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Prinz-Albrecht-Straße Duisburg 1989

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Da steht er, und ich erkenne ihn gleich, obwohl er Arbeitskleidung trägt, Overalls und Gummistiefel, und man ihn für den Gärtner halten könnte. Auch der undurchdringliche Blick, mit dem er mich, vom Laubharken aufblickend, durch die goldumfaßten Brillengläser mustert, ist mir noch wach in Erinnerung. So musterte er mich an jenem Novembertag vor dreißig Jahren, als ich ins Haus gelangt war und auf die Möbel zeigte, die Bilder an den Wänden, und ihm den Spottpreis vorhielt, den im Krieg sein Schwiegervater meinem Vater für das Haus und alles, was dazu gehörte, angeboten hatte – ein paar lumpige Tausender, die dann in die braune Staatskasse geflossen, ehe die Eltern nach Auschwitz verschleppt worden waren.

Zorn packt mich wie damals und er spürt es und wie damals glaube ich in seinen Augen einen Schatten von Furcht zu erkennen, die dann in kalten Trotz umschlägt. Er weiß sich im Recht, fühlt sich eingebettet in eine Ordnung, der ich heute so wenig wie damals beikommen kann. Ich merke, daß er mich abtut, und in der Art, wie er sich wieder seiner Arbeit zuwendet, liegt etwas Verächtliches, Höhnisches. Langsam setze ich das Auto, in dem ich gekommen bin, von der Bordsteinkante ab und fahre davon.

Im Geiste sehe ich ihn weiter im Vorgarten des Elternhauses Laub harken, sehe ihn Körbe füllen, bis das letzte Blatt verschwunden ist und er nach getaner Arbeit ins Haus zurückkehrt. Ich sehe ihn die Gummistiefel abstreifen, die Overalls, ihn in Socken die Treppe nehmen und ins Badezimmer verschwinden, sehe ihn dort, ein nackter Mann, weißhäutig und blaß, die Goldbrille vor den Augen. Er legt die Brille ab, tastet sich zur Dusche vor, wäscht sich, trocknet sich ab, kleidet sich an im Schlafzimmer der Eltern. Bald schon sitzt er beim Sonntagsbraten im Eßzimmer und später am Nachmittag wird er im Biedermeierzimmer den Kaffee zu sich nehmen.

Um diese Zeit, noch ist es Tag, doch trüb schon und diesig jetzt im November, stehe ich wieder vor dem Elternhaus – was treibt mich noch einmal hierher, warum widerstehe ich dem nicht? Es wird, das schwöre ich mir, das letzte Mal sein, und gegen die Mauer des Vorgartens gelehnt, bin ich von der Vorstellung besessen, daß meine Gegenwart durch das Gestein ins Haus dringt. Gleich werden sich die Gardinen rühren, wird er sich hinter dem Fenster zeigen, mich hier stehen sehen und es wird ihn treffen. Nichts aber regt sich im Haus. Sonntäglich still liegt die Straße da, bis nach einer Weile aus dem stetig sinkenden Nebel ein Auto sich nähert. Es parkt gegenüber dem Haus, die Scheinwerfer gehen aus und zwei Männer und eine Frau überqueren die Straße. Sie plaudern lachend, verstummen als sie mich sehen und mustern mich befremdet – was will der dort? Das frage ich mich nun selbst, und ich wende mich ab, tauche unter im Nebel – wie ein Täter, der den Tatort flieht.

Die Zeit berühren

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