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Der listige Klavierverkäufer

16. Mai – 27. Mai 1990

Man wird den Verdacht nicht los, dass mancher Remont, soweit er nicht offensichtlich nötig oder dem Plansoll geschuldet ist, als Beschäftigungstherapie oder als Übungsfeld für Handwerker dient. Denkbar ist aber auch, dass die eine oder andere Maßnahme angeordnet wird, um sich in einer Ausländerwohnung ein wenig umzusehen und anschließend sogar noch mit einem kleinen Trinkgeld befriedigt nach Hause zu gehen.

Heute früh, für 9 Uhr, haben sich zwei Herren vom UPDK angekündigt, um unser Bad auseinanderzunehmen, damit dort Waschmaschine und Trockner aufgestellt werden können. Vor einiger Zeit fand eine gründliche Ortsbegehung statt. Zwei Fachleute mit Taschenlampe und Zollstock bewaffnet, drängten sich auf engstem Raum, klopften an Fliesen, knieten vor Wanne und Becken nieder, um dunkle Ecken und das Umfeld von Abflussrohren auszuleuchten, protokollierten mit Bleistift auf winzigen Papierfetzen Maße und Daten - mit dem für uns überraschenden Ergebnis, man werde in naher Zukunft die Wanne herausnehmen, das Waschbecken versetzen und Rohre neu verlegen. Dass die nahe Zukunft so schnell zur Gegenwart geworden ist, konnte man nicht ahnen. Wenn die Perestroika auch so rasch vorankommt, steht das Land unmittelbar an der Schwelle zu einer glorreichen Zeit.

Etwas später als vereinbart erscheint ein freundlicher Arbeiter mit schwererem Gerät. Ein schlechtes Gewissen ist ihm nicht anzusehen, weil er sich um sechs Stunden verspätet und seinen Kumpel vergessen hat. Deswegen entschuldigt er sich auch nicht groß, sondern verschwindet im Bad und macht sich an die Arbeit. Er zertrümmert die Fliesen um die Wanne und das Waschbecken herum, und beseitigt anschließend den Schutt. Die Wanne liegt frei. Zu zweit hätte man sie heute noch aus der Wohnung schaffen können.

Dass sich logische Schlussfolgerungen beim Einkauf zum Eindecken des alltäglichen Bedarfs verbieten, erfährt Heidi, als sie im Dom Favor am Leninskij, dem größten Haushaltswarenladen, den wir bisher kennen, lange Regalreihen mit symmetrisch aufgestapelten Klopapierpyramiden gegenübersteht anstatt dem üblichen Porzellan- und Kristallangebot. Niemand würde nun auf die Idee kommen, gezielt eine bestimmte Drogerie aufzusuchen, um sie nach Tellern, Tassen und Gläsern zu durchforsten. Wahrscheinlich würde man dort gerade an dem Tag auf andere kostbare Schätze stoßen, die man wochenlang vergeblich suchte, zum Beispiel Holzlatten, silbern glänzende Benzinkanister oder vollautomatische Dia-Projektoren. Bei einem Streifzug durch sämtliche lokalen Fachgeschäfte kann einem eigentlich nichts Wesentliches entgehen. Dabei sind alle Fachgeschäfte nach dem benannt, was sie anbieten: Moloko (Milchprodukte), Riba (Fisch), Kolbassi (Fleisch und Wurst), Fruti (Obst) und so weiter. Produkti heißen die Lebensmittelläden, Univermag, ein Kurzwort für Universalmagazin, ist ein Standardwort für Kaufhäuser. Wenn über einem Laden Buterbrodnaja zu lesen ist, hat man eine gewisse Ahnung, was einen dort im Normalfall erwartet, nämlich Sandwiches ohne Butteraufstrich. Kreative Vielfalt in der Namensgebung von Geschäften des Einzelhandels sucht man vergeblich. Es gibt ja nur staatliche Geschäfte; keine Ketten wie Edeka, Nordsee oder Rossmann. Ganz allmählich erst entwickelt sich durch kleine Reformschritte die Privatwirtschaft, was sich zum Beispiel auf den Kolchosmärkten und in den Joint-Ventures widerspiegelt.

