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Maramures Rumänien 1969

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Unten im Hof wurden Stimmen laut und vom Fenster aus sahen wir den Mann seine Frau hart ins Gesicht schlagen. Er war Bauer wie alle im Dorf, Parteisekretär, und wie alle im Dorf schmuck in weißer Tracht und schwarzem Hut, jetzt, in den Feiertagen des späten Oktober. Er schlug zu mit schwieliger Hand und die Frau schrie, und als er zum Fenster hochblickte, ahnten wir, daß er sie bestrafte, weil sie uns über seinen Kopf das Zimmer überlassen hatte. Wir sahen ihn im Haus verschwinden, hörten ihn die Treppe hochpoltern, er brach ins Zimmer ein, griff sich unsere Koffer und trug sie nach unten. Wir fanden sie vor der Haustür wieder und mußten sehen, wo wir blieben. Bert fiel die Kirche ein, mir nichts Besseres, und es zeigte sich, der Pfarrer sprach deutsch, und weil es ihm in deutschen Landen wohl ergangen war, ließ er uns in der Sakristei ein Lager aufschlagen, zwei Matten unterm Kruzifix. Es dunkelte schon, als wir hinausgingen, um uns umzusehen, und das Dorf schlief. Die Häuser schimmerten weiß in der Nacht und nur fernab, hinterm Dorf, brannte einsam ein Licht. Es war kalt und wir schritten schnell aus auf der Landstraße, und bald schon war zu erkennen, daß das Licht aus einem kleinen Holzhaus drang. Drinnen ging es laut zu, grölender Gesang war zu hören, und als wir eintraten, packten uns die Bauern und luden uns ein zu süßlichem Schnaps, der schnell zu Kopf stieg. Der Wirt goß die Becher randvoll und eine Weile hielten wir mit. »Deutsche Soldaten, gute Soldaten«, brüllten die Bauern, und obwohl Bert in der Wehrmacht gewesen war, paßte ihm das so wenig wie mir. Bald schon kippten wir jede neue Lage heimlich auf den Lehmboden – von denen hier wollten wir uns nicht unter die Theke saufen lassen. Ihr Lob der deutschen Soldaten hatte uns wortkarg gemacht.

Und dann, in all dem Krach, sagte plötzlich Bert: »Dreh dich um, da steht ein Mensch.« Im Türrahmen sah ich einen Mann, hochgewachsen, verhärmt und mit gebeugten Schultern. Die Kleider schlotterten ihm am Leib. Unter der tief in die Stirn gezogenen Schirmmütze blickten dunkle Augen. Die gebogene Nase wirkte groß in dem zerfurchten Gesicht. In der Hand trug er eine Laterne, die unruhige Schatten warf. »Versuch es«, sagte Bert. »Sprich mit ihm«, und ich bat ihn zu uns in dürftigem Jiddisch. Das ließ ihn aufhorchen, doch es dauerte, bis er antwortete: »Wenn Sie können Jiddisch, werden Sie da müssen fragen?« Er bestätigte, daß er im Lager gewesen war, von den Nazis verschleppt wie alle Juden im Dorf. Fünfundzwanzig Jahre schon mache er seitdem den Nachtwächter hier.

Die Bauern hatten sich abgewandt, sie verstanden ihn nicht, und überhaupt, warum zum Teufel gaben sich die zwei Deutschen mit diesem Juden ab.

»Heiß ich Nathan«, sagte der Mann. »Bin ich alt, siebzig Jahre, was bleibt mir noch vom Leben. Hab ich gewartet all die Jahr, und ist sie gekommen die Frau, sind sie zurückgekommen die Söhne? Keiner ist gekommen, allein bin ich im Dorf. Muß ich sterben, will ich sterben in Israel.«

Sein gutes Recht, dachte ich, und daß es von Maramures nach Bukarest nicht weiter war als von dort nach Tel Aviv.

»Ist nicht weit«, sagte er, als habe er meine Gedanken erraten. »Hab ich gespart und werd ich haben das Geld. Aber werden sie mich lassen fahren?«

Er sah uns an, erkannte, daß wir nicht helfen konnten, und dann nahm er wortlos die Laterne und ging hinaus auf die Straße. Wir blickten ihm nach, bis das Licht nur noch ein ferner Punkt im Dunkel war, und dann gingen auch wir.

Die Zeit berühren

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