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Leitender Ingenieur bei Weddigen - Von Karl Schön
ОглавлениеWir blieben die Nacht unter Wasser. An Schlaf war trotzdem nicht zu denken, denn wir befanden uns im Kanal, in unmittelbarer Nähe des Feindes.
Um 5,30 Uhr morgens tauchten wir auf, denn unser Kommandant Kapitänleutnant Weddigen hatte festgestellt: draußen in der Dämmerung des heraufsteigenden 22. September 1914 Ist die Luft rein! — Also: „Turmluk auf! — Wachen an Deck! — Petroleum-Motoren klar zur Fahrt!“ —— Die 20 Zylinder der P-Motoren surrten, brummten und knatterten drinnen; weißer Petroleumqualm hüllte draußen das ganze Boot in einen dichten Nebel. Dies Qualmen war eine gefährliche Eigenheit jener alten Motoren dieser ältesten Boote. — Alles, was vom Personal dienstfrei ist, krabbelt an Deck, nimmt die Lungen voll frischer Morgenluft und raucht die langentbehrte Zigarette.
Der Wachoffizier, Oberleutnant z. S. Spieß, führte das Boot, während der Kommandant und ich uns auf der Back die Beine vertraten. Es war inzwischen 6 Uhr geworden. Die Sonne tauchte langsam aus der nebelblauen Tiefe. Golden glitzerten die an dem grauen Leib des Stahlfisches aufspritzenden Wassertropfen; der Petroleumqualm verschwand mit dem Warmwerden der Motoren. In flotter Fahrt trug uns U 9 in den aufleuchtenden Tag. Der frische, herbe Hauch der Morgenluft und das Gefühl, jeden Augenblick auf den Feind stoßen zu können, lösten in uns ein seltsames Prickeln aus ——
U 9 fuhr, eine lange Petroleumfahne nachziehend, in den golden glänzenden Herbstmorgen hinein.
Da rief plötzlich der diensthabende Offizier in unsere Morgenseligkeit: „Backbord drei Strich, eine Rauchwolke!“ —— Das Gesicht des strahlenden Tages, der so friedlich über uns blaute, veränderte sich mit einem Ruck. — Wie ein harter Schlag ging es durch uns alle: wir waren jetzt nur noch die Glieder eines Organismus — der denkenden Maschine ——
Kaum war ich unten im Maschinenraum, schrillte mir schon die Alarmklingel nach: „P-Motoren stoppen, Tauchklappen öffnen! —— Tiefenruder vorne hart unten, achtern hart oben! —— E-Maschinen volle Fahrt voraus!“ In uns zitterte Erregung, der beseelte Stahlleib unseres Bootes bebte — versank, versank aus dem eben erwachten Licht. Oben spielten nun die Sonnenstrahlen auf den Wellen. Unten aber —— „Maschinen langsam, Boot auffangen“ — „Boot auf Seerohrtiefe!“
„Drei feindliche Kreuzer!“ gab Otto Weddigen in die Zentrale. —
Mit einem liebevollen Blick streichelte ich noch einmal meine Maschinen. Mit der größten Sorgfalt wurde der Trimm — die Tiefenlage — genau einreguliert, Trotz sehr starker Unterwasserdünung, die noch von dem Sturm der letzten Tage herrührte, ließ sich das Boot einwandfrei auf zehn Meter steuern und lag glänzend.
„Achtung! Angriff beginnt! Beide Torpedorohre klarmachen!“ ertönte aus dem Sprachrohr dumpf die klare Kommandostimme Weddigens.
Ich hatte da unten neben den Maschinen das Gefühl, als wenn ich mich an einen prächtigen Sechserbock heranpirschte, dem ich schon wochenlang nachgejagt. Ich kannte Weddigen, merkte an dem vielen Aus- und Einfahren des Sehrohrs, dass die Beute nicht mehr weitab sein konnte, wusste auch, dass er träfe, wenn wir Blinden in der Zentrale ihm das Boot so hielten, wie er es brauchte. Die Rohre werden klar gemeldet; es war 7,15 Uhr.
„Erstes Rohr ——— Achtung!“
Im Boot herrschte größte Ruhe. 7,20 Uhr. „——— Los!“ ———
Sofort ging es auf 15 Meter Tiefe. „Torpedo ist raus!“ wurde von vorn gemeldet. Nun einige Sekunden atemlose Spannung. Dann ein lauter Knall: Treffer! „Hurra, hurra, hurra!“ tönte es wie aus einer Kehle ——
Von oben kam bereits: „Schnell auf 10 Meter!“ Das Sehrohr wurde ausgefahren. „Der hat genug!“ sagte Weddigen —— „Erstes Rohr nachladen.“
Der Torpedooffizier, beim Angriff selbst zur Unterstützung des Kommandanten im Turm, sprang nach vom und leitete das Nachladen. Gar nicht so einfach, diese Arbeit. Das Reservetorpedo musste etwa fünf Meter bewegt werden, hierfür war Platz zu schaffen. Der Deckoffizier-Wohnraum musste dran glauben. Die wenigen Möbelstücke flogen wirr durcheinander und zerkrachten! — Um den ungeheuren Gewichtsverschiebungen gerecht zu werden, schickte ich Leute mit zentnerschweren Trimmgewichten ins Heck. Denn durch den Transport des Torpedos von mittschiffs in das am Bug befindliche erste Rohr hatte das Boot starke Neigung vorn nach unten bekommen. Kaum hatte ich es ausbalanciert, folgte auch schon ein Maschinenkommando dem andern — der Angriff auf den zweiten Kreuzer wurde angesetzt.