Frischen Fisch sucht man in den Fischgeschäften augenblicklich vergeblich. Nur Sprotten in Dosen gibt es noch, maximal zwei pro Kunde. Dafür ist neben den Sprotten ein Buch im Angebot mit dem passenden Titel „Neptuns Küche“, Rezepte für gesunde und schmackhafte Fischrezepte. Ob so etwas auf der Humorschiene der Einheimischen liegt, ist fraglich.

Die Mongolen sind es, die die Fahrstühle im DDR-Compound verpesten, sagen Christiane und Wolfgang entschuldigend, als wir sie besuchen. Eigentlich ganz nette Leute, die Mongolen. Ich denke sofort an die Fahrstühle im Vernadskowo. Da sind es die Araber, die es angeblich nicht schaffen, die Fahrt im Lift durchzuhalten, um sich auf dem heimischen Klo zu erleichtern. Zu Hause sind es die Türken und die Vietnamesen, die für alles verantwortlich gemacht werden, was das Sozialklima schädigt und die gesellschaftliche Weiterentwicklung beeinträchtigt.

Interessanter finden wir, was die beiden über ihre Landsleute berichten. Die meisten freiwilligen oder abberufenen Rückkehrer beabsichtigen, sich selbstständig zu machen, zum Beispiel eine Videothek zu eröffnen. Fast alle haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren und ihre privaten Geldangelegenheiten nicht rechtzeitig regeln zu können. Nebenher erfahren wir, dass die Sowjets Schuld daran trügen, dass die DDR den Trabbi technisch und optisch nicht weiterentwickeln durfte, weil die UdSSR ihre Exportchancen beim Lada gefährdet sahen.

Christiane serviert Bratkartoffeln mit Bockwurst, dazu ungarischen Wein. Um Mitternacht sehen wir gemeinsam im russischen Fernsehen die Unterzeichnung des Staatsvertrags zwischen der BRD und der DDR.

Irina hat uns die Telefonnummer einer Klavierlehrerin gegeben, die Annika Unterricht geben soll. Jetzt brauchen wir nur noch ein Klavier. Im Musikgeschäft stehen Klaviere aller Preisklassen herum. Die Wartezeit für ein „Pianino“, so der Verkäufer, betrage momentan leider an die zwei Jahre. Ob die vielen nagelneuen Klaviere hier im Laden schon alle verkauft seien, wollen wir wissen. Die Antwort bezieht sich nicht direkt auf unsere gestellte Frage. Es gebe eine waiting-list, beteuert der Mann theatralisch, auf der zirka 2000 Personen stünden. Rein theoretisch gäbe es noch eine klitzekleine Möglichkeit, diese Liste auszutricksen. Im Tausch gegen einen neuen Fernsehapparat beispielsweise könnte es sein, dass wir das Glück hätten, in der kommenden Woche sogar ein Petrov-Klavier nach Hause geliefert zu bekommen. Diese Marke sei ja besonders berühmt und begehrt. In Frankreich habe jemand kürzlich sein Petrov-Klavier sogar gegen einen Neuwagen getauscht. Doch, da ließe sich durchaus was drehen. Wir lassen uns zum Spaß auf das Spiel ein. Bei so viel Vertraulichkeit und Flexibilität biete ich ihm fünfzig Dollar bei sofortiger Lieferung – das sind bei dem jetzigen Kurs etwa 1400 Rubel, was ungefähr dem Preis eines neuen Klaviers entspricht, wie wir den Preisschildern entnehmen können. Wahrscheinlich sah er sich schon im Geiste bei sich zu Hause vor einem neuen Westfernseher sitzen, um die Fußball-Weltmeisterschaften zu gucken, so dass er in einem Anfall von Größenwahn aufs Ganze geht. Er malt auf einen Papierfetzen drei Zahlen und ein Dollarzeichen und denkt, nun seien wir kurz vor dem Abschluss dieser Aktion: 500 $. Wir gehen. Und wünschen ihm, dass er während der Fußball-WM auf eine Zimmerantenne zurückgreifen muss, die ihm jeglichen Sehspaß vergällt.

