blendend an, daß ich mich abwenden mußte. Wie eine züchtige Jungfrau. Ich. Ob ich zuviel in der Sonne gewesen sei, fragte sie besorgt. Und ich habe sie nicht geschont. Mir hat diese Besorgtheit gefallen. Ich habe weiter nur für sie erklärt, als flüsternde Konkurrenz zu Khaled:

An allen Sehenswürdigkeiten diese Demolierungen, die es schwierig machen, den richtigen Ausschnitt für das Foto zu finden. Wer macht denn so was? Nun, mal war es der Nachfolger des dargestellten Herrschers, mal der offenbar auch steinbeißende Zahn der Zeit, mal waren es ignorante kleine Leute, die die Bildnisse zerhämmert haben, oft aus religiösem Übereifer. Die bösen, bösen Kopten. Warum aber, selbst wenn den Figuren ausnahmsweise sonst nichts passiert ist, warum immer: Nase ab!? Das muß mit der besonderen Bedeutung dieses Organs zu tun haben, die wir ja heute noch mit dem Satz unterstreichen: Ich kann dessen Nase nicht leiden. Klarer Fall: Die alten Ägypter konnten durchweg die noch älteren Ägypter nicht leiden. Sie hatten nichts mehr gemeinsam mit ihnen. Genau so, wie die heutigen Ägypter nichts mehr mit den alten Ägyptern zu tun haben. - Wie Penni mich da wieder angesehen hat.

Rückfahrt von Abydos. Der Fahrer war so stolz auf seinen noch fast nagelneuen Kässbohrer-Bus, daß er gleich eine Kassette einschob: Der Gefangenenchor aus Nabucco. Und tatsächlich, wie einer von denen kam ich mir in dem Gefährt vor, das sich nun con forza et con fuoco in den Verkehr stürzte. Wie auf einem spätpharaonischen Streitwagen hinein ins Schlachtgetümmel. Nabucco hin und Nabucco her, auf dieser Straße herrschte das Recht des Stärkeren. Und die Hupe ließ sich von keinem Gefangenenchor unterkriegen.

Esel, immer wieder Esel, nicht nur in grau, sondern auch in schwarz und in weiß. Auf den Feldern und vor den Lehmbauten so schön ins Bild passend, daß man dauernd Agfa opfern möchte. Oder Kodak oder Fuji, je nach Bekenntnis. Aber auf den Straßen wurden sie schon zu Mopeds, die Esel, so gleichmäßig in der Beschleunigung und so linientreu. Fast schon ein bißchen lächerlich. Bis plötzlich so ein Kurzfellmoped zeigte, daß es auch ohne Fahrer lospreschen kann. Eine unheimliche Begegnung orientalischer Art.

Einen ganzen Tag Pause in Sohag. Die Stadt wird mir ewig im Gedächtnis bleiben. Dabei hieß es zunächst: Pech, die Schleuse arbeitet heute nicht. Dann erfuhr man, daß die Schleuse immer im Dezember und Januar geschlossen bleibe. Alle Gruppen müßten mit dem Bus ein Stück nilaufwärts fahren und dort auf ein anderes Schiff umsteigen. Auf ein Schiff, das nur auf dem Oberlauf fahren konnte. Das hatte nicht im Prospekt gestanden. Dabei muß die Firma das gewußt haben. Und doch hatte man es sogar mir nicht gesagt. Wohl damit ich vor den Reisenden um so überzeugender in Verlegenheit käme. Ein Levantinertrick, der zur Landschaft paßte. Am Nachmittag vor dem Umstieg machte unser Schiff noch eine kleine Rundfahrt vor Sohag. Kein Mensch wußte, was das sollte. Einfach ein Stück von der Stadt weg gefahren, den Nil wieder hinunter. Hier kannten wir doch alles schon. Bis dann auf einmal ein lautes Klatschen hinter dem Schiff zu hören war, kaum daß wir wieder gewendet hatten. Große Plastiksäcke wurden über Bord geworfen, zugebunden bis oben hin, war gewiß nichts Gutes drin. Sie schwammen in langer Reihe von uns weg. Mit uns ging es ja bereits wieder aufwärts. Unserem Dreck hatten wir den Rücken zugewandt. Aber die Touristen sind heute nicht mehr so cool wie früher, nicht so ignorant wie die Leute in den besuchten Ländern, mußte ich feststellen. Die Schiffsführung hatte sie unterschätzt. Lauter Protest gegenüber dem Personal. Allen voran natürlich der Kleine mit dem Spitzbauch, der stets aufmüpfige Kleinverleger. Er hielt einem Stewart einen Vortrag über Umweltverschmutzung, den er selbst wohl als Standpauke bezeichnet hätte. Der Mann zuckte die Schultern: Für die Fische. Ich habe mich zurückgehalten. War mir doch klar, daß die Säcke da, wo sie anlanden, als Wundertüten hochwillkommen sind. Die teuren Plastiksäcke selbst wie auch ihr Inhalt, der sicher noch manches Brauchbare enthält, nicht zuletzt Futtermittel und Brennmaterial. Dann kam auch schon ein größeres Ruderboot, von zwei Männern mit kräftigen Schlägen auf die Reihe der Wundertüten zu getrieben, die sie ruck-zuck einsammelten, soweit sie sie noch erreichen konnten.

Nach dem Mittagessen war ich aufs Oberdeck gegangen, um mich ein wenig in den Halbschatten zu setzen. Im Vorbeigehen an der Bar noch einen Café au lait bestellt. Kaum sitze ich, kommt auch schon meine Tasse Kaffee. Und sofort stürzt sich der alte Anwalt auf den Kellner: Aber ich hatte doch vorher bestellt! Schon dreimal habe ich Ihnen gesagt: Einen Espresso bitte! Und sieht dabei mal den Kellner und mal mich mit Blicken an, daß man froh sein muß, daß er unbewaffnet ist. Ich kann das Mißverständnis nur bedauern - und mich klammheimlich freuen -, weil ich ja keinen Espresso bestellt hatte. Weniger anspruchsvoll.

Da war ja noch der Abschiedsabend auf unserem ersten Schiff, dem Unterlaufschiff MS Nil Monarch: Die Kellner servierten erstmals in ihren einheimischen Gewändern und sahen auf einmal viel würdiger aus. Wohl zu würdig, um immer in ihren Galabijas Dienst zu tun. In der Bar wurde die Musik immer lauter gedreht, um immer mehr Stimmung zu signalisieren - oder zu stimulieren. Einige Damen ließen sich von den Kellnern in ihren Ewigkeitsgewändern zum Tanzen animieren. Der alte Anwalt ging mit seiner Frau auf die Tanzfläche und servierte zur allgemeinen Überraschung besten Turniertanz in bremisch-hanseatischem Stil, so beweglich und dabei so elegant, beneidenswert. Dabei war der eine Schuh des Anwalts kürzer als der andere. Ihm waren an einem Fuß die Zehen abgefroren, hatte er mir erst am Tag zuvor gestanden. In Sibirien, in der Gefangenschaft. Immerhin hatte er später für jeden Tag als Kriegsgefangener eine Mark Schadensersatz von der Bundesregierung bekommen. Aber nur für die Jahre nach 1948. Sein Startkapital in der Freiheit, hatte er gelacht. Daß man so unfröhlich lachen kann, das hatte mich erschreckt.

Selbst die vorsichtig tastende Schlingerfahrt den Nil aufwärts war mir viel zu schnell gewesen. Im Hathortempel von Dendera als große Besonderheit das kleine Kabinett der Göttin Nut. Ihr extrem gestrecktes Bild nimmt die ganze Decke ein, beinahe berühren ihre Hände ihre Füße. Eine kuriose Gestaltungsidee. Doch was für mich daran besonders aufschlußreich war: Die alten Ägypter müssen schon die Kaiserschnittgeburt gekannt haben. Denn die Sonne, die Nut gerade geboren haben soll, ist vor ihrem Schoß zu sehen. Die andere Sonne, die sie gerade aufißt, ist vor ihrem Mund zu sehen, aber das ist ja nicht ungewöhnlich. Überhaupt hatte mich die kuhköpfige Liebesgöttin Hathor selbst viel mehr angesprochen als die Göttin Nut. Dieser gutmütig kuhige Gesichtsausdruck. Und ich mußte immer wieder zu Penni - neuerdings meist zufällig in meiner Nähe - hinschauen, mußte ihren Blick suchen. Derselbe mütterlich liebe Ausdruck der Augen. So wie ich dann den Blick schnell senkte, um nicht aufzufallen, sah ich auf ihren Busen. Und auch das paßte ins Bild. Ich war so wild auf diese beiden, die immer brav Versteckten. Wie sie wohl, wenn ich die Lippen draufdrücken würde, kraus und hart sich mir entgegenfreuen würden. Sie so gierig verschenkend wie ich gierig stehlend. Aber nichts läuft. Immer noch nichts. Mein täglicher Seufzer damals. Über den ich mir hinwegzuhelfen suchte mit meinen dummen Scherzchen, die nur für Penni bestimmt waren.

Wenn auch koptische Christen im Hathortempel fast alle Bildnisse zerstört hatten, in mühevoller Arbeit quadratzentimeterweise weggehämmert, die Kartuschen über den Pharaobildern hatten sie ganzgelassen. Weil sie eh leer waren. Wegen des zu schnellen Wechsels der Pharaonen verzichtete man in der ptolemäischen Zeit darauf, die Namen in Hieroglyphen hineinzuschreiben. Leere Kartuschen - und jeder las den jeweils aktuellen Namen des Pharaos hinein: Die alten Ägypter als die Erfinder des Wechselrähmchens. Und da sagt man den Chinesen nach, sie hätten dies und das und das Schießpulver und den Buchdruck und überhaupt alles erfunden.

Mensch in Menschenmassen - Ein Chinaroman

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