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Verlagshaus Rostock 1964

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»Diese Frau da mitten im Roman – so untypisch«, sagte der Verlagsleiter, »nichts fehlte, würde man sie streichen.« Und dann zitierte er Shdanow. »Typische Menschen in typischen Umständen.« Er schlug vor, das Kapitel noch einmal zu überprüfen, so wie es im Lektorat redigiert worden sei, also »ohne diese Verrückte, die Protestzettel an Bäume klebt.« Danach hieße es nur noch, die Kürzung abzuzeichnen und der Roman wäre im Plan.

Ich war die Auseinandersetzungen leid und bereit nachzugeben. Zwei Jahre hatte ich an dem Buch gearbeitet, ich wollte es verlegt sehen, und die Frau, die sich dagegen auflehnte, seit jenem 13. August von ihrem bei der Großmutter in Westberlin gebliebenen Töchterchen getrennt zu sein, gehörte tatsächlich zu den Randfiguren. Sie schien entbehrlich. Auch wenn ich ihren Alleingang mit den Zetteln an Bäumen, für den sie belangt und verhaftet worden war, tilgte, bliebe der eigentliche Handlungsablauf intakt.

Wie lange würde ich brauchen, das Kapitel durchzugehen? fragte der Verlagsleiter. Ich sagte es ihm, er wies mir ein Zimmer zu, wo ich ungestört sein würde, und eine halbe Stunde später trafen wir uns wieder.

»Nun«, forderte er sanft. »Wie haben wir uns entschieden?«

Ich schwieg. Obwohl er meinen Widerstand spürte, blieb er zugänglich. Er lächelte, und lächelnd ließ er mich wissen, er verstünde, daß ich mich gegen den Eingriff sträubte. Und wieder zitierte er, Rowohlt diesmal, einen Verleger, den er schätzte.

»Wenn ein Manuskript ohne den Autor gekürzt wird, wird es nicht kürzer, sondern länger.«

Ich atmete auf. Er schien ein Einsehen gehabt zu haben. Schon wähnte ich den Roman samt der gestrichenen Seiten im Plan, und es traf mich hart, als ich sein Lächeln schwinden sah.

»Wir sind also übereingekommen, daß wir nicht übereinkommen können«, hörte ich ihn sagen.

»So wird es sein.«

»Meine Hochachtung«, sagte er. »Ein Autor mit Prinzipien.«

Zwei Jahre vergeblicher Mühe wegen drei lumpiger Seiten, dachte ich. Doch es gab kein Zurück. Mir ging das mausgraue Mädchen durch den Kopf, das ich am Morgen auf der Plattform des Zuges nach Rostock verstohlen hatte rauchen sehen, die glimmende Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger in der hohlen Hand. Knast? hatte ich sie gefragt und erstaunt hatte sie zurückgefragt, woher ich das wisse. Ich hatte ihr geantwortet, daß so nur rauche, wer nicht dabei erwischt werden wollte, und dann hatte sie zugegeben, heute erst aus dem Werkhof entlassen worden zu sein, auch den Grund für ihre Maßregelung hatte sie gesagt – das Ansprechen von Männern auf Bahnhöfen.

»Es muß an mir liegen, daß ich immer wieder an untypische Menschen in untypischen Umständen gerate«, sagte ich dem Verleger. »Da war dieses Mädchen auf dem Zug …«

Aber er hörte nicht mehr hin. Ihn drängten Termine, und kurze Zeit später hatte ich mein Manuskript zurück und war auf dem Weg zum Rostocker Bahnhof.

Die Zeit berühren

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