Wer ohne allzu großen Aufwand einen Führerschein besitzen möchte, kann ihn für 1000 Rubel haben – ohne eine einzige Fahrstunde. Einen Führerschein kann man grundsätzlich nur dann offiziell erwerben, wenn vor Antritt der ersten Fahrstunde ein umfangreiches medizinisches Gutachten über die körperlichen und geistigen Fähigkeiten vorliegt. Kaum vorstellbar bei dem Fahrverhalten vieler Einheimischer. Wenn dann auch noch die Fahrschule komplett ausfällt, mag man sich nicht ausmalen, wohin das führen könnte. Da kann man nur hoffen, dass die Piloten im Lande ihre Fluglizenzen legal erworben haben.

Erstaunlich schnell sind die Badewanne und das Waschbecken aus dem Ex-Packbier-Bad abmontiert worden, wo demnächst Waschmaschine und Trockner angeschlossen werden sollen. Dabei gingen jede Menge Fliesen zu Bruch. Heute erscheint erstmals eine Frau vom UPDK. Sie marschiert zielgerichtet ins Bad, schlägt mit einem Hämmerchen eine Fliesenprobe ab und verschwindet nach wenigen Sekunden wieder, so dass wir gar keine Zeit fanden, sie für diesen Arbeitseinsatz angemessen zu belohnen. Sie hätte sich diesen Weg eventuell sparen können, aber wahrscheinlich haben die Arbeiter damals den Fliesenschutt zu voreilig komplett entsorgt – inklusive eines möglichen Musters. Hätten sie doch stattdessen die Badewanne zuerst abtransportiert, dann läge jetzt der Schutt noch hier herum. Immerhin: Es geht voran.

Einen Tag später klingelt dieselbe Dame wieder an unserer Tür, mit einer Kachel in der Hand. Man sieht der Fliese nicht auf Anhieb an, dass sie den schönen Namen Fayence trägt. Ob es denn dieser Farbton sein dürfe, obwohl er nicht hundertprozentig dem Farbton des noch gefliesten Teils im Bad gleiche. „Nitschewo“, halb so schlimm, sagen Heidi und ich beinahe gleichzeitig. Auch denken tun wir das Gleiche. Wenn wir nämlich zögerlich reagieren oder zu wenig Begeisterung zeigen und die alten Farbtöne sind vom Markt verschwunden, könnten wir bis zum Sankt Nimmerleinstag warten, bis dieser Raum neu gefliest ist. Genauso gut kann es passieren, dass eine alte Charge Fliesen mit unserem Farbton plötzlich und unerwartet im Dom Favor auftaucht oder anderswo.

Einer der Kücheneinbauschränke wartet seit geraumer Zeit auf dem Flur darauf, abgeholt zu werden, weil die Türen sich verzogen haben und nicht mehr schließen. Um an die Schränke richtig heranzukommen, musste zuerst der Kühlschrank auf den Flur geschoben werden, wo er immer noch steht. Bei dieser Gelegenheit bietet sich förmlich ein Gesamtremont in der Küche an. Wahrscheinlich müssen aber zuerst alle Sanitärprojekte abgeschlossen sein oder der Remont im Eingangsbereich unseres Hauses.

Nicht alle Autobesitzer wissen, dass das Parken in unmittelbarer Nähe der Müllcontainer von Nachteil sein kann. Eine Nebelkrähe hat sich aus einem der Müllbehälter ein veritables Knochengerüst gefischt und es sich damit auf der Motorhaube eines Volvos gemütlich gemacht, um die letzten Fleischreste abzupicken.

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