„Erstes Rohr nachgeladen!“ kam es von vorne. Ein wenig später: „Achtung, Angriff auf den zweiten beginnen! — Nicht unterschneiden! Nicht herauskommen! Vorsicht! —— Vorsicht! ————— Vorsicht! ———— Bloß nicht rauskommen —— Vorsicht! ———“ rief Weddigen wieder, „die Kerle halten scharfen Ausguck, Stehen klar an den Geschützen!“ Jeder tat schweigend seine Pflicht. „Erstes und zweites Rohr ——— Achtung!“ 7,55 Uhr: „Los!“ —— „Looooos!“
Darauf Kommando von mir: „Alle Mann mit Trimmgewichten voraus! Fluten —— Fluuuuten! Auf 15 Meter!“ Die Erleichterung des Bootes durch die abgeschossenen Torpedos musste ausgeglichen werden. Keuchend schleppten die Leute die schweren Eisenkugeln in den Bug. Blau und dick traten dem Tiefenrudergänger die Adern auf die Stirn. Mit seinen Fäusten musste er eine 15 Meter hohe Wassersäule durch die großflächigen Tiefenruder anheben. Von meinen Leuten tropfte der Schweiß auf die Eisenplanken des Bodens. „Bumm“ ——— Na? ——— Nochmal: „Bumm.“ ——— Hurra! Beide Torpedos also Treffer, ein Meisterschuss eines Meisterschützen!
Es ging allmählich heiß her im Boot; die Leute mussten laufen und schleppen. Kaum hatten wir das Boot auf 15 Meter ausbalanciert, kam bereits Gegenbefehl: „Auf zehn Meter Tiefe gehen! — Sehrohrtiefe!“ — Freudig gab Weddigen nun nach unten: „Der erste hat ausgelitten, der zweite sinkt!“ ——
Der Obersteuermann Traebert, der das anstrengende Tiefenruderlegen selbst besorgte, ermattete. Diese ‚entsetzliche U-Bootsluft! Mein bester Mann! Mit erschöpfter Stimme fragte er nach oben: „‚Herr Ka’leu‘, verdammt, wo lang duert dat noch?“ und Weddigen brüllte die prächtige Antwort durchs Boot: „Vorläufig schwimmt noch einer!“ Ich ließ den Steuermann für einen Augenblick ablösen, drückte ihn in den Rahmen der Schotttür. Mütze vom Kopf! Schnell einen großen Schuss Sauerstoff ins Boot. — Meinen anderen Leuten schien es nur wenig besser als dem Steuermann zu gehen! Und mir? — Na, gleichgültig! Der Mann erholte sich schnell und ging wieder auf Station. — Alles arbeitete wie im Manöver; wenn auch über alle eine tiefe Erregung gekommen war. Vorn wurde der letzte Torpedo nachgeladen. Der dritte Angriff begann.
„Beide Heckrohre klarmachen!“ „Drittes — viertes Rohr ——— Achtung! — Achtung! Los! Los! ——“ 8,20 Uhr. Totenstille, das Surren wurde leiser, die E-Maschinen sangen, da, bumm! ——? ——? ——
Aber es blieb bei einer Explosion! Dem letzten Kerl scheint es allmählich gedämmert zu haben! Aber er sackte achtern schon etwas weg. Wir schlugen einen Kreis um ihn, um ihm mit dem letzten Bugtorpedo den Gnadenstoß zu geben. Nur noch Minuten: Das Rohr war indessen nachgeladen. Nur noch Sekunden: „Rohr fertig?“
„Rohr fertig!“
„——— Achtung! — Los“
Und dann zum letzten Mal: „Bumm!“
Gleich darauf rief mich Weddigen in den Turm und ich konnte wenigstens sehen, wie unser letztes Wild sein Grab fand.
Nur wenige Boote trieben auf dem Wasser. Nur wenige Menschen in ihnen. Sonst nichts, gar nichts, nicht das Geringste, das noch daran erinnert hätte, dass noch vor einer Stunde und dreißig Minuten drei stolze Schiffe hier fuhren.
Weddigen kam aus dem Turm nach der Zentrale, schüttelte uns Mann für Mann die Hand und sagte dann, als wir in der Offiziersmesse ein Glas Wein auf den Sieg leerten und die Gläser klingen ließen auf die deutsche Heimat und den obersten Kriegsherrn: „Meine Herren, den Erfolg danke ich Ihnen, denn das Boot funktionierte! Ich habe eigentlich nichts zu tun brauchen ——!“
Wir sprachen wenig, denn jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. Um 8,50 Uhr tauchten wir auf. Über uns strahlte die Herbstsonne. Das Wasser war glatt bis auf eine leichte Dünung. — Zigaretten!
In großer Entfernung erschien ein Dampfer, der Kurs auf das Schlachtfeld nahm. Schnell ließ ich unsere P-Motoren anwerfen; die Engländer mussten uns jetzt sehen. — Und nun heimwärts, was die Maschinen halten wollten! Unsere Stimmung war freudig ernst: Dieser Morgen hatte uns die Erfüllung dessen gebracht, für das wir eingesetzt waren, für das wir uns eingesetzt hatten: Unsere neue Waffe hatte sich glänzend bewährt.