Читать книгу Sprichst du noch, oder kommunizierst du schon? - Wiglaf Droste - Страница 17

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Multitasking im Rollkofferkrieg

Das Wort Multitasking beschreibt die Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Männer, heißt es, seien beim Multitasking chronisch überfordert und könnten sowieso bloß stumpf das Eine, während es Frauen leicht falle, simultan mehrgleisig aktiv zu sein. Manche sprechen deshalb auch von Muttitasking, denn Mütter müssen agieren können, als seien sie mindestens siebenarmige Gottheiten oder Leuchter.

Die Wirklichkeit des Multitasking kann man in der Deutschen Bahn studieren, am besten in der ersten Klasse, wo die Elite des Landes beheimatet ist, die sich so oft als Alete entpuppt. Ein Mann im Geschäftsanzug steigt zu, seine rechte Hand umklammert den Griff eines gewaltigen Rollkoffers, in der linken hält er ein Mobiltelefon, in das er für alle vernehmlich hineinschreit, was er seine »Eckdaten« nennt: wo er sich gerade befindet, wie spät es ist, wo er hin möchte und wann er dort ankommen wird.

Das ist ja hochinteressant, denkt man bei sich, während der wichtige Mann gerade feststellen muss, dass sein Rollkoffer zu breit für den Gang zwischen den Sitzreihen ist und festhängt. Ungehalten zerrt der Rollkofferist an seinem Gerät; das nützt aber nichts, und so muss er sein Mobiltelefon wegstecken, mit beiden Händen und beleidigtem Gesicht seinen Koffer entklemmen und ihn zu einem Platz wuchten, wo er sich setzen und mit seinem Koffer den Gang vollstellen kann. Wie kann die Bahn es wagen, sein Breitreifenleben so einzuschränken?

Was hat er bloß in seinem Koffer? So wie er damit hantiert, muss er zentnerschwer sein. Ist es in Deutschland Pflicht geworden, mit seiner toten Schwiegermutter im Gepäck zu reisen? Und ich habe das mal wieder verpasst? Ich habe ja gar keine Schwiegermutter, beruhige ich mich, aber so wie der Mann sich abrackert, hat er zum Ausgleich zwei davon. Und beide liegen tot in seinem Rollkoffer. Ich habe den Mann durchschaut: Er ist ein Bigamist und ein Doppelherzmörder.

Als könne der Mann meine Gedanken lesen, spricht er in sein Telefon. »Ach Schatz«, sagt er mit müder Stimme, »der Zug hat drei Stunden Verspätung, ich schaffe es nicht nach Hause, ich muss in Hannover übernachten.« Seine Stimme klingt enttäuscht und alt, er barmt noch ein bisschen, »ja, Schatz, es tut mir leid ... ich dich auch, Schatz«, und das Gespräch ist beendet. Zehn Sekunden später beginnt er ein neues, mit einer jungen, fast jugendlichen Stimme voller Elan und Freude: »Wir können uns sehen, Liebling, ja, in zwei Stunden bin ich da, o ja, ich freue mich auch, Liebling.« Und legt, sehr selbstgesättigt, das Telefon vor sich auf den Tisch.

Monogamie ist eine Ausnahme von der Regel, Ehebruch ist üblich, und mich geht das Ganze nichts an. Aber warum telefoniert der Mann so laut, dass alle anderen im Abteil alles mithören können, ja müssen? Braucht er Publikum? Glaubt er, man hielte ihn für einen ganz dollen Hecht, weil er ausposaunt, wie er als Amateurschauspieler den abendlichen Vollzug einstielt? Handelt es sich um einen jener Fälle von forciertem Talkshowexibitionismus, der keiner Talkshow mehr bedarf? Um Prahlhanselei im Endstadium?

Etwas später steige ich aus, eine Umhängetasche aus Leder über der linken Schulter und eine lederne Reisetasche in der rechten Hand. Der Bahnhof ist gestopft voll, und so gut wie alle Reisenden führen einen Rollkoffer mit sich, manche sogar zwei. Der Lärm, den sie damit produzieren, ist infernalisch; das Pflaster in Bahnhöfen, auf Flughäfen und auf der Straße ist nicht dafür geeignet, Rollkoffer geräuschlos zu bewegen, und weil sie beim Gehen Krach erzeugt, muss die Rollkoffersorte Mensch brüllen, wenn sie sich mündlich oder fernmündlich verständigen will, und das will sie ja permanent und pausenlos.

Aber Rollkoffer sind bequem und praktisch!, ningelt einem die Rollkofferfraktion ins Trommelfell, laut natürlich, noch lauter als die Rollkoffer, die sie hinter oder neben sich herzieht, mit permanentem »RRRRRRRR«-Geräusch. All jenen, die an ihren Rollkoffern hängen, wie diese wiederum an ihnen hängen, sei gesagt: Pragmatismus ist die Wurzel aller Hässlichkeit.

Sein Trommelfell und die dahinter angesiedelten Organe sind dem Rollkoffermenschen egal; ein Kopf ist für ihn das Zeug, das man zum Telefonieren braucht und zum Glotzen, und in das man sich, bevorzugt ambulant und im Gehen, mit der rollkofferfreien Hand etwas zu essen hineinstopft, das mit einem Nahrungs- oder Lebensmittel möglichst nichts zu tun hat, also alles, was es an Bahnhöfen und auf Flughäfen gibt: frittierte Presspappe, gern bitte aber auch mit Salatblatt, der bewussten Ernährung wegen.

Es herrscht offener Rollkofferkrieg im Land, die Rollkofferarmee RollRollRoll marschiert, während die richtige deutsche Armee, die Bundeswehr, in Afghanistan einen richtigen Krieg führt, in den sie allerdings nicht mit Rollkoffern zieht und ausrückt, sondern mit Rucksäcken. Schließlich müssen Soldaten für ihre ganz spezifische Form des Multitasking beide Hände frei haben.

Erst wenn Soldaten in den Aggregatzustand »Held« versetzt werden, winkt ihnen der Rollkoffer nach Hause. Ihr oberster Dienstherr hat naturgemäß den größten Rollkoffer von allen. Er ist aus edlem Zink gemacht, und während sein Besitzer das riesige Trumm hinter sich her zerren lässt, spricht er mit Stentorstimme in die Kameras: »Ich bringe die deutschen Soldaten in ihre Heimat zurück.« Zu ihren toten Schwiegermüttern, nehme ich an.

Sprichst du noch, oder kommunizierst du schon?

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