Читать книгу Sprichst du noch, oder kommunizierst du schon? - Wiglaf Droste - Страница 14
Оглавление»Ich und viele andere Menschen«
Der Präsident, ein Herzchen
Kaum dass Joachim Gauck wusste, dass er nun doch, im zweiten Anlauf, zum Präsidenten gemacht werden sollte, kehrte er sein Inneres nach außen: »Mir ist wichtig, dass die Menschen wieder lernen, dass sie in einem guten Land leben, das sie lieben können«, sprach der Theologe, und man wusste, was die Uhr geschlagen hatte. Die eigene Wahrnehmung und Analyse der Verhältnisse, in denen man lebt, bedeuten nichts. »Die Menschen«, über denen turmhoch der Pfarrer Gauck steht, müssen von ihm lernen, wo sie leben. Das gilt nicht nur für Inländer. Gauck hat Europa zum »besten Ort der Welt« erklärt. Ob er das auch den armen Bewohnern der anderen Kontinente mitteilen wird, die er demnächst heimsuchen wird? Oder kennt er einfach nur nichts anderes?
Fast ein bisschen wehmütig dachte ich an Gustav Heinemanns so klugen wie charmanten Satz »Ich liebe nicht den Staat, ich liebe meine Frau.« Zu der Zeit war Heinemann amtierender Bundespräsident, zu billigen patriotischen Bekenntnissen ließ er sich nicht erpressen, und obwohl er ein Mann der evangelischen Kirche war, hatte er notorischen Antikommunisten schon in den 50er Jahren entgegengehalten, »dass Christus nicht gegen Karl Marx gestorben« sei.
Solcher Scharfsinn ist von Joachim Gauck nicht zu erwarten. Er sei »mit einem gut begründeten Antikommunismus aufgewachsen«, erklärte Gauck, dessen Mutter 1932 und dessen Vater 1934 der NSDAP beigetreten waren. Dafür kann Gauck selbstverständlich nichts. Aber in diesem Zusammenhang ist sein Bekenntnis zu »einem gut begründeten Antikommunismus« ein brauner Akt des retrospektiven Gehorsams. Gauck ist auf einem Kreuzzug in die Vergangenheit unterwegs. Die Entspannungspolitik zwischen BRD und DDR setzt Gauck mit der »Appeasementpolitik« der Westmächte gegenüber Hitler gleich. Kein Wunder, dass ein solcher Hassprediger schon beim ersten Anlauf im Jahr 2010 der Kandidat von Bild war. »Yes we Gauck« trommelte Bild am Sonntag, und am 19. Februar 2012 hatten sich dem dann endlich alle wahlrelevanten Truppen angeschlossen. (Die Linkspartei hatte man gar nicht erst gefragt, und ihre Vertreter, statt sich über den Beweis, diesem Kartell nicht anzugehören, zu freuen, schmollten. Sie würden ja soo gerne dabeisein.)
Joachim Gauck wird allenthalben als »glänzender Redner« gefeiert, die FAZ attestiert ihm die »schönste Sprache«. Die klingt beispielsweise so: »Als Bürger der DDR haben ich und viele andere Menschen im ganzen Osten Europas Ohnmacht erlebt und trotz Ohnmacht Ähnliches geschafft: Es gibt ein wahres Leben im falschen.«
»Ich und viele andere Menschen« ist schon sehr schön gesagt, aber das »wahre Leben im falschen« ist sogar noch größenwahnsinniger, noch eitler. Im falschen Leben gibt es echte Flaschen, wie den Mann, der seit 1990 auf dem Bürgerrechtler-Ticket unterwegs ist. Der »Präsident der Herzen«, zu dem ihn Bild gekürt hat, ist ein Herzchen.