Читать книгу Der Henker von Rothenburg: Verrat in Rothenburg - Werner Diefenthal - Страница 19
11. Kapitel
ОглавлениеZuerst wusste Marie nicht, wieso sie beim Aufwachen ein merkwürdig beklommenes Gefühl im Bauch hatte. Dann erinnerte sie sich wieder daran - die Bestrafungen.
Sie hatte Angst davor, auch wenn sie nicht zusehen musste. Es war das erste Mal, seitdem sie mit Matthias zusammen war, dass er sein blutiges Handwerk verrichten musste. Die Bestrafung Elisabeths zählte sie nicht, das war ja unblutig gewesen.
Sie mochte nicht daran denken, dass er aus dem Haus ging, um Menschen zu verstümmeln und zu quälen. Noch weniger wollte sie daran denken, wie er wohl aussehen würde, wenn er wieder zurückkam.
Noch schlief er tief und fest neben ihr. Groß, sanft und harmlos. Marie dachte an die Tränen, die er vergossen hatte. Sie verstand nicht, wie ein so einfühlsamer Mann dies alles ertragen musste. Sie hatte in seine Augen gesehen, in seine Seele. Wenn er auf dem Schafott stand, die Werkzeuge seiner Arbeit in der Hand und Glieder zerbrach, die Menschen schindete, sie tötete, dann war er nicht der Mann, der dort neben ihr lag. Es schien ihr, als wenn es zwei verschiedene Männer waren.
Marie hatte ihn in den Armen gehalten, als er geweint hatte. Sie hatte ihn gepflegt, als er dem Tode näher war als dem Leben. Er hatte ihren Namen gerufen, sich an ihr festgehalten. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es sein musste, Tag für Tag das harte Brot dieses Berufes zu essen.
Hatte er jemals eine Wahl gehabt, fragte Marie sich. Wenn sein Lehrmeister ihn nicht gerettet hätte, was wäre aus ihm geworden? Ein Dieb? Ein Halunke? Wie hätte er überlebt? Und so war aus ihm der Henker geworden. Er folgte den Anweisungen seines Dienstherrn. Er musste es, es blieb ihm nichts anderes übrig. Und doch! Es erschien Marie so, als ob er mit sich selber rang. Als ob er lieber heute als morgen alles hinwerfen wollte, weggehen, alles hinter sich lassen.
Sie sah ihn an, ihr Blick voller Liebe. Ja, sie war sich sicher, dass er bereits, bevor er sie vor seinem eigenen Schwert gerettet hatte, diesen Zwiespalt in sich gefühlt hatte. Aber wie konnte sie ihm helfen? Sie wusste, dass er leiden würde, wenn sie ihm Vorhaltungen machte, dass er Menschen quälte. Er würde daran zerbrechen. Doch sie selber zerbrach an der Vorstellung, dass dieser Mann, der so friedlich neben ihr lag, mit den Händen, die ihr in der Nacht Lust bereitet hatten, gleich wieder Knochen zerbrechen würde. Verzweiflung machte sich in ihr breit.
Sie schluckte hart. Schon für ihn musste sie sich zusammenreißen und durfte ihm nicht mit Scheu entgegentreten, weil er seine Arbeit tat. Seufzend schwang sie die Beine aus dem Bett und ging in die Küche, begann, leise das Frühstück vorzubereiten. Sie war so darin vertieft, dass sie gar nicht bemerkte, wie Matthias in den Raum kam. Erst, als er von hinten die Arme um sie legte, nahm sie ihn wahr und ließ vor Schreck beinahe die Pfanne fallen.
»Matthias!«, japste sie und drehte sich zu ihm um. »Mein Gott, hast du mich erschreckt!«
Er lachte.
»Hast du Angst vor deinem Mann?«
Sie schüttelte energisch den Kopf. Irgendwie, sie wusste nicht wie, hatte er sie durchschaut. Ja, sie hatte für einen Moment Angst gehabt. Aber die war schnell wieder verflogen. Sie stellte die Pfanne auf den Tisch und ging wieder zurück, um Teller zu holen. Matthias bemerkte, wie steif sie ging und lächelte.
»War wohl doch zu viel, oder?«, feixte er.
Sie warf ein Tuch nach ihm.
»Du grober Klotz! Um nichts in der Welt würde ich es missen wollen. Und am liebsten würde ich es sofort wieder tun«, lachte sie und warf ein Tuch nach ihm.«
»Das würde mir gefallen«, grinste er.
Sie setzten sich an den Frühstückstisch, genossen einfach die Zeit und plauderten. Für den Moment erlaubten sie es sich, einfach nur Mann und Frau zu sein, wie alle anderen Paare in Rothenburg. Leider war der Moment viel zu kurz. Matthias sah seine Frau traurig an.
»Ich muss jetzt los.«
Sie nickte.
»Ich werde Magdalena in der Zeit einen Besuch abstatten. Ich glaube, sie braucht eine Freundin.«
»Ja, das glaube ich auch.«
Sie lächelte ihn liebevoll an.
»Ich bin wieder zurück, bevor du da bist ... und bring etwas zum Mittagessen mit.«
Sie küssten sich, dann verließ er sein Haus. Aber vorher packte er noch die Tränke ein, die er brauchte. Dazu sein Werkzeug.
Er schritt eilig zum Verlies. Dort gab er den Wachen den Befehl, den Verurteilten jedem einen kleinen Becher von dem Gebräu zu geben.
»Bringt sie mir dann auf den Richtplatz, ich muss den Chirurgen noch holen.«
Matthias ging zu der Gasse, in der Nikolaus von Brümme wohnte. Der war nicht besonders erbaut, den Henker zu sehen.
»Was zum Teufel soll ich da? Für abgeschlagene Hände, abgeschnittene Ohren und Nasen reicht heißes Pech.«
»Aber nicht für Zungen.«
Der Chirurg verzog das Gesicht.
»Scheiße. Dabei wollte ich heute Morgen einen wichtigen Eingriff vornehmen.«
Er ging in ein Nebenzimmer und suchte einige Utensilien zusammen, mit denen er die Blutung in den Mündern derer stoppen konnte, die ihrer Zunge verlustig gehen würden.
»Auf geht’s, Herr Henker. Der Tag ist nicht so lang, wie man glaubt.«
Auf dem Weg zum Richtplatz versuchte Matthias, mit dem Arzt ein Gespräch anzufangen. Er erkundigte sich, wie beiläufig, nach Krankheiten der Atemwege und der Lunge. Von Brümme betrachtete ihn misstrauisch und fragte sich, was Matthias im Schilde führte.
»Wollt ihr unter die Heiler gehen? Ihr wisst ohnehin schon zu viel.«
»Nein, ich habe nur gehört, eine Frau sei gestorben, weil sie in einer Gerberei giftige Dämpfe eingeatmet hat.«
Der Chirurg nickte.
»Ja, das kommt vor. Angeblich soll es ein Kraut geben. Man muss es schnupfen oder den Rauch einatmen, ich weiß es nicht genau. Das soll helfen. Aber gesehen habe ich das noch nicht.«
Damit war das Thema für ihn beendet, denn sie waren am Richtplatz angelangt. Matthias dachte bei sich, dass dies nicht unbedingt schlechte Nachrichten waren. Doch nun musste er sich auf die Bestrafungen konzentrieren. Er entzündete rasch ein Feuer für den Topf mit Pech. Schnell war es heiß genug. Es dauerte auch nicht allzu lange, da kamen die Wachen mit einer ganzen Prozession von Verurteilten. Matthias drehte sich der Magen um. So viele! Es kamen nur sehr wenige Zuschauer, die meisten waren noch zu trunken von der Nacht.
Matthias ging methodisch vor. Zuerst schnitt er eine Nase ab. Dann kamen zwei, die jeweils ein Ohr verloren. Bei einer Frau, die er brandmarken musste, zögerte er einen Moment, doch dann obsiegte sein Pflichtgefühl.
Jetzt kamen zwei Zungen. Nach dem Köpfen war dies die problematischste Bestrafung, da die Wunde extrem stark blutete und die Verurteilten sich manchmal so heftig bewegten, dass es fast unmöglich wurde, sie hinterher zu verarzten. Es war schon vorgekommen, dass auf diese Art Bestrafte noch auf dem Richtplatz verbluteten oder am eigenen Blut erstickten. Eine Katastrophe für den ausführenden Henker.
Die Wachen drückten die Männer auf die Knie und öffneten ihnen mit Gewalt die Münder. Matthias zog mit einer langen Zange die erste Zunge heraus. Dann überzeugte er sich, dass der Chirurg bereit war. Mit einem scharfen Messer schnitt er die Zunge kurz vor der Stelle ab, an der die Zange sie festhielt. So konnte er den Rest für den Chirurgen halten, der schnell die Arterie abklemmte und vernähte. Dann das Gleiche mit dem zweiten Mann. Der Arzt wischte sich die Hände an einem Leinentuch ab, nickte Matthias kurz zu und zog davon.
Jetzt kamen die wirklich unangenehmen Sachen. Aber Matthias hatte Routine und so dauerte es nicht lange, bis der Weidenkorb, den die Wachen mitgebracht hatten, sich mit den Gliedmaßen, die er schnell und sauber abtrennte, füllte. Schmerzensschreie durchdrangen die Luft, es roch nach verbranntem Fleisch, Pech, Urin und Kot. Einige konnten sich bei der Bestrafung nicht mehr zurückhalten und entleerten sich.
Die Wachen jagten die Bestraften davon und zogen sich wieder zurück. Matthias löschte das Feuer, säuberte den Richtplatz und seine Werkzeuge. Die abgetrennten Gliedmaßen vergrub er tief genug, dass keine Ratten, Füchse oder streunenden Hunde sie wieder zu Tage fördern konnten, an der Mauer des Knochenackers.
Der Henker erhob sich und atmete tief durch. Noch nie hatte er sich nach getaner Arbeit so danach gesehnt, nach Hause zu kommen, wie an diesem Tag. Diesmal würde er nicht in ein leeres Haus kommen.