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15.

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In Sohag die Gruppe entlassen zum Abendbummel und dreist eine heimliche Verabredung mit Penni getroffen. Sie war sofort einverstanden. Eine prächtige neue Freitreppe führte von der Schiffsanlegestelle in die Stadt. Die nahmen wir noch getrennt. Dann aber haben wir schon gemeinsam die stark befahrene Straße überquert, die parallel zum Nil verlief. Wo die Moschee stand, deren Minarett herrlich neongrün über die Stadt hin strahlte. Grün, die Farbe des Propheten. Und ich habe rumgequatscht: Warum hat er nicht braun vorgezogen? Die Farbe, die auf allem liegt, der Staub der Jahrtausende. Das Braun auf der Straße, den Autos, den Ladentheken und auf allem, was wir dann im Kaufhaus sahen, einem nüchternen Hallenbau mit armseligem DDR-Charme. Durch die dunkelsten Gassen schleichen, der Lichtschein des Propheten wacht ja über uns. Taxis abwinken, die sich anbieten, bei prächtigen Gebäuden uns fragen, was das nur sein kann, und uns bei einem jungen Pärchen, das Hand in Hand dahinschlendert, darüber wundern, daß auch in diesem so fremden Land männlich und weiblich zusammengehören.

Das war der entscheidende Augenblick. Da habe ich nach ihrer Hand gegriffen - ohne jede Erklärung -, und sie hat sie nicht weggezogen. Daß sie den Mut aufgebracht hatte, mit mir allein loszuwandern, hatte mir den Mut gegeben, in dieser Art handgreiflich zu werden. - Was war denn schon dabei, ihre Hand zu nehmen. Das kann doch jeder. Aber ein Reiseleiter? Der Fluch der besonderen Funktion. Und des besonderen Rufs. Zeige ich mich allzu zurückhaltend, paßt es nicht zum Reiseleiterimage, kennzeichnet es mich als Versager, als Fehlbesetzung. Gehe ich aber bei der falschen Frau im falschen Moment einen Schritt zu weit, habe ich eine Kundin meines Unternehmens beleidigt und muß mit ihrer Beschwerde rechnen - und mit meinem Rausschmiß. Wegen Geschäftsschädigung. Aber bei Penni, da kamen meine Bedenken nicht gegen meine Wünsche an. Wie ich es genossen habe, das kleine Vorrecht, mit ihr Hand in Hand daherzuspazieren.

An einer belebten Straße die Fahrradreparaturwerkstätten auf dem Bürgersteig bestaunt, in den kleinen Friseurladen hineingeschaut und überrascht zurückgegrüßt. Und dann den jungen Mann nicht einfach abschütteln wollen, der neben uns her ging und uns auf englisch fragte, ob er helfen könne. Er sei Student, sagte er. Und die dünne Kunststoffmappe unterm Arm bestätigte es. Kaum wußten wir, daß er Mohammed heißt, waren zwei, drei weitere junge Männer neben uns, ebenfalls Studenten. An der Artistenfakultät der Uni Sohag studierten sie, erfuhren wir. Einer Wirtschaft, ein anderer englische Literatur. Literarisches Fachgespräch auf der Straße, mitten zwischen Eselkarren, hupenden Autos und herumlungernden Leuten. Ich wunderte mich über das Vertrauen, das ich zu den Jungs hatte, und sagte schließlich: So, jetzt führt uns irgendwohin, wo wir uns niedersetzen und ungestört unterhalten können. Und wieder ging es durch etliche dunkle Gassen, bis sich ein Plätzchen öffnete, mitten in dem Gewirr der hohen und völlig schmucklosen Häuser. Da standen wir vor einem offenen Café: Ein paar Stühlchen und primitive Tischchen, ein paar Männer, die ihre Nargileh rauchten. Und nichts sonst, nur diese anheimelnde, einladend vor sich hin qualmende Lichtinsel in der ägyptischen Finsternis. Da man dort nichts anderes trinken konnte, bestellten wir Tee, bekamen wir auch sehr schnell unseren Tee, sehr heißen und süßen schwarzen Tee.

Reden über Wirtschaft und über Literatur. Natürlich kam bald die Frage: Warum ist Deutschland reich und Ägypten arm? Leicht gefragt und durchaus nicht leichthin beantwortet: Das liegt daran, daß Eure Politiker kein ausländisches Kapital hereinzuholen vermögen. Peinlich, peinlich, die deutschen Politiker als leuchtende Beispiele hinstellen zu müssen. Aber das dient ja nur pädagogischen Zwecken. Und warum können unsere Politiker kein ausländisches Kapital hereinholen? Euer Geld ist nicht kompatibel, ist eine reine Binnenwährung. Zunächst müßtet Ihr euch währungsmäßig öffnen, dann könnte es aufwärts gehen. Als ich schließlich zahlen will, lassen die Studenten das nicht zu. Penni und ich seien ihre Gäste. Nichts zu machen, wollten wir sie nicht schrecklich beleidigen. Ihr Geld ist stärker als das in meiner Hand. Sie fragen höflich, ob sie uns noch ein Stück zurück begleiten dürfen. Einen schicken sie mit einem Auftrag weg. Er kommt bald darauf wieder und hat zwei Bildpostkarten gekauft. Für uns, als kleines Geschenk. Blumenmotive, etwas anderes habe es nicht gegeben. Vor der Freitreppe zur Schiffsanlegestelle wollen sie stehenbleiben und sich verabschieden. Ich will sie mitnehmen, damit sie wenigstens einmal einen Blick in so ein Fünf-Sterne-Hotelschiff werfen können. Für Studenten muß das doch aufschlußreich sein. Aber sie lehnen ab, meinen, wir bekämen dann Schwierigkeiten. - Nein, keine Sorge, die Leute vom Schiff kennen mich. Doch schon auf der halben Treppe hinunter zum Fluß werden wir plötzlich von drei Polizisten angehalten. Die Studenten dürfen nicht weiter, werden energisch zurückgescheucht. Mein Protest, das seien unsere Freunde, nützt nichts. Polizisten sind wie überall keinem Einwand zugänglich. Ein kurzer, peinlicher Abschied. Und bis heute die unbeantwortete Frage: Für wen eigentlich peinlich?

Ich hätte mich sicher noch länger mit diesem Zwischenfall beschäftigt, wenn ich nicht in meiner Verwirrung einfach mit Penni weitergegangen wäre, auf dem falschen Schiffsflur, und wenn ich nicht plötzlich vor ihrer Tür gestanden hätte, wenn Penni nicht einfach die Tür aufgeschlossen hätte, wenn sie nicht wortlos hineingegangen wäre, ohne die Tür hinter sich zuzudrücken. Das habe ich dann für sie getan. Von innen. Und abgeschlossen habe ich auch vorsichtshalber. Dann hatte sie so dagestanden, mitten in ihrer Kajüte, wortlos, reglos, und mich nur angesehen. Mit einem Blick ...

"Wie bitte?"

"Ob Sie kein Abendessen haben möchten?"

"Doch ja, selbstverständlich."

"Wenn Sie dann bitte den Klapptisch herunternehmen wollen."

"Ja, selbstverständlich."

"So, bitte sehr, und guten Appetit."

Verflucht. Mich gerade an der schönsten Stelle meiner Ägyptenerinnerungen zu stören. Da prahlen die Fluggesellschaften immer mit ihrem tollen Rundumservice. Und dann so eine Tolpatschigkeit. Dabei macht manchen Tag doch erst der Tagtraum erträglich. Ihn jetzt einfach weiter träumen? Das geht nicht. Verwischt, verweht. Sowenig wie unsere nächtlichen Träume lassen sich die Tagträume befehlen. Die große Unfreiheit in uns. - Na ja, was weiß eine Stewardess von der Reiseleiterei. Sie interessiert sich eh nur für Männer aus der ersten Klasse, allenfalls noch kann einer aus der Business Class die Antwort auf ihre soziale Frage sein. Aber nicht ein Reiseleiter. Für sie kein Mann, nur ein Lohnsklave wie sie selbst. Und ein Tagträumer dazu. Ein Verwirrter. Denn Reiseleiter sein heißt heillos zwischen den Ländern und in die Zeiten verheddert sein, immer mit drei Wirklichkeiten bepackt, mit der Erinnerung, der Vorbereitung des nächsten Tages und dem Ablaufplan in der Hand. – Das Essen nicht kalt werden lassen.

Was auch immer für sonderbare Dinge auf dem Plan stehen mochten, all die kuriosen Inhalte einer Studienreise, Penni gehörte dazu jedenfalls nicht. Aber natürlich ein Bericht über die Mumifizierung. Von Khaled in seinem Bruchstückdeutsch vorgetragen.

Wie komme ich jetzt darauf? Muß an diesem Catering-Essen liegen. Irgendwas Mumifiziertes in Plastik. Na, meinetwegen. Das mit der Mumifizierung war ja nicht uninteressant. Zwar nicht so eindrucksvoll wie bei Mika Waltari geschildert. Aber soviel war für meine Leutchen immerhin zu verstehen: Bei der Mumifizierung wurden die Innereien entfernt und in Kanopen separat bestattet. Jeweils vier Krüge in einem Kasten. Das Gehirn wurde durch die Nase herausgezogen und weggeworfen. Seit ich das weiß, habe ich Angst, mir so kräftig die Nase zu putzen wie früher. Reisen bildet, und Reisen verbildet. Egal. Das Herz jedenfalls blieb im Brustkorb. Eine Art der Zerlegung und Verwertung des menschlichen Körpers, so habe ich damals das Fazit gezogen, aus der sich zweierlei schließen läßt: Zum einen, daß die alten Ägypter schon den Blutkreislauf gekannt haben müssen. Was der Brite William Harvey erst im 17. Jahrhundert entdeckt und der Franzose Descartes genauer erklärt hat, das muß hier schon lange zuvor bekannt gewesen sein. Wie anders soll man die Tatsache deuten, daß die von uns ebenfalls als Innerei angesehene und so wichtig genommene Blutpumpe bei den Adern, also im Körper gelassen wurde? Zum anderen deutet die Art, wie mit dem Gehirn umgegangen wurde - einfach wegschmeißen - darauf hin, daß man über dieses uns ebenfalls so wichtige Aggregat bestens Bescheid wußte. Ist dessen Besonderheit doch, habe ich mutig weiter gefachsimpelt, daß es irreparabel zerstört ist, sobald die Durchblutung nur einmal kurz unterbrochen wurde. Für ein Weiterleben im Jenseits also nicht mehr zu gebrauchen: Nichts als Abfall. - Ich glaube, mit diesen halbfachlichen Spekulationen habe ich bei Penni die entscheidenden Pluspunkte gewonnen. Bei der gelernten Kinderkrankenschwester ja kein Wunder.

Mensch in Menschenmassen - Ein Chinaroman